Bitkom schlägt Alarm: Fachkräftemangel erreicht Höchststand und weniger Studierende der Informatik
Der Branchenverband Bitkom verzeichnet den höchsten Stand beim Fachkräftemangel seit vier Jahren. Zudem studieren immer weniger Frauen und Männer Informatik.
Der Mangel an IT-Fachkräften hat sich trotz Krisen und Krieg verschärft. Derzeit fehlen laut Branchenverband Bitkom in Deutschlands Unternehmen 137 000 IT-Expertinnen und -Experten quer durch alle Branchen. Damit liege die Zahl sogar über dem Vor-Corona-Jahr 2019 mit 124 000 unbesetzten Stellen. Die Coronapandemie hatte den Fachkräftemangel in den Jahren 2020 und 2021 leicht abgemildert. 2020 waren 86 000 Stellen für IT-Fachkräfte offen, vor einem Jahr 96 000. Das sind Ergebnisse der neuen Bitkom-Studie zum Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte, für die 854 Unternehmen aus allen Branchen repräsentativ befragt wurden.
„Wir erleben auf dem IT-Arbeitsmarkt einen strukturellen Fachkräftemangel. Der Mangel an IT-Fachkräften macht den Unternehmen zunehmend zu schaffen und wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „Der demografische Wandel führt dazu, dass signifikant weniger junge Menschen mit IT-Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kommen und zugleich scheiden mehr ältere aus einschlägigen Berufen aus. Der Fachkräftemangel entwickelt sich zum Haupthindernis bei der digitalen Transformation.“
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Zuwanderung aus Russland und Belarus würde laut Bitkom rund 59 000 IT-Stellen besetzen
Aktuell sagen nur noch 8 % der Unternehmen, dass das Angebot an IT-Fachkräften ausreichend ist (2021: 13 %), 74 % sprechen hingegen von einem Fachkräftemangel (2021: 65 %). Und 70 % rechnen damit, dass sich der Fachkräftemangel in Zukunft verschärfen wird (2021: 66 %), nur noch 2 % (2021: 9 %) erwarten, dass er abnimmt. Zuwanderung aus Russland und Belarus: Potenzial von 59 000 IT-Stellen. Rund ein Drittel (37 %) der Unternehmen mit offenen IT-Stellen würde IT-Fachkräfte aus Russland oder Belarus einstellen, sofern sie vorher eine behördliche Sicherheitsprüfung durchlaufen haben. Tatsächlich hat aber erst jedes 100. Unternehmen (1 %) IT-Expertinnen oder -Experten aus diesen beiden Ländern eingestellt. 11 % hatten seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs konkrete Pläne dazu, sind aber an bürokratischen Hürden gescheitert. Insgesamt gibt es laut Bitkom ein Potenzial von 59 000 Stellen, die mit IT-Fachkräften aus Russland und Belarus besetzt werden könnten. Berg: „Wir müssen gerade jetzt ukrainische IT-Anbieter und Nearshore-Dienstleister partnerschaftlich stabilisieren und in den digitalen Wertschöpfungsnetzwerken halten. Gleichzeitig sollten wir sicherheitsüberprüfte IT-Experten aus Russland und Belarus nach Deutschland holen und hier wirtschaftlich und gesellschaftlich dauerhaft integrieren.“ Um dem Fachkräftemangel dauerhaft entgegenzuwirken, erwarten laut Bitkom neun von zehn Unternehmen (88 %) von der Politik, die Fachkräfteeinwanderung stärker zu fördern, etwa indem Prozesse digital und damit schneller und weniger bürokratisch abgewickelt werden. „Die Bundesregierung arbeitet an einer Novelle des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, deren Ausrichtung wir voll unterstützen. Es ist wichtig, dass wir gerade mit Blick auf den IT-Bereich berufspraktische Erfahrung genauso berücksichtigen wie formale Abschlüsse. Überflüssig ist bei IT-Fachkräften aber der fortdauernde Nachweis von Deutschkenntnissen bereits bei der Einreise“, so Berg. „Wichtig wäre, den Einwanderungsprozess konsequent zu digitalisieren und zu entbürokratisieren.“
Bitkom fordert erleichterte Zuwanderung für qualifizierte IT-Fachkräfte
Aus Bitkom-Sicht sollte die Zuwanderung von qualifizierten IT-Spezialistinnen und -Spezialisten grundsätzlich weiter erleichtert werden. Dies sei auch deshalb wichtig, da das Interesse am Informatikstudium in Deutschland im zweiten Jahr in Folge gesunken ist. Im vergangenen Jahr haben nur noch 72 075 Menschen in Deutschland ein Informatikstudium aufgenommen, das sind 3000 weniger als im Jahr 2020 und fast 6000 weniger als im Jahr 2019. Weniger als die Hälfte schließen ihr Studium auch ab, lediglich 31 125 Studierende beendeten 2021 erfolgreich ihr Informatikstudium.
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Personalsuche dauert im Schnitt zurzeit 7,1 Monate
Im Durchschnitt bleibt laut Bitkom eine offene Stelle für IT-Fachkräfte inzwischen 7,1 Monate unbesetzt. Das sei noch einmal ein Anstieg um gut zwei Wochen gegenüber dem Vorjahr. Die Unternehmen verlassen sich dabei nicht nur auf Stellenausschreibungen (93 %) und Initiativbewerbungen (97 %), sondern versuchen auf einer Vielzahl an Kanälen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. 61 % übernehmen Praktikantinnen oder Praktikanten, vor einem Jahr waren es erst 42 %. 31 % präsentieren sich auf Karrieremessen (2021: 24 %), 22 % setzen auf Headhunting (2021: 14 %) und 21 % nutzen Active Sourcing (2021: 12 %), also die aktive Ansprache von potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten zum Beispiel in sozialen Medien. 12 % versuchen ihren Fachkräftebedarf durch die Übernahmen freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in feste Anstellungsverhältnisse zu decken (2021: 10 %). Unternehmen würden Bewerbungsprozesse digitaler machen und versuchten auch, die erste Bewerbung für Interessierte so einfach wie möglich zu gestalten.