Chemie 08. Jul 2016 Ralph H. Ahrens Lesezeit: ca. 3 Minuten

Braunkohle wird zu Synthesegas

Die Kohleindustrie sucht ihren Platz in Zeiten der Energiewende. Wenn Kohle nicht verheizt und verstromt wird, könnte sie Rohstoff für die Chemie werden. Wege, dies umweltfreundlich zu tun, zeigten Experten auf einer Konferenz in Köln auf.

Steht nie still – der Schaufelradbagger fördert Braunkohle für die Energiewirtschaft.
Foto: Rainer Weisflog

Neue Verwertungswege für Kohle diskutierten im Juni mehr als 200 Fachleute aus 20 Ländern in Köln. Kohle als Rohstoff für Chemiewerke zu nutzen stand im Fokus der Konferenz „Innovative Coal Value Chains“. Das sei möglicherweise eine Chance für die Braunkohle, meinte NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin auf der Konferenz. Deutschland gestalte die Energiewende, und es solle weniger Kohle verfeuert werden. Denn: „Mit der Kohle lassen sich schönere Sachen machen als sie einfach nur zum Erzeugen von Strom und Wärme zu nutzen“, weiß auch der Minister.

Der Grundgedanke: Chemiefirmen in Deutschland nutzen jährlich ca. 13 Mio. t Erdöl, um daraus Polymere für Kunststoff herzustellen. „Sie könnten dafür auch 25 Mio. t getrocknete Braunkohle verwenden“, rechnet Bernd Meyer, Leiter des Instituts für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen an der TU Bergakademie Freiberg in Sachsen, vor. Dazu müssten die Moleküle der Kohle statt die des Öls gecrackt werden.

Die Technik ist bekannt. Kohle wird unter hohem Druck und bei hohen Temperaturen unter Sauerstoffmangel verbrannt. Die Moleküle zerbrechen in Bruchstücke, die teilweise oxidiert werden. Ein Gasgemisch mit den Hauptkomponenten Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) entsteht. Aus diesem Synthesegas können Methan oder chemische Grundbausteine wie Methanol, Ethen oder Propen hergestellt werden.

In den kohlereichen Ländern Australien, China, Südafrika und USA geschieht dies bereits. In Deutschland hingegen wurden die letzten großtechnischen Kohlevergaser zum chemischen Recycling hauptsächlich von Kunststoffabfällen im Gemisch mit Kohle am Standort Schwarze Pumpe in Brandenburg im Jahr 2007 stillgelegt.

Aktuell ist Kohlechemie hierzulande keine Option: Erdöl ist billig und die Klimabilanz einer solchen Kohlenutzung hat zwei Seiten. „Sie ist grob gesagt um 40 % besser als beim Verstromen, allerdings um 50 % schlechter, als wenn Kunststoff aus Erdöl verwendet wird“, so Meyer (s. Interview).

Der CO2-Fußabdruck der stofflichen Nutzung muss also kleiner werden. Daran wird gearbeitet. Ein Ansatz ist die „mild gasification“, also das Vergasen bei niedrigeren Temperaturen. Zum Vergleich: In China werden meist Flugstromvergaser verwendet. Dabei wird fein gemahlene Kohle bei sehr hohen Temperaturen vergast, das austretende Synthesegas ist 1500 °C heiß. Bei ebenfalls benutzten Festbettvergasern wird die Kohle zwar bei nur 1100 °C vergast, aber es entstehen als unerwünschte Nebenprodukte Teere und Öle, die mit viel Wasser aus dem Synthesegas ausgewaschen werden.

An „mild gasifications“ wird in Deutschland seit 2015 in zwei Pilotanlagen geforscht. Der Hochtemperatur-Winkler-Wirbelschicht-Vergaser (HTW) an der TU Darmstadt unterscheidet sich dabei vom „Coorved“-Vergaser (CO2-Reduktion durch innovatives Vergaserdesign) an der TU Bergakademie Freiberg. Der HTW hat eine Wärmekapazität von 0,5 MW, der in Freiberg von 0,1 MW.

Darmstadt: Forscher der dortigen TU und von Thyssenkrupp Industrial Solutions vergasen grob gemahlene Kohle. Dazu wird Sauerstoff über viele Düsen in die Wirbelschicht geblasen. Kohle und Sauerstoff werden gut durchmischt, die Wärme gut übertragen. „Die Vergasung kann daher bei nur rund 800 °C stattfinden“, erklärt Michael Eckbauer, Technologiemanager bei Thyssenkrupp.

„Wir benötigen im Schnitt etwa 25 % weniger Sauerstoff als Flugstromvergaser“, ergänzt Eckbauer. Der Prozessingenieur hält dieses Verfahren für Rheinische Braunkohle geeignet, da es durch eine Nachvergasung saubereres Synthesegas erzeugt als es im Festbettverfahren möglich ist. Zudem enthalte diese Braunkohle viele Aschepartikel, die sich im unteren Teil der Wirbelschicht ansammeln und mit einer Schnecke abgezogen werden. Beim Flugstromverfahren hingegen wird die Asche aufgeschmolzen, tropft in ein Wasserbad, verfestigt sich und wird dann ausgeschleust.

Freiberg: Der an der TU Freiberg betriebene Coorved-Reaktor kombiniert Elemente der Festbett- und der Wirbelschichtvergasung. Staubförmige Kohle wird in den unteren Teil des Vergasers eingebracht, das sauerstoffhaltige Vergasungsmittel über eine zentrale Düse oberhalb zugeführt. Um diese Flamme, die heißer als 2000 °C wird, zirkulieren Gase und Stäube.

„Der Clou ist, dass sich mineralische Bestandteile elegant abtrennen lassen“, sagt Martin Schurz, Leiter des Coorved-Projekts. Dazu braucht es hohe Temperaturen im Inneren des Vergasers. Während organische Bestandteile der Kohle zu Synthesegas umgewandelt werden, kleben die Aschepartikel zusammen. Diese Agglomerate fallen zu Boden und lassen sich aus dem Reaktor austragen. „Wir erhalten somit ein fast staubfreies Synthesegas sowie deponiefähige Ascheagglomerate“, zeigt sich Verfahrenstechniker Schurz begeistert. Dieses Verfahren eigne sich besonders gut für aschereiche Kohle.

Und nicht nur das, ergänzt Schurz: „Wir können die Vergasung so steuern, dass wir bis zu 99 % des Kohlenstoffs der Kohle im Synthesegas wiederfinden.“ Die Synthesegase treten – je nach Kohle – mit Temperaturen zwischen 1000 °C und 1100 °C aus dem Vergaser aus.

Keine Frage: Kohlevergasung wird effizienter. Guido van den Berg, SPD-Abgeordneter im NRW-Landtag, hegt deshalb bereits Hoffnungen fürs Rheinische Braunkohlerevier – wie auch für die Kohleregionen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Schwung bekam die Diskussion um eine alternative Kohlenutzung bereits 2015 durch die Enquete-Kommission des NRW-Landtags zur Zukunft der Chemieindustrie in NRW. Sie empfahl den Firmen, sich vom Rohstoff Erdöl unabhängiger zu machen.

„Neben mehr Einsatz von Biomasse, Abfällen oder CO2 hat die Kommission auch die Möglichkeit des Einsatzes von Braunkohle geprüft“, so Hans-Christian Markert, der die Enquete initiierte und leitete. Allerdings bremst der grüne Landtagsabgeordnete Markert ein wenig die Euphorie: „Die CO2-Emissionen der Chemie aus Kohle sind nicht nur vergleichsmäßig sehr hoch, der Kohleabbau in Tagebauen stellt auch einen lange andauernden Eingriff in die Natur dar.“

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