Geflüchtete aus der Ukraine: Knapp die Hälfte beabsichtigt längerfristig zu bleiben
Eine Befragung zeigt die hohe Bereitschaft vieler ukrainischer Geflüchteter, in Deutschland Fuß fassen zu wollen. Die Erwerbstätigkeitsquote ist Anfang des Jahres gegenüber dem Spätsommer 2022 etwas gestiegen. Die Politik sollte zügig Klarheit über künftige Aufenthaltsperspektiven schaffen, fordern die Autorinnen und Autoren der Studie.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 sind mehr als 1 Mio. Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Die Lebensbedingungen und Teilhabechancen dieser Geflüchteten haben sich hierzulande seitdem verbessert: Zu Beginn des Jahres 2023 besucht die Mehrheit von ihnen einen Sprach- oder Integrationskurs oder hat diesen bereits abgeschlossen, fast vier von fünf geflüchteten Ukrainern und Ukrainerinnen leben in einer privaten Wohnung oder einem Haus. Der Anteil der erwerbstätigen Geflüchteten ist zwischen Spätsommer 2022 und Jahresbeginn 2023 leicht gestiegen. Unter den nicht erwerbstätigen Geflüchteten besteht ein hohes Interesse, eine Arbeit aufzunehmen.
Fast die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten (44 %) beabsichtigt längerfristig in Deutschland zu bleiben, Tendenz steigend. Das sind einige Ergebnisse der zweiten Befragungswelle der Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Beim Erlernen der deutschen Sprache gibt es deutliche Fortschritte
Bereits im vergangenen Spätsommer wurden mehr als 11 000 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer zwischen 18 und 70 Jahren in ganz Deutschland befragt, Anfang 2023 dann erneut fast 7000 Personen dieser Gruppe, um die aktuellen Lebensbedingungen und Veränderungen zu dokumentieren. „Das Zwischenfazit ist durchaus ermutigend – die gesellschaftliche Teilhabe hat zuletzt deutliche Fortschritte gemacht“, erklärt Markus M. Grabka, SOEP-Direktoriumsmitglied im DIW Berlin. „Ein Selbstläufer ist das jedoch nicht“, ergänzt Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ am IAB in Nürnberg. „Die Geflüchteten benötigen Planungssicherheit, ob sie sich in Deutschland langfristig aufhalten dürfen – auch wenn der Krieg beendet sein wird. Gerade für den Deutscherwerb und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sind die Perspektiven enorm wichtig.“
Viele Geflüchtete, die auf (Aus-)Bildungssuche sind, gute Deutschkenntnisse haben und sich hierzulande willkommen fühlen, wollen für immer bleiben. Insbesondere beim Erlernen der deutschen Sprache gibt es bis Anfang 2023 deutliche Fortschritte: Drei von vier ukrainischen Geflüchteten haben zu diesem Zeitpunkt einen oder mehrere Deutschkurse besucht oder bereits abgeschlossen, am häufigsten einen Integrationskurs. Die Deutschkenntnisse haben sich nach eigener Einschätzung der Geflüchteten seit dem Spätsommer 2022 verbessert.
„Da ein Großteil der Geflüchteten zu Jahresbeginn noch einen Integrationskurs besuchte, sollte der Anteil mit Abschlüssen mittlerweile weiter gestiegen sein. Durch weitere Sprachkursbesuche sowie den Austausch im Privaten und im künftigen beruflichen Alltag dürften sich die Deutschkenntnisse noch weiter verbessern“, erklärt Nina Rother, Leiterin des Forschungsfelds „Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ am BAMF-FZ in Nürnberg.
Studienautorinnen und -autoren verlangen verlässliche Aufenthaltsperspektiven
Aufgrund der hohen Beteiligung an Sprach- und Integrationskursen, die die künftigen Arbeitsmarktchancen verbessern, ist die Erwerbstätigkeitsquote im Vergleich zum Spätsommer 2022 nur etwas gestiegen: 18 % der 18- bis 64-Jährigen gehen zu Beginn des Jahres 2023 einer Beschäftigung nach, im Spätsommer 2022 waren es 17 %. Über zwei Drittel der ukrainischen Geflüchteten, die Anfang 2023 (noch) nicht erwerbstätig waren, wollen dies sofort oder innerhalb des kommenden Jahres tun. „Das dürfte sich dann auch positiv auf das (bedarfsgewichtete) Haushaltseinkommen der Geflüchteten auswirken, das zum Befragungszeitpunkt bei durchschnittlich 850 € liegt.“
Unternehmen sollen sich der Flüchtlinge aus der Ukraine annehmen
Die Studienautorinnen und -autoren empfehlen der Politik, schnell über die Verlängerung des vorübergehenden Schutzes ukrainischer Geflüchteter über März 2024 hinaus zu entscheiden oder andere längerfristige Aufenthaltsperspektiven zu schaffen. „Investitionen in die soziale Teilhabe und in Beschäftigungsverhältnisse setzen Planungs- und Rechtssicherheit sowie verlässliche Aufenthaltsperspektiven voraus – sowohl für die Geflüchteten selbst als auch für die deutsche Gesellschaft“, resümieren die Forschenden. Zudem seien weiterhin ausreichende finanzielle Mittel und Personal für Integrationsprogramme, Bildung und Ausbildung erforderlich.