Verkehr 27. Okt 2016 Christa Friedl Lesezeit: ca. 3 Minuten

Sauberer Diesel ist möglich

Eines der vier Fahrzeuge, die die Karlsruher Forscher mit der neuen Technologie ausgerüstet haben. Am Heck in weiß: das portableMesssystem.
Foto: IFKM

Schmeichelnde Lederbezüge, poliertes Furnier, integrierte Displays für Navi und Assistenzsysteme – innen gleicht der Mercedes-Benz E220d 2.0 l anderen Limousinen seiner Klasse. Das Neue liegt unter der schwarzglänzenden Haube: eine veränderte Abgasreinigung, die niedrige Schadstoffemissionen erstmals auch im realen Fahrbetrieb sicherstellen soll. „Ein wirklich sauberer Diesel also“, sagt Olaf Toedter, Motorexperte am Institut für Kolbenmaschinen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

Wirklich sauber? Spätestens seit 2015 weiß jeder, dass viele Dieselfahrzeuge im realen Fahrbetrieb weit mehr schädliche Stickoxide (NOx) emittieren als der vorgeschriebene Testzyklus glauben macht. Dass es auch anders geht, wollen die Karlsruher Forscher beweisen. Sie haben vier aktuelle 2-l- bzw. 3-l-Modelle von Mercedes, Audi, BMW und VW besorgt und für eine Testfahrt aufgerüstet: mit einem in Auspuffhöhe querliegenden Stahlbügel, der ein weißes Messgerät in Größe einer Mikrowelle trägt. Dieses Portable-Emissions-Messsystem erfasst nahezu in Echtzeit neben Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid auch den Ausstoß anderer Schadstoffe. Während der Fahrt werden alle Werte von einem Laptop auf dem Beifahrersitz dokumentiert.

Solche Messungen sind entscheidend für die Zukunft des Dieselmotors. Ab kommendem Jahr müssen neue Modelle in der EU veränderte Testzyklen bestehen: die Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure (WLTP) und erstmals einen Real Drive Emission (RDE) Test. Für den RDE-Test ist vorgesehen, dass das Fahrzeug mindestens 90 min auf einer Strecke von mehr als 48 km bei niedriger, normaler und hoher Last gemessen wird – im Stau genauso wie bei ruhiger, gemäßigter Fahrt, auf der Autobahn genauso wie an starken Steigungen.

Am Testtag ist auf den Straßen in und um Karlsruhe ziemlich viel los. Trotz häufigem Stop-and-Go mit kaltem Motor, scharfen Bremsmanövern und schneller Beschleunigung bei freier Straße überraschen die Werte auf dem Laptop: Nie liegen die Stickoxid -Emissionen höher als 120 mg/km, bei ruhiger Fahrt und um Tempo 100 pendeln sie gar im Bereich der Nachweisgrenze. Auch die anderen Schadstoffe liegen extrem niedrig.

Die Dieselhersteller haben dafür keine neue Chemie erfunden. Vielmehr werden die bisherigen Methoden und Komponenten zur Abgasreinigung verändert platziert. Die gesamte Anlage aus Oxidationskatalysator, Harnstoffeinspritzung, beschichtetem Partikelfilter und der Einheit zur Reduktion der Stickoxide (SCR) sind nicht mehr voneinander getrennt, sondern motornah im selben Bauraum untergebracht.

Die katalytisch wirksamen Bauteile werden durch die Hitze des Motors schnell auf die erforderliche Temperatur von rund 180 °C gebracht. Der Wärmeverlust ist weit geringer als bisher und das System arbeitet schnell unter optimalen Bedingungen.

Das heiße Abgas durchläuft zuerst den Oxikat, der unverbrannte Kohlenwasserstoffe umwandelt. Danach wird in den Abgasstrom eine kleine Menge Harnstofflösung eingespritzt und verdampft. Der Harnstoff zersetzt sich in Ammoniak und Isocyansäure. Im katalytisch beschichteten Dieselpartikelfilter wird der Ruß gefiltert, außerdem reagieren die Stickoxide mit dem gebildeten Ammoniak zu unbedenklichem Luftstickstoff und Kohlendioxid. Die Rückführung von gekühltem Abgas in zwei getrennten Kreisläufen mindert zudem die NOx -Bildung direkt im Motor.

Wer aber glaubt, die optimierte Abgasreinigung oder die neuen Meßzyklen sind Reaktionen auf „Dieselgate“, der irrt. Am motornahen Katalysator arbeiten die Hersteller bereits seit etwa zehn Jahren, über WLTP und RDE wird in Brüssel schon seit über 15 Jahren diskutiert. Aber erst jetzt sind laut Toedter sowohl Motor als auch Abgasreinigung so effizient, robust und kompakt entwickelt, dass sie in einem „all-inclusive“-Antrieb verbaut werden können. Trotzdem gewährt der EU-Gesetzgeber einen großzügigen Emissionsbonus. Bis 2021 dürfen die NOx-Werte bei RDE um den Faktor 2,1 höher liegen als der Grenzwert von 80 mg/km, danach noch um den Faktor 1,5. Gründe dafür sind, dass die neue Messtechnik noch Unsicherheiten zeigt und die motornahe Abgasreinigung zunächst nur in der Oberklasse angeboten wird.

Dennoch: Die neue Technologie soll das Ruder in der Dieseldebatte endlich wieder herumreißen. „Natürlich war der Einbau einer Abschalteinrichtung illegal und inakzeptabel“, sagt Toedter. Niedrige Emissionen auf der Straße aber habe der Gesetzgeber bislang nicht gefordert. Dass die Werte von Teststand und Straße weit auseinanderklaffen, war daher Motorentwicklern schon immer bekannt. Jetzt aber, so hoffen viele, startet der Diesel neu durch. Toedter: „Das Thema Emissionen ist mit den neuen RDE-Fahrzeugen technisch jedenfalls vom Tisch.“

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