WISSENSMANAGEMENT 05. Sep 2014 Sabine Hense-Ferch Lesezeit: ca. 4 Minuten

Wenn geballtes Wissen in den Ruhestand geht

Wenn erfahrene Füchse ein Unternehmen verlassen, gehen mit ihnen berufliche Erfahrung, persönliche Kontakte und Know-how in Rente. Die demografische Entwicklung verschärft das Problem. Unternehmen versuchen zu retten, was zu retten ist. Nicht selten mit großem Erfolg.

In der Zusammenarbeit mit jüngeren können ältere Mitarbeiter Wissen und Erfahrung einbringen, andererseits erwerben sie technisches Fachwissen von den jungen Kollegen.
Foto: panthermedia.net/bernardbodo

Ein Unternehmen der Leuchtenindustrie produziert seit Jahren ein bestimmtes Bauteil aus Glas, während die Konkurrenz dasselbe Werkstück aus Kunststoff fertigt. Als im Rahmen eines Audits überprüft wird, ob eine Umstellung auf Kunststoff sinnvoll sein könnte, weiß keiner in der Abteilung mehr den eigentlichen Grund für die Glas-Variante. Die komplette Besetzung der damaligen Entwicklungsabteilung hat sich längst in die Rente verabschiedet. Eine umfangreiche Versuchsreihe bringt schließlich die Bestätigung, dass Glas tatsächlich das Material der Wahl ist. Mit Wissensmanagement hätte man sich die sparen können.

Ein Weg zu Innovationen: Altersgemischte Teams

Das Institut für Arbeitswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum fand im Rahmen einer Untersuchung von Unternehmen, die Wissensmanagement praktizieren, heraus, dass rund 75% der Unternehmen auf altersgemischte Teams setzen. „Die Schaffung altersheterogener Arbeitsgruppen ist ein probates Mittel“, ist Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen überzeugt.

„Es kann sehr motivierend auf jüngere und ältere Mitglieder des Teams wirken: In der Zusammenarbeit mit jüngeren können ältere Mitarbeiter Wissen und Erfahrung einbringen, andererseits erwerben sie technisches Fachwissen von den jungen Kollegen. Eigene und fremde Erfahrungen auszutauschen und zu reflektieren, bildet eine Grundlage zur Generierung neuen Wissens und für Innovationen“, so Rump .

Wichtig sei allerdings die Sensibilisierung für die Besonderheiten der jeweils anderen Gruppe und deren Arbeitsweisen, Werte und Denken: „An Kleinigkeiten kann so ein Team sich manchmal aufreiben“.

Wissensübertragung von einer Mitarbeitergeneration auf die andere wird zwar vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung immer dringlicher, aber noch kümmert sich nur rund ein Viertel aller Unternehmen systematisch darum. Das beweisen Studien. Forscher der Technischen Hochschule Chemnitz befragten bundesweit 3400 Betriebe, mit welchen Instrumenten sie ihr Wissen managen. Nur 24% der Unternehmen kümmern sich um eine systematische Weitergabe von einem Mitarbeiter an seinen Nachfolger.

Wenn Unternehmen wüssten, was sie alles schon mal wussten: Geht ein Chefentwickler in Rente, trägt er das wichtigste Unternehmenskapital im eigenen Kopf davon. Das liegt noch nicht einmal daran, dass er seinen Nachfolger schlecht eingearbeitet hat. Er kann selbst vielleicht nicht einschätzen, welche Erfahrungen wirklich relevant sind – seine freundschaftlichen Kontakte zum japanischen Handelspartner oder das Wissen, warum ein Projekt vor zehn Jahren gescheitert ist. „Das Expertenwissen, das sich Menschen im Laufe ihres Berufslebens aneignen, ist enorm. Unternehmen müssen nach Wegen suchen, wie dieses Potenzial erhalten werden kann, um Kosten und Zeit zu sparen und Fehler zu vermeiden“, erklärt Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen.

Ein Unternehmen, das das seit Jahren strategisch angeht, ist ThyssenKrupp. „2005 haben wir das Programm ‚pro Zukunft‘ verabschiedet, seitdem wurden knapp 200 Führungskräfte und Experten mit Spezialwissen als Wissensgeber einem Wissens-Transferprozess unterzogen“, berichtet Andrea Bröcher, in der Duisburger Konzernzentrale zuständig für das Personal.

Konkret heißt das: Künftig ausscheidenden Wissensträgern macht ThyssenKrupp das Angebot, innerhalb eines mehrmonatigen Zeitraums mit dem künftigen Nachfolger moderierte Gespräche zu führen. Dabei geht es um die besonderen Erfahrungen des „alten Hasen“, um Ursachen technischer Höhenflüge oder Erfolgsfaktoren der Krisenbewältigung. Zwei Moderatoren aus dem Bildungsbereich des Unternehmens führen die Gespräche und zeichnen sie auf. So wird eine „Jobmap“ erstellt, eine Art individualisierter Arbeitsplatzbeschreibung, und ein Transferplan, der weitere Maßnahmen vorsieht.

Der Stahlkonzern praktiziert auch andere Methoden, um das Insiderwissen von Senior-Experten im Unternehmen zu halten: Beraterverträge, eine EDV-basierte Plattform und Ehemalige, die Werksführungen veranstalten – aber nichts ist so erfolgreich wie der Transferprozess. Bröcher: „Wir können Übergabezeiträume hocheffizient nutzen. Durch die Dokumentation haben wir eine Basis, die wir fortschreiben können. Sie ist nicht nur wertvoll für den nächsten Stelleninhaber, sondern auch für alle, die danach kommen. Durch den Dialog zwischen alten und jungen Führungskräften regen wir Optimierungen im Unternehmen an.“

Die Pluspunkte moderierter Wissenstransfer-Prozesse gegenüber anderen Methoden sieht auch der Psychologe Christian Riese vom Institut für Arbeitswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, der ein Instrument zum intergenerativen Wissensmanagement mitentwickelt und damit inzwischen Hunderte solcher Prozesse mitbegleitet hat. Nova.PE bietet Hilfe zur Selbsthilfe: Der Prozess, der sich über mehrere Jahre hinziehen kann, motiviert Unternehmen, „Personalentwicklungs-Kümmerer“ aus den eigenen Reihen zu bestimmen, die Wissenstransfer-Prozesse begleiten.

Am Beginn steht ein Screening der fachlichen und persönlichen Kompetenzen und der jeweiligen Erwerbsbiografie. „Nova.PE kommt für jede Branche und jede Unternehmensgröße infrage. Überall gibt es unverzichtbares Spezialwissen. Angesichts der Rente mit 63 werden die Alarmglocken lauter. Viele Unternehmen brauchen diesen Druck, um tätig zu werden“, meint Riese.

Wichtig sei, dass die Geschäftsleitung dahinterstehe und man sich für den Prozess Zeit nehme. „Idealerweise stehen am Ende ein Wissensgeber und ein Wissensnehmer, die sich gleichberechtigt ausgetauscht und zu einem Lerntandem entwickelt haben, das Bewährtes und Neues zu etwas noch Besserem verknüpft“, so Riese. Allerdings zeichnen sich auch Grenzen ab: „Es gibt immer Wissensbereiche, die unerschlossen bleiben. Auch persönliche Netzwerke sind kaum übertragbar“.

Eine andere Möglichkeit sind Content-Management-Systeme und Wissensdatenbanken. Siemens hat sich schon sehr früh um Wissensmanagement auf elektronischem Wege bemüht und 2003 dafür die Auszeichnung „Most Admired Knowledge Enterprise“ erhalten. Bei Siemens heißt der Wissensspeicher ShareNet und wird von Tausenden Mitarbeitern auf der ganzen Welt gefüttert. Neben einer Datenbank mit Projektergebnissen liegt der Schwerpunkt auf der Kommunikation der Mitarbeiter und dem Austausch von Know-how, Projekterfahrungen und Kommentaren via Chatrooms, Community News und Diskussionsgruppen.

Siemens ist nicht das einzige Unternehmen, das sein Wissensmanagement auf elektronische Füße stellt. „Je früher Unternehmen damit anfangen, desto eher ziehen sie Nutzen daraus“, so Peter Schütt, Leader Social Software Strategy Knowledge Management bei IBM.

Ein wichtiges Werkzeug für elektronisch basiertes Wissensmanagement liefert der international agierende Software-Riese mit seinem System „Connections“, eine gigantische soziale Plattform im Internet, die von allen Mitarbeitern während der normalen Projektarbeit ohne zusätzlichen Aufwand „gefüttert“ wird. „Connections“ bietet Zugriff auf Projektberichte, Communities, Blogs und Wikis, passend verschlagwortet und mit Vorschlägen, wo im System sich weitere Informationen zum Thema finden.

Ob Transfer im Gespräch oder IT-basiert: Wissensmanagement lohnt sich.

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