Vom Ende her denken: Management von Großprojekten
Eine professionelle Organisationsstruktur und Umsetzung sind für gutes Projektmanagement genauso wichtig wie eine gelebte Fehlerkultur. Problematisch ist oft, dass Prioritäten falsch eingeschätzt werden, hat eine Studie der Hochschule Koblenz ergeben. Wenn ein Vorhaben erst einmal in Schieflage geraten ist, wird das schnell teuer.
Wenn Kosten und Bauzeit derart aus dem Ruder laufen wie beim Großflughafen Berlin Brandenburg (BER) und der Elbphilharmonie in Hamburg, hat das Projektmanagement meistens versagt. Beide Bauten sollten schon längst fertig sein und die Kosten haben sich seit Baubeginn vervielfacht.
In die Medien schaffen es meist die Projekte mit Pannen. Doch es geht auch mal alles gut:
Olympische Spiele in London: Die Baumaßnahmen wurden vier Monate vor Zeitplan und unter Budget abgeschlossen.
Tunnel Garmischer Straße in München: Statt Ende des Jahres wird er schon im Juni eröffnet.
Kreuzfahrtschiff Quantum of the Seas: Das bislang größte in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff wird nach einer Bauzeit von 20 Monaten termingerecht übergeben.
In Zahlen ausgedrückt: Die Bauarbeiten der Hamburger Konzerthalle begannen im Frühjahr 2007. Die Kosten für den Steuerzahler haben sich von den damals veranschlagten 77 Mio. € auf mittlerweile 789 Mio. € mehr als verzehnfacht. Wenn die Konzerthalle 2017 dann eröffnet wird, hat sich die geplante Bauzeit mehr als verdreifacht. Ähnlich lief es beim BER, wo zusätzlich noch Korruption im Spiel war.
„Eine wesentliche Ursache für das Scheitern von Projekten sind eine unvollständige, also nicht ausreichend tiefe und detaillierte Planung und eine zu frühe Bauvergabe“, erklärt Horst Amann, der kurzfristig als Technikchef des BER eingesprungen ist. In der Ausführungsphase kämen nämlich häufig Änderungen des Konzeptes hinzu. „Das sind die Schlüsselfaktoren, die im späteren Prozess schwer zu korrigieren sind.“
Der Bauingenieur hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im Projektmanagement (PM) von Bauvorhaben. Er weiß, wie notwendig eine klare Beschreibung der Entscheidungsprozesse, der Rollenverteilung und der Verantwortungsbereiche ist. Auch ein funktionierendes Berichtswesen und ausreichende Eskalationsmechanismen müssten eingeplant werden, damit später nichts schiefgehe, erklärt Amann.
„PM können Sie nicht kaufen, auspacken und anwenden. Das müssen Sie organisieren, in Ihrem Unternehmen!“, bekräftigt er. „Die passende Mischung aus Mensch, Methode, Organisation und Technologie ist wichtig. Und zu guter Letzt müssen alle das gleiche Ziel verfolgen.“
Seine Erfahrungen spiegelt auch eine neue Studie der Hochschule Koblenz wider, für die insgesamt über 450 Projektmanager vom Sachverständigen bis zum Vorstand befragt wurden. Die Wissenschaftler wollten wissen, welche Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg eines Projektvorhabens ausschlaggebend sind.
„Uns war wichtig, Erfolgs- bzw. Misserfolgsmuster differenziert und systematisch zu betrachten, also zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiven Fakten zu unterscheiden: Welche Ansätze sind tatsächlich sinnvoll und welche Relevanz haben sie?“, erklärt Studienleiter Ayelt Komus, Lehrstuhlinhaber Organisation und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Koblenz. Die vielen Handbücher und Publikationen zum Thema PM beruhten meist auf Erfahrungswissen und normativen Aspekten, die dem Anwender wenig Flexibilität erlaubten.
Die Wirtschaftswissenschaftler haben Faktoren mit dem größten Effekt untersucht und eine Diskrepanz zwischen ihren Ergebnissen und den Antworten der Projektplaner herausgearbeitet: Auf Platz 1 der Forscher ist der offene, konstruktive Umgang mit Konflikten, gefolgt von der Rollendefinition und der Kompetenzklärung. Auf Rang 3 folgten Informationen zu organisatorischen Veränderungsprozessen (Projektziel/-status/ -fortschritt).
In der subjektiven Wahrnehmung der Praktiker spielen die von den Wissenschaftlern ermittelten Kriterien eine wesentlich kleinere Rolle: bei ihnen landen sie auf den Plätzen 6, 5 und 13. Teamwork, Projektsteuerung und -entscheidung sowie Teammotivation belegten dagegen bei den Praktikern die ersten drei Plätze.
SCHLECHTES PROJEKTMANAGEMENT SCHADET DEM RUF DEUTSCHLANDS ALS INGENIEURNATION
Begeisterungsfaktoren wie Teamgeist sind auch laut Studie nicht zu unterschätzen. Hier ist vor allem die Projektleitung gefragt: Diese soll fachlich erfahren sein, über Methodenkompetenz und Führungsstärke verfügen. Sie soll die Mitarbeiter motivieren und ausreichend zeitnahe Entscheidungen treffen können.
Lernen gehört dagegen für alle zu den wichtigen Erfolgsfaktoren: Laut Studie finden die Befragten es notwendig, nach dem Projektende Verlauf und Ergebnisse zu analysieren und zu bewerten. „Wichtig ist, dass die Beteiligten Fehler als etwas Normales akzeptieren, sie als Chance zu lernen begreifen und sie anpacken“, sagt Wissenschaftler Komus.
Kontraproduktiv ist dagegen eine Lagerbildung zwischen Auftraggeber und Projektteam oder externen Partnern. Weitere Faktoren für das Misslingen eines Projekts sind laut Studie die Vernachlässigung von Risikomanagement und mangelnde Einbindung und Information von Interessengruppen, wie der Öffentlichkeit oder der Fachabteilungen.
Fehlerhaftes Projektmanagement bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben wirke negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft, glaubt Amann: „Schließlich dient PM auch der Sachverwaltung von Steuermitteln. Mit gutem PM lässt sich volkswirtschaftlicher Schaden vermeiden.“ Wirtschaftsinformatiker Komus weist auf den immateriellen Schaden hin, denn schlechtes PM trifft „den Kern des guten Rufs Deutschlands als Ingenieurnation“. Und schließlich sei die Asymmetrie in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zu unterschätzen: „Erfolgreiche Projekte werden schnell abgehakt. Wir diskutieren meist über das, was nicht funktioniert.“