„Bei modernen Dieselfahrzeugen ist das NOX-Problem technisch gelöst“
Dieselfahrzeuge mit aktueller SCR-Technologie unterbieten die Grenzwerte um ein Vielfaches.
Der SCR-Katalysator zählt bei den Pkw zu den neueren Entwicklungen. 2009 liefete Daimler in den USA die ersten Serienfahrzeuge mit diesem System aus, bei dem die bei der Verbrennung entstehenden Stickoxide (NOX) in der Abgasnachbehandlung mittels Harnstoffeinspritzung zu Stickstoff und Wasser gewandelt werden.
Ausgabe 40: SCR-Katalysatortechnik
Ausgabe 42: Partikelfiltertechnik
Ausgabe 44: Feinstaubbelastung und -messverfahren
Ausgabe 46: NOX
Ausgabe 48: CO2
Die Geschichte des SCR-Katalysators beginnt zunächst in Japan Mitte der 70er-Jahre im Bereich der Kraftwerksbefeuerung. In den 1990er-Jahren hatte sich dann ein Bündnis der Nutzfahrzeughersteller Iveco, Daimler, DAF und Volvo gebildet, das den Einsatz des SCR-Katalysators für Nutzfahrzeuge vorantrieb. Ab 2004 gingen diese Systeme dann bei den schweren Lkw in Serie. 2007 gab es die ersten SCR-Katalysatoren, erstmalig in Kombination mit einem Partikelfilter, im Pkw-Bereich. Daimler war hierbei – ebenfalls in den USA – der Vorreiter. Recht schnell zogen andere Hersteller wie z. B. BMW nach. Viele Erkenntnisse, die in den USA mit geringen Stückzahlen gewonnen wurden, flossen danach in Europa im großen Maßstab in die Dieselprodukte ein.
Das für die selektive katalytische Reduktion (englisch: selective catalytic reduction, SCR) benötigte Ammoniak kann nicht direkt bereitgestellt werden, da es in hohen Konzentrationen ein stechend riechendes, giftiges Gas ist, das zu Tränen reizt. Es wird daher aus der Reaktion einer Lösung gewonnen, die zu 32,5 % aus Harnstoff und 67,5 % demineralisiertem Wasser besteht – AdBlue genannt. Diese Lösung wird vor dem SCR-Katalysator in den Abgasstrang eingesprüht. Durch Thermolyse und Hydrolysereaktion entstehen dann Ammoniak und CO2.
Das Ammoniak wiederum kann im SCR-Katalysator bei entsprechender Temperatur reagieren und die Stickoxide in Wasser und Stickstoff aufspalten. Auf diese Weise wird der Ausstoß von Stickoxiden bei neuen Dieselmotoren um bis zu 98 % reduziert.
„Damit ist das NOX-Problem bei modernen Dieselfahrzeugen technisch gelöst“, sagt Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Die große Herausforderung war und ist, dass AdBlue nur in einem Temperaturfenster zwischen 180 °C bis 400 °C dosiert werden sollte. Dosiert man unterhalb von ca. 180 °C, führt das zu unerwünschten Belagsbildungen, bestehend u. a. aus Ammelinen und Melaminen – vor allem jedoch Biuret. Diese Stickstoff-Wasserstoff-Sauerstoffverbindungen führen bei einer AdBlue-Einspritzung bei niedrigeren Temperaturen zu korrosiven Ablagerungen, die den gesamten Antriebsstrang blockieren können.
„Die Herausforderung ist tatsächlich, dass man nicht immer 180 °C im Abgas hat, besonders bei niedrigen Außentemperaturen oder wenn ein Fahrzeug hauptsächlich im Kurzstreckenverkehr bewegt wird“, erläutert Koch. „Die Dieseltechnologie ist äußerst effizient, es wird wenig Kraftstoff eingespritzt, es besteht ein Luftüberschuss.“
Einerseits darf unter ca. 180 °C kein AdBlue eingespritzt werden, andererseits sanken die Abgastemperaturen, da die Autohersteller vor allem die Verbrauchsreduzierung im Fokus hatten. Anders als CO2 lassen sich Stickoxide nicht durch sparsamere Verbrennung reduzieren. Das Gegenteil ist der Fall: Bei spritarmer Verbrennung schnellt der Stickoxidausstoß hoch – ein Zielkonflikt für Automobilbauer.
Die Folge: Zwar wurde die CO2-Bilanz kontinuierlich besser, doch das Erreichen der für das SCR-System erforderlichen Mindesttemperaturen im Abgasstrang wurde vor allem im Teillastbereich immer anspruchsvoller. Mit dem Ergebnis, dass die Einspritzung von AdBlue via Regelung oder Temperatursensor gestoppt werden musste. „So ist zu erklären, dass erste Fahrzeuge trotz SCR-Katalysator und Euro 6 deutlich mehr als 500 mg NOX/km emittierten“, blickt Koch zurück.
Foto: VDI nachrichten
Die Autohersteller arbeiteten weiter an der Herausforderung, dass das SCR-System schneller im optimalen Temperaturfenster arbeiten und die Stickoxide eliminieren kann. So hat z. B. Daimler bei Dieselmotoren der neuesten Generation (OM 654) die Anordnung aller Abgasreinigungstechnologien direkt an den Motor gelegt, damit sie nicht nur von der Motorwärme profitieren können, sondern auch von heißeren Abgasen.
„Die neuesten Diesel- und Abgasnachbehandlungstechniken sind über jeden Zweifel erhaben“, sagt Koch und plädiert für eine weniger in die Vergangenheit, als vielmehr in die Zukunft gerichtete öffentliche Diskussion. Bei den neuesten Euro-6-Dieselfahrzeugen liege der NOX-Ausstoß bei 20 mg bis 50 mg/km im Stadtverkehr auf dem Niveau von Benzinmotoren. „Unstrittig ist auch der CO2-Vorteil des dieselmotorischen Antriebs im Vergleich zum Benziner. Ein Wechsel nur von 1 % der Neufahrzeuge vom Diesel- zum Benzinantrieb führt allein in Deutschland zu einer CO2-Mehremission von mindestens 5000 t/Jahr“, bilanziert Koch.