Auf die Strahlkraft der Sonne gesetzt
Auf der Leitmesse Intersolar in München stehen noch bis Ende der Woche vor allem Photovoltaiklösungen für Hausanwendungen im Fokus. Ungeachtet der Branchenkrise ist Solartechnik aus Deutschland ein Exportschlager. Auch in Marokko. Dort entsteht mithilfe deutscher Ingenieurkunst das größte Solarkraftwerk der Welt. Ein Baustellenbesuch.
Wüstenstrom, da war doch was? Genau. „Desertec“ hieß das ambitionierte Projekt, das vorsah, an den sonnenintensivsten Standorten der Welt Solarstrom zu erzeugen und ihn per Hochspannungsgleichstrom-Übertragung (HGÜ) zu Verbrauchszentren in den europäischen Industrienationen zu leiten. Faktisch aber haben die Auflösung der Planungsgesellschaft im im vergangenen Jahr und der Ausstieg der 17 Desertec-Gesellschafter – unter ihnen Eon, Siemens und die Deutsche Bank – der kühnen Idee erst einmal einen herben Dämpfer versetzt.
Finanzierung: Die Investitionskosten für Noor I liegen bei rund 630 Mio. €. Für Noor II und Noor III belaufen sie sich auf insgesamt etwa 1,8 Mrd. €. Der deutsche Beitrag liegt bei rund 770 Mio. €. Bereitgestellt wurde diese Summe im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) von der staatlichen KfW-Entwicklungsbank. Und zwar in Form eines zinsgünstigen, lang laufenden Kredits. Bei Noor I liegt der deutsche Anteil bei 115 Mio. €, bei Noor II und III bei 654 Mio. €.
Weitere Geldgeber sind die Europäische Kommission, die Europäische Investitionsbank (EIB), die französische Entwicklungsbank (AFD), die Afrikanische Entwicklungsbank und der Clean Technology Fund (CTF).
Der CTF wird als Teil der Climate Investment Funds (CIF) von 14 Industriestaaten, unter anderem von Deutschland, finanziert und von der Weltbank verwaltet. Der Fonds unterstützt 63 Entwicklungs- und Mittel-Einkommensländer beim Klimaschutz. Derzeit stehen dafür insgesamt rund 8 Mrd. $ zur Verfügung.
Für die Macher des Solarkraftwerks Noor kein Problem. Hier, in der marokkanischen Wüste, wird die Vision vom regenerativ erzeugten Wüstenstrom derzeit Wirklichkeit – auch ohne Desertec.
Heiß ist es an diesem Tag im Mai. Die Sonne brennt vom blauen Himmel. Morgens um zehn zeigt das Thermometer schon 30 °C. Bis auf fast 40 °C wird es bis zum Nachmittag steigen. „Im Sommer haben wir hier bis zu 50 °C“, sagt Thomas Schmitt. Hoch oben, 30 m über dem Boden, hat er sich einen schattigen Platz auf dem Gebäude gesucht, in dem die riesigen Wassertanks untergebracht sind. Der Hitze zum Trotz strahlen die Augen des Ingenieurs aus Stuttgart. „Was wir hier sehen“, sagt er, „hat das Potenzial für die künftige Energieversorgung.“
Ingenieur Schmitt ist beileibe nicht der einzige Deutsche, der am Solarstromprojekt Noor beteiligt ist.
Eine Reihe deutscher Mittelständler und Konzerne liefern zu, u. a.
Schmitt lässt den Blick schweifen über die Wüste am Rand von Ouarzazate, 250 km südöstlich von Marrakesch. Er sieht auf scheinbar endlose Reihen von jeweils rund 7 m hohen und 3 m breiten Parabolspiegeln, die sich bis zum Horizont erstrecken. Noor I – erster Teil des auf vier Kraftwerke angelegten Solarkomplexes – soll im Herbst erstmals Strom ins marokkanische Netz speisen. Getragen wird das Großprojekt von der saudischen Acwa Power und zwei spanischen Firmen, die den Strom über die Solaragentur Masen an den staatlichen Energieversorger ONEE verkaufen.
Marokkos Beitrag zur Energiewende: ein echter Paradigmenwechsel. Bislang war die 100 000-Einwohner-Stadt mit ihren hübschen, mit braunrotem Lehm verputzten Häusern vor allem für ihre Filmstudios und etliche Pappmacheeburgen in der Wüste bekannt, wo Kinofilme wie „Gladiator“, „Die Päpstin“, „Der Medicus“ oder auch Asterix-Filme gedreht wurden. Die Stromgewinnung aus Sonnenlicht aber ist nicht nur Illusion, sondern bald Realität.
Marokko setzt damit um, was den an Desertec beteiligten deutschen Unternehmen seinerzeit nicht gelungen ist. Mustapha Bakkoury, Präsident der staatlichen Solaragentur (Masen), hatte für das Stichwort „Desertec“ nur ein müdes Lächeln übrig, als er am Tag zuvor in Casablanca die Solarstrategie seines Landes präsentierte. Wenn er über Noor I spricht, klingt seine Stimme stolz. Aus gutem Grund: Das Projekt ist gigantisch. Im Mai 2013 begann der Bau der ersten Phase mit dem Kraftwerk Noor I. Im Herbst dieses Jahres soll es erstmals Strom liefern. Allein schon Noor I – auf Arabisch Licht – hat gewaltige Dimensionen: 160 MW Leistung, 537 000 Parabolspiegel angeordnet in 400 Reihen à 300 m Länge.
Computergesteuert werden sie permanent dem Stand der Sonne angepasst. 2500 kWh pro m2 und Jahr beträgt hier, am Fuße der bis zu 4000 m aufragenden Berge des Hohen Atlas, die durch die Strahlungsintensität der Sonne erzeugte Energie. „Nicht die Temperatur ist entscheidend, sondern die Dauer und die Verlässlichkeit des Sonnenscheins“, sagt Rachid Bayed, Elektrotechnik-Ingenieur aus Casablanca. Pluspunkt für den Standort in der Wüste: Auf rund 1500 m Höhe knallt die Sonne – mit ganz wenigen Ausnahmen – 365 Tage pro Jahr mit voller Kraft vom Himmel.
In der Mitte der konkav gewölbten Spiegel verlaufen Rohrleitungen. Sie führen ein synthetisches Öl, das durch die in den Spiegeln gefangene Strahlung auf bis zu 393 °C erhitzt wird. Das als Transportmedium eingesetzte Öl wird zum Kraftwerk im Zentrum des gigantischen Feldes geleitet.
Dort werde Wasser erhitzt und Dampf erzeugt, der eine gigantische Turbine antreibe, die Strom in das marokkanische Netz liefere, erklärt der 26-jährige Bayed. „Und das nicht nur am Tag, sondern auch in den Abendstunden, wenn der Bedarf besonders hoch ist.“
Denn das Öl erhitzt nicht nur Wasser, sondern auch ein spezielles flüssiges Salz – geliefert von der BASF –, das die Hitze bei Noor I bis zu drei Stunden speichern kann. Clever. Aber kein Hexenwerk. Laut BASF handelt es sich um eine „technisch etablierte Lösung“. Salzschmelzen dienen dabei als „Latentwärmespeicher“.
Die für Noor I verwendeten Salzmischungen bestehen aus Natrium- und Kaliumnitrat. Latentwärmespeicher nutzen die Phasenumwandlung der Salze beim Wechsel von Fest nach Flüssig und ermöglichen so die Speicherung großer Wärmemengen. Doch Noor I ist nur der erste Schritt. Es folgt mit Noor II ein ähnliches, aber noch größeres Kraftwerk mit einem größeren Salzspeicher, der die Wärmespeicherung für bis zu sieben Stunden ermöglicht. Noor III wird ebenfalls mit Parabolspiegeln arbeiten. Die allerdings richten dann den Sonnenstrahl direkt auf einen rund 240 m hohen Turm, in dem sich ein 200-MW-Kraftwerk verbirgt. Dies ermöglicht den Ingenieuren zufolge eine noch bessere Ausnutzung des Sonnenlichts und führt zu Temperaturen von etwa 700 °C.
„Die Strahlungsenergie wird durch viele Einzelspiegel gebündelt und auf ein Empfängermodul an der Spitze des Turms reflektiert. Die Wärme wird dann über einen Dampfkreislauf an das Kraftwerk weitergegeben“, sagt Jan Schilling von der bundeseigenen KfW-Entwicklungsbank, einem der größten Finanziers der Anlage.
Noor IV schließlich ist als Photovoltaikkraftwerk ausgelegt. In gut zwei Jahren sollen alle vier Anlagen mit einer Leistung von 560 MW fertig sein. Dann erstrecken sich die Anlagen über eine Fläche von rund 3000 ha – das entspricht rund 4200 Fußballfeldern.
Geht es um die Perspektiven des Projekts, gerät Schilling, wie auch Masen-Chef Bakkoury und die Ingenieure, ins Schwärmen. „Vor zwei Jahren war da nichts, nur Wüste“, sagt er. „Heute stehen, so weit das Auge blicken kann, Parabolspiegel, die von der Sonne leuchten. Das ist beeindruckend und es hat Pilotcharakter für Marokko und die gesamte Region.“
Schilling ist bei der KfW-Entwicklungsbank für das Projekt Noor verantwortlich. Mit der Gewährung eines zinsgünstigen Kredits von rund 770 Mio. € im Auftrag der Bundesregierung ist sie neben der Weltbank, der Europäischen und der Afrikanischen Entwicklungsbank einer der wichtigsten Geldgeber. Ein Mammutprojekt. Auf rund 2,4 Mrd. € belaufen sich die Investitionskosten allein für Noor I bis III. Die KfW beteiligt sich nach eigener Aussage auch, weil Noor zeigt, wie eine Energiewende unter Ausnutzung von Wüstenstrom funktionieren kann. Und dass die „Energiewende auf Arabisch“ geht, ohne dass westliche Industrienationen direkt beteiligt wären.
Die Marokkaner hat das nicht gestört. Im Gegenteil. Sie stellen womöglich mit ihren Solarkraftwerken ein Geschäftsmodell auf die Beine, das in Zukunft zum Exportschlager werden könnte. Schließlich hat sich die EU verpflichtet, mehr und mehr Strom aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Und etliche Mitgliedsländer werden dies nicht aus eigener Kraft schaffen.
Erst einmal geht es den marokkanischen Projektpartnern aber um sich selbst, oder besser: ihre eigene Energieversorgung. Weil Öl und Kohle im Inland nicht verfügbar sind, muss der Staat beide Energieträger für Milliardenbeträge importieren – und das bei stetig wachsender Stromnachfrage. Die Importabhängigkeit ist frappierend: 95 % der Primärenergie bezieht Marokko aus dem Ausland. Deshalb baut das politisch und wirtschaftlich wohl stabilste Land der Region mit voller Unterstützung von König Mohammed VI die Energiegewinnung aus Sonne, Wind und Wasser stetig aus. Bis 2020 sollen jeweils Kapazitäten von 2000 MW zusätzlich installiert werden. Der Anteil der Erneuerbaren an der gesamten Stromproduktion soll von heute 30 % auf dann 42 % steigen, der Anteil von industriell produziertem Sonnenstrom im selben Zeitraum von 0 % auf 14 % zulegen.
Der gerade entstehende Noor-Komplex wird Strom für mindestens 1,23 Mio. Menschen erzeugen. Im Vergleich zu konventionellen Kraftwerken wird laut Schilling in der höchsten Ausbaustufe jedes Jahr der Ausstoß von mindestens 800 000 t CO2 vermieden, bei Noor I sind es bereits 230 000 t.
Auch wenn deutsche Konzerne bei Desertec ausgestiegen sind, gingen etliche Aufträge für Noor I nach Deutschland, das international als technischer Vorreiter bei erneuerbaren Energien gilt: So steuerte Siemens die gigantische Turbine bei, die Ende April angeliefert wurde. Verschifft wurde sie an den marokkanischen Mittelmeerhafen Nador. Der Transport per Lkw-Sondertransport – drei Fahrzeuge mit jeweils 300 t schweren Teilen – ins 800 km entfernte Ouarzazate war beschwerlich, dauerte knapp zehn Tage.
Die Firma Flabeg aus dem bayerischen Furth im Wald, die Ende 2014 von Acwa Power übernommen wurde, lieferte zudem die 537 000 Solarspiegel. Schott Solar und der Anlagenbauer GEA sind genauso beteiligt wie das Stuttgarter Ingenieurbüro Fichtner, das u. a. Thomas Schmitt in die marokkanische Wüste schickte.
Dort sollen sie den Fortgang der Arbeiten überwachen und die Anlage am Ende abzunehmen. „Wir schauen, dass sich alle Spiegel wie geplant bewegen und dass gemessene 100° auch 100° sind“, sagt der erfahrene Ingenieur. „Das ist zwar eine ausgereifte Technologie, aber das Vorhaben ist schon sehr komplex. Es geht eben nicht nur um eine Solaranlage auf einem Hausdach.“ In den USA und in Spanien werden schon seit Jahren ähnliche solarthermische Kraftwerke betrieben.
Ungewöhnlich viel Lob für ein solches multinationales Großprojekt kommt auch von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch in Bonn. Sie hat das Vorhaben, die Auswirkungen auf das Umfeld sowie die Beteiligung der Bevölkerung fast zwei Jahre lang untersucht und dabei bei mehreren Besuchen vor Ort 300 Interviews mit Menschen in Ouarzazate und den Dörfern um das Kraftwerksgelände herum geführt: „Vor dem Hintergrund, dass große Infrastrukturprojekte gerade in Entwicklungsländern immer Auslöser für lokale Konflikte sind, waren wir am Anfang skeptisch, am Ende jedoch verblüfft und positiv überrascht“, sagt Boris Schinke von Germanwatch.
Das benötigte Land z. B. wurde von einem lokalen Stamm gekauft. Der Erlös floss in einen Fonds, aus dem Schulen, Gesundheitseinrichtungen und der Straßenbau in Dörfern wie im benachbarten Tasselmante finanziert wurden. „Von 1800 Arbeitskräften auf der Baustelle sind mehr als 1500 Marokkaner, davon 700 aus den Dörfern in der unmittelbaren Umgebung“, so Schinke. Das gilt auch für den 29-jährigen Abdel Fatah Aif Ammi aus Agdz. „Die Leute hier“, erzählt er, „mögen das Projekt. Sie sind stolz darauf. Auch ich bin stolz, hier arbeiten zu können.“
Eine Aussage, die der Germanwatch-Experte bekräftigt. Die Arbeitszeiten und -bedingungen richten sich nach den Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). „Wir bauen hier schließlich keine Fußballstadien“, sagt ein deutscher Experte auf der Baustelle augenzwinkernd. Auch Umsiedelungen oder gar Vertreibungen waren – anders als bei den umstrittenen Bauprojekten zur Fußball-WM in Katar – kein Thema. Und mit Blick auf das zur Kühlung notwendige Wasser aus dem nahe gelegenen Stausee, so Schinke, nutze Noor I nur 0,7 % der vorhandenen Wassermenge.
Ingenieur Bached spricht sogar von nur 0,2 %. Bei den künftigen Kraftwerksblöcken setze Masen auf Trockenkühlung, lobt Schinke die marokkanischen Partner. Zudem bemühten sie sich, in den umliegenden Oasen Methoden zur Tröpfchenbewässerung zu entwickeln und die berufliche Fortbildung der Menschen in Ouarzazate zu unterstützten. „Unter dem Strich“, sagt Schinke. „ist die Akzeptanz für das Solarkraftwerk sehr hoch.“
Masen-Chef Bakkoury hebt die Bemühungen um die soziale Einbindung des Projekts nicht einmal besonders hervor. Er ist sich sicher, dass noch ein anderes bestehendes Problem in absehbarer Zeit gelöst wird: Noch ist der Strom aus der marokkanischen Wüste international nicht konkurrenzfähig, weil er teurer als Strom ist, der in konventionellen Gas- und Kohlekraftwerken erzeugt wird. Bei durchschnittlich 12 Euro-Cent/kWh werden die Produktionskosten liegen, prognostiziert Schilling.
Der Preis werde im Laufe der nächsten zehn Jahre auf unter 10 Euro-Cent sinken. „Der Strompreis wird vom Staat subventioniert. Aber wir bauen das nach und nach ab“, sagt Bakkoury. „Bei Noor II und III wird die Stromproduktion 15 % bis 20 % günstiger.“
Dann wäre das größte Solarkraftwerk der Welt endgültig ein Vorzeigeprojekt für Masen, die KfW, für Marokko, für die gesamte arabische Welt. Und für Ingenieur Schmitt aus Stuttgart sowieso.