ARBEIT 09. Jul 2019 Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 5 Minuten

„Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr zeitgemäß“

Die Berater von Rheingans Digital Enabler sind sich einig: Ein Fünf-Stunden-Tag reicht völlig. Die digitale Transformation verlangt nach neuen Arbeitskonzepten, fordert Unternehmensgründer Lasse Rheingans.

Noch wenige Minuten, dann ist Mittag – und Feierabend. An einem Vormittag lässt sich genauso viel erledigen wie an einem Acht-Stunden-Tag, lautet das Credo der Befürworter kurzer Arbeitszeiten.
Foto: panthermedia.net/IgorTishenko

VDI nachrichten: Herr Rheingans, Sie reduzieren die Arbeitszeit auf 25 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich. Sind die Möglichkeiten, die die moderne Technik bietet, der Grund für die Arbeitszeitverkürzung?

Rheingans: Es ist zunächst die Erkenntnis, dass ich selbst und viele Mitarbeiter, die in Teilzeit arbeiten, das gleiche oder nahezu das gleiche Ergebnis in weniger Zeit hinbekommen.

Bielefelder Avantgardisten

Rheingans Digital Enabler mit Sitz in Bielefeld berät und begleitet Kunden bei der Umsetzung ihrer Digitalstrategien.

Geschäftsführer Lasse Rheingans startete im Herbst 2017 mit dem Fünf-Stunden-Arbeitstag, dem ersten Projekt dieser Art in Deutschland.

Gab es dafür ein Konzept?

Wir haben pragmatisch und unkonventionell angefangen. Wir waren uns einig, ab sofort nur noch fünf Stunden für unseren Job und das gleiche Ergebnis Zeit zu haben. Um zu sehen, was passiert, wo es klemmt, wo wir eventuell schneller Dinge erledigen können als vorher.

Das Pensum mal eben so auf fünf Stunden reduzieren – das geht doch nicht von heute auf morgen.

Lasse Rheingans ist überzeugt: „Auch die Älteren sind bereit für ,High Performance Work‘, wenn der Ausgleich, also der Mehrwert, der ihnen geboten wird, stimmig ist.“Foto: Margarete Klenner

Es klemmte gar nicht so sehr, wie ich befürchtet hatte. Die zunächst eintretende Minikrise wirkte wie ein Vergrößerungsglas, das organisatorische Missstände oder „Sand im Getriebe“ bei bestimmten Prozessen sehr deutlich vor Augen führte. Es gab keine Möglichkeit mehr, Missstände zu kaschieren – wie innerhalb eines Acht-Stunden-Tages. Es wurde offensichtlich, bei welchen Mitarbeitern eine viel zu hohe Arbeitslast lag oder wo Dinge vorher schon fernab von optimal liefen.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee der Arbeitszeitverkürzung gekommen?

Ich habe mir selbst in meiner vorherigen Agentur an zwei Nachmittagen in der Woche frei genommen, um mehr Zeit für meine Kinder und meine Hobbys zu haben, aber auch, um meine vielen Abend- oder Wochenendtermine auszugleichen.

Und Sie waren von Beginn mit sich im Reinen?

Zu Beginn musste ich mich quasi selbst ruhigstellen, in dem ich mir vor Augen rief, dass ich ja auch am Wochenende arbeite und die ein oder andere Abendveranstaltung besuche, damit ich auf die als Norm betrachteten 40 Stunden wöchentlich komme. Mir wurde aber klar, dass es darum heutzutage gar nicht mehr geht. Es geht um Ergebnisse, nicht um Anwesenheit.

Die Erkenntnis beruhte auf dem Learning-by-doing-Prinzip.

Nicht nur. Ich begann, mich mit anderen Arbeitszeitmodellen zu beschäftigen, angefangen bei der „4-hour-workweek“ von Tim Ferris über Studien, vornehmlich aus Skandinavien, bis zur New-Work-Bewegung. Am Ende stand für mich fest, dass ein Acht-Stunden-Tag in der heutigen Wissensgesellschaft und in kreativen Jobs nicht mehr zeitgemäß und auch nicht mehr sinnvoll ist. Ich wollte auf jeden Fall in der von mir im Oktober 2017 übernommenen Agentur das „andere“ Arbeiten einmal ausprobieren.

Direkt bei der Übernahme ein neues Arbeitsmodell – war der Zeitpunkt günstig?

Für das Team und die Kunden gab es durch die Übernahme und den neuen Namen ohnehin einen Umbruch, sodass ich den Zeitpunkt für am besten geeignet hielt.

Wie sah die Resonanz in Ihrer Belegschaft aus?

Es scheint, als hätten wir dort den Zeitgeist und einen Nerv getroffen. Meine Kollegen konnten es erst nicht glauben, was der Chef vorschlug, haben dann aber gerne bei dem zuerst als Experiment angesetzten Projekt mitgemacht.

Und die Öffentlichkeit?

Die hat offensichtlich nur auf so einen „Verrückten“ gewartet. Viele Zeitungen und Fernsehsender haben über uns berichtet. Das ging sogar so weit, dass ich Interviews mit Journalisten aus den USA und ganz Europa geführt habe. Eine Diskussion über die Zukunft der Arbeit ist angesichts der digitalen Transformation schon lange überfällig. Wir hinken in Deutschland tatsächlich hinterher; viele Prozesse funktionieren noch viel zu analog. Der Kulturwandel zeigt sich zwar hier und da, wird von vielen Verantwortlichen aber gerne ignoriert. Diese Ignoranz ist – zu Zeiten des Fachkräftemangels und der Digitalisierung – schon fast grob fahrlässig.

Welche Vorteile haben sich durch den FünfStunden-Tag ergeben?

Die Vorteile liegen auf der Hand: Alle Mitarbeiter haben um 13 Uhr Feierabend und können sich ihrem Privatleben widmen. Dazu gehört neben den Hobbys die Möglichkeit, dem ständigen Stress, der in unserer Gesellschaft um sich schlägt, entspannter zu begegnen. Manche Kollegen nutzen die Zeit, sich fachlich – und freiwillig! – fortzubilden. Das zeigt, dass viele mit Leidenschaft ihren Beruf ausüben. Am Ende profitieren alle davon: Die Kollegen, weil sie mehr Zeit für sich haben, die Firma, weil hier motivierte, loyale, erholte und fokussierte Mitarbeiter mit Freude arbeiten, die Kunden, weil sie Leistungen aus einem Team erhalten, das für die Sache brennt. Und ich profitiere auch persönlich, weil ich Kollegen um mich habe, die ein kleines Stück glücklicher und entspannter durchs Leben gehen.

Und die Nachteile?

Wir haben weniger Zeit für Smalltalk. Auch Fortbildungen und interne Meetings werden reduziert. Hier suchen wir noch nach sinnvollen Lösungen, vielleicht reservieren wir einen Tag oder zwei Tage im Monat dafür. Alternativ wären freiwillige Angebote zum Gedankenaustausch denkbar. Einige Kollegen nutzen die Zeit nach 13 Uhr für ein gemeinsames Mittagessen, bei dem die Arbeit aber in der Regel kein Thema ist.

Nehmen Mitarbeiter Arbeit mit nach Hause? Gibt es Wochenendarbeit?

Nein, dass würde den Fünf-Stunden-Tag ad absurdum führen. Sollte ein Kollege das Pensum nicht in fünf Stunden schaffen, kann er die Arbeitszeit verlängern. Das kommt aber selten vor und soll künftig noch viel seltener passieren.

Ihr Ansatz beruht auf der intrinsischen Motivation, in relativ kurzer Zeit viel aus sich herauszuholen. Nicht jeder Beschäftigte hat so viel Engagement.

Wir sollten versuchen, Menschen in Jobs und Positionen zu bekommen, in denen sie mit Leidenschaft und intrinsisch motiviert arbeiten. Das versuchen wir jedenfalls umzusetzen. Daher sehe ich auch Kündigungen von Kollegen nicht immer kritisch. Das ist womöglich ein Zeichen, dass sie in ihrer Position nicht so glücklich arbeiten konnten, wie es an anderer Stelle eventuell der Fall wäre.

Arbeitsverdichtung bedeutet in der Regel mehr Stress. Jüngere Mitarbeiter sind für solch einen Kompromiss zu haben. Aber die Älteren?

Zum einen liegt das Durchschnittsalter in meinem Team bei Mitte 20 – daher kann ich keine fundierte Antwort liefern, wie sich die Arbeitsverdichtung bei älteren Kollegen auswirken würde. Meine Vermutung ist jedoch, dass auch die Älteren bereit für diese Art „High Performance Work“ sind, wenn der Ausgleich, also der Mehrwert, der ihnen geboten wird, stimmig ist. Und es ist auch so: Am Ende versuchen wir das gleiche Arbeitspensum in weniger Zeit zu schaffen. Nicht durch schnelleres Abarbeiten, sondern durch Effizienzsteigerungen und Weglassen von Unnötigem. Das heißt, jeder einzelne Job muss nicht plötzlich doppelt so schnell durchgeführt werden, sondern besser geplant und fokussierter sein sowie ohne ständige Störungen über die Bühne gehen.

Auf welche Inhalte und Abläufe haben Sie verzichtet?

Wir haben Unnötiges gestrichen, finden aber immer noch Schrauben, an denen wir drehen können, wie etwa zu lange Meetings. Klare Zielvorgaben und eine klare Agenda können viel Zeit sparen. Ein weiterer Ansatz sind soziale Medien. So reicht es, E-Mails zweimal täglich zu bearbeiten. Auch haben wir unsere interne Kommunikation angepasst. An manchen Stellen macht die Kommunikation im Ticketsystem Sinn, an manchen eher in Slack, für manche Bereiche ist die Face-to-Face-Kommunikation für bestimmte Themen am effektivsten ist.

Damit das System effizient ist, muss es reibungslos funktionieren. Wo gibt es das schon?

Wesentliche Voraussetzung ist ehrliche und zielführende Kommunikation auf Augenhöhe. Sobald die Kommunikation im Team schief hängt, Leute immer einen Schuldigen suchen und somit ehrlicher Austausch über Missstände über alle Teams hinweg nicht möglich ist, kann so ein High-Performance-Modell nicht funktionieren, da ein toxisches Umfeld dem gemeinsamen Lernen und Verbessern im Wege steht.

Steht hinter dieser Arbeitsphilosophie ein bestimmtes Menschenbild?

Ich will mich nicht besser darstellen als ich bin, bin aber grundsätzlich der Auffassung, dass jede Kollegin und jeder Kollege einen Spitzenjob machen möchte. Vielleicht steckt dahinter tatsächlich ein positives Menschenbild. Ich bin nicht der Chef, der ständig auf der Suche nach Schuldigen ist, wenn Dinge nicht so laufen wie geplant. Vielmehr analysiere ich gemeinsam mit den Kollegen, woran es gelegen haben könnte und was wir daraus lernen können.

Ist die Zahl der Bewerbungen gestiegen, seitdem sich das Modell herumgesprochen hat?

Ja, auf jeden Fall. Aber es sind durchaus auch Bewerbungen dabei, die mich etwas irritieren. Vermutlich melden sich auch Menschen, die am liebsten gar nicht arbeiten wollen und meinen, dafür wäre unsere Firma ein Auffangbecken.

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