1995: Schluss mit der Solarproduktion in Deutschland
„Deutschland führt die Forschung an, ... die Früchte der Arbeit übernehmen andere“, klagte unsere Autorin Silke Welther am 7. Juli. 1995 in ihrem Beitrag „Stromversorger stellen Fertigung von Solarzellen ein“. Es sollte nicht das letzte Mal sein, sondern ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten.
Das Leben war kurz für die „Angewandte Solarenergie GmbH“, kurz ASE, eine Tochter des Essener Energiekonzerns RWE und des Autoriesen Daimler-Benz. Erst 1994 gegründet, kam ein Jahr später schon das Aus für die Photovoltaikherstellung in Deutschland.
Zur Jahresmitte 1995 kam dann die schlechte Nachricht: Die bisher am Standort Wedel konzentrierte Modulfertigung wird in die USA verlagert. Nur eine Pilotfertigung bleibt dort für die Zellentwicklung. Was noch bleibt, sind Hightechstandorte wie Putzbrunn. Dort fokussiert man aber auf Zellen und Module aus amorphem Silizium, damals im Entwicklungsstadium. In Heilbronn entstehen Gallium-Arsenid-Hochleistungsmodule für die Raumfahrt.
Solarproduktion in Deutschland lief international hinterher
Reiner Rosendahl, ehemaliger Vertriebsleiter bei Flachglas Solartechnik, blickte im Artikel „Stromversorger stellen Fertigung von Solarzellen ein“ unserer Autorin Silke Welther frustriert auf die Entwicklung. „Man soll nicht den Wölfen das Schafehüten überlassen. Die Energieversorger beteiligen sich an den Solarfirmen, weil sie die Technik anders nicht mehr aufhalten können“, glaubte er.
In der Tat befand sich die deutsche Photovoltaikindustrie fest in Hand der hiesigen Stromversorger. Zwar hielten Daimler und RWE beide 50 % der Anteile, aber Entscheidungen, so schrieb Welther, würde RWE treffen. „Die Solarenergie ist in Deutschland nicht nicht anwendungsreif“, zitierte sie am 7. 7. 1995 Ulrich Beyer, den Hauptabteilungsleiter regenerative Energien bei RWE.
Deutsche Solartechnik begann bereits in den 1960er-Jahren
Ein gutes Jahr zuvor, 1994,war erst bekannt geworden, dass die RWE-Tochter Nukem GmbH in Alzenau und die zum Daimler-Benz-Konzern gehörende Deutsche Aerospace AG (Dasa), München, ihre Solartechnikaktivitäten in die ASE einbringen wollten. Man wolle die Marktposition der beiden Partner bei regenerativen Energieträgern stärken, hieß es damals. 235 Arbeitsplätze in Forschung, Produktion und Vertrieb bot die ASE. „Nukem und Dasa wollen das auf diesem Gebiet bescheidene Geschäft in diesem Jahrzehnt kräftig ausbauen“, schrieb ein Jahr zuvor die FAZ in ihrem Wirtschaftsteil. Was zumindest in Deutschland nicht passierte.
Jahre zuvor mischte in der deutschen Photovoltaikbranche noch die Telefunken AG mit. Konkret machte sich im Januar 1964 ein Entwicklerteam an die Arbeit, ein auf Solarzellen basiertes Energieversorgungssystem für das erste deutsche Satellitenprojekt der Nachkriegsjahre zu entwickeln, mit Namen Azur. Möglich machte das ein Mitarbeiter des US-Solarzellen-Unternehmens Hoffmann Electronics, der zu Telefunken gewechselt war. Die Module wiederum sollten am AEG-Schiffbaustandort Wedel gefertigt werden. Das AEG-Telefunken-Konsortium setzte sich dabei sogar gegen konkurrierende Technologie von Siemens aus München durch.
Deutsche Solartechnik konsolidierte sich innerhalb weniger Jahre
Was folgte, war der Konsolidierung deutscher Traditionsunternehmen geschuldet. Telefunken ging in AEG-Telefunken auf, AEG wiederum kam über die Dasa zum Daimler-Benz-Konzern und somit zur ASE. Weitere Wurzeln der ASE waren MBB PST (Phototronics Solartechnik) und die RWE-Tochter Nukem. Diese hatte sei 1979 in Alzenau Solarzellen und Module aus kristallinem Silizium entwickelt.
Letze der vier Technologiewurzeln der ASE war das US-Unternehmen Mobil Solar Energy Corp. Die ASE hatte dieses Unternehmen im August 1994 übernommen. Es brachte ein 1973 entwickeltes, eigenes Waferfertigungsverfahren namens EFG mit ein: Edge-Defined Film-fed Growth. Dabei wird Silizium als dünner Mantel eines hohlen Oktagons aus der Schmelze gezogen, geschnitten wird mit Lasern. Ein Verfahren, das schon damals mit deutlich weniger Zeit, Energie und Material Siliziumwafer fertigen ließ als das klassische Sägen aus dem Vollmaterial.
RWE blickte 1995 beim Solarstopp in Deutschland auf den Weltmarkt
Die Energiestrategen in Essen bei RWE schlossen zwar 1995 die Modulproduktion in Wedel, planten aber am US-Standort Billerica, Massachusetts, dem ehemaligen Firmensitz der Mobil Solar Energy, eine Ausweitung der Kapazitäten von 1,5 MW auf 4 MW. Dazu verschob man einfach die deutschen Fertigungskapazitäten dorthin. Zur Erinnerung: Heute wird die Jahreskapazität von Solarfabs in Gigawatt angegeben.
Mit Folgen, die, so Autorin Silke Welther, auch schon aus den Bereichen Unterhaltungselektronik und Computer bekannt seien: „Deutschland führt die Forschung an, die Markteinführung und damit die Früchte der Arbeit übernehmen andere – vorzugsweise die Amerikaner und Japaner.“ Eine Klage, die man heute noch hört, nur die Nationalitäten haben sich teils geändert. Der Niedergang des deutschen „Solar Valley“ 2011/2012 begründete die Vormachtstellung chinesischer Hersteller. Allerdings in einem doch völlig anderen Umfeld.
In den letzten 20 Jahren machte das Erneuerbare-Energien-Gesetz Solar in Deutschland hoffähig und führte zu einem Boom. Und dennoch, wie unsere Autorin zu berichten wusste, waren die Anfänge auch damals schon spürbar, nämlich durch die lokale Einführung einer kostendeckenden Vergütung: „Dieses Modell wird in einigen Städten bereits praktiziert, darunter neben Hamburg, Remscheid und Soest auch in Aachen“, schrieb sie. Höhe dieser Vergütung: 2 DM.