Industrieunternehmen investieren in den Nachwuchs
Den Zukunftsperspektiven für Ingenieurinnen und Ingenieure widmete sich eine hochkarätig besetzte virtuelle Podiumsdiskussion während der Hannover Messe.
VDI nachrichten: Herr Plünnecke, Ihr Institut veröffentlicht zusammen mit dem VDI regelmäßig die Studie „Ingenieurmonitor“. Welche Spuren hat die Coronakrise auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen?
Plünnecke: Es zeigt sich ein sehr gemischtes Bild. Zunächst hatten wir im zweiten und dritten Quartal des vergangenen Jahres einen starken Einbruch bei den offenen Stellen und eine Zunahme der Arbeitslosenzahl erlebt, der Tiefpunkt lag im Sommer. Trotzdem gab es immer noch Engpässe auf dem Ingenieurarbeitsmarkt. Wenn wir die Daten vom Februar 2021 mit denen vom Februar 2020 vergleichen – also dem letzten Monat vor der Krise –, zeigt sich eine leichte Zunahme der offenen Stellen, vor allen Dingen für Bauingenieure und Informatiker. Im Maschinenbau, dem Fahrzeugbau und Forschung und Entwicklung sowie Produktionssteuerung stieg dagegen die Zahl der Arbeitslosen stärker als die der offenen Stellen. Seitdem erholt sich der Ingenieurarbeitsmarkt wieder.
Inwieweit schlagen hier strukturelle Probleme durch, etwa in der Automobilindustrie?
Plünnecke: Digitalisierung und Energiewende lösen in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen riesigen Bedarf an Ingenieuren und Informatikern aus. Denn dafür benötigen wir enorm viel Innovation und Infrastruktur. Auf Deutschland entfallen nur 2 % der CO2-Emissionen, wir können aber mit effizienten Technologien dazu beitragen, dass die Welt bei der Dekarbonisierung vorankommt. Aber auch in den klassischen Bereichen wird der Nachwuchs dringend gebraucht, denn dort sind viele Ingenieure in der Altersklasse „55plus“.
Herr Appel, inwieweit machen sich diese Probleme bei den VDI-Mitgliedern bemerkbar?
Appel: Nach meinem Eindruck sind die Probleme eher kurzfristig von der Coronakrise verursacht als durch einen Strukturwandel. Zu den Konsequenzen der Pandemie haben nur 8 % unserer Mitglieder in einer Umfrage angegeben, sie machten sich Sorgen um die Zukunft, und nur 12 % planten eine neue berufliche Orientierung. Die große Mehrheit gab an: „Wir sehen weiterhin gute Aussichten für uns.“
Eine Frage an die Personalverantwortlichen: Wie gehen Sie in der Praxis mit der Krise um?
Grieger: Vergangenes Jahr hatten wir für eine begrenzte Zeit und einen relativ geringen Teil der Mitarbeit Kurzarbeit angemeldet. Damit ist es uns gelungen, das Stammpersonal zu halten. Seit Januar zieht der Markt richtig an, und wir müssen unsere Planung entsprechend anpassen und dabei die Frage einbeziehen, wie nachhaltig der Aufschwung ist.
„Ich glaube an die antizyklische Nachwuchsentwicklung“
Klemme: Bei Lenze lief die Entwicklung ähnlich. Wir spüren den Aufschwung deutlich, beobachten die Entwicklung in den Märkten aber weiterhin eng, um schnell reagieren zu können. Wie andere Hersteller in unserer Branche auch, merken wir aktuell den weltweiten Mangel an elektronischen Bauteilen. Dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsleben in den nächsten Jahren begegnen wir, indem wir junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Unternehmen gewinnen.
Maassen: Ich glaube sehr stark an die antizyklische Nachwuchsentwicklung. Deshalb haben wir für dieses Jahr die Zahl unserer Auszubildenden und dual Studierenden nach oben gesetzt. Wir haben auch mehr Hochschulabsolventen eingestellt, weil wir überzeugt sind, dass Krisenzeiten Vorbereitungszeiten für den Aufschwung sind. Im Moment erlebe ich eine etwas schizophrene Situation. Wir haben aktuell 250 offene Stellen ausgeschrieben, aber zu wenige Bewerbungen. Offensichtlich gibt es im Auslauf der Covidkrise eine Beharrungstendenz nach dem Motto: „Das warte ich jetzt erst einmal ab.“
„In Krisenzeiten warten Menschen erst einmal ab“
Klemme: Wir beobachten dies ebenfalls bei den Initiativbewerbungen, die deutlich zurückgegangen sind. Auch wir halten die duale Ausbildung weiter auf hohem Niveau. Sorgen bereitet uns die Situation der Schülerinnen und Schüler, die gerade nicht wissen, wie sie ihre Abiturprüfungen erfolgreich absolvieren sollen. Die Regeln in der Pandemie ändern sich stetig, sodass die Verlässlichkeit und eine klare Linie fehlen – das verunsichert.
Grieger: In Krisenzeiten warten die Menschen erst einmal ab, bevor sie sich zu einer Veränderung entschließen. Dass es wirtschaftlich seit Monaten wieder aufwärts geht, ist noch nicht im Bewusstsein angekommen. Insofern befinden wir uns gesamtgesellschaftlich weiter im Krisenmodus. Aber ich hoffe, dass mit einem Erfolg der Impfkampagne die Mobilität der Fachkräfte wieder zunimmt.
Welche Hard- und Softskills verlangen Sie aktuell von den Bewerberinnen und Bewerbern?
Maassen: Ich wehre mich dagegen, jedes Jahr über neue Kompetenzen und Schlüsselfunktionen zu reden, und quasi eine neue Sau durchs Dorf zu treiben. Seit meinem eigenen Berufseinstieg hat sich doch relativ wenig geändert, außer dass wir durch die digitalisierte Welt mit Digitalkenntnissen ein zusätzliches Kompetenzset haben. Insofern sage ich: Same procedure as every year. Ich unterscheide zwischen agilen Methoden, agiler Haltung und agiler Organisation. Den Methodenkoffer muss heute nahezu jeder beherrschen und auch ein agiles Mindset sollten wir uns unbedingt zulegen. Ich bin aber skeptisch, ob wir die Aufbauorganisation eines kompletten Unternehmens auf agile Strukturen umstellen sollten.
„Agilität wird die Unternehmenskulturen verändern“
Grieger: Früher haben wir gesagt, der Bewerber oder die Bewerberin muss flexibel sein, heute gibt es sicher ein anderes Wording dafür. Generell muss die Passung einfach da sein. Dazu gehören bestimmte Fachkompetenzen, ebenso wie eine Persönlichkeit, die zur Unternehmenskultur passt. Das Thema agile Organisation finde ich spannend, aber es wird nicht sofort eine 180-Grad-Wende geben. Stattdessen wird die Agilität in den nächsten zehn, 20 Jahren die Unternehmenskulturen verändern.
Klemme: Junge Menschen fordern die Agilität bereits ein. Allerdings können die Unternehmen ihre Veränderungsgeschwindigkeit durchaus noch erhöhen. Dafür müssen sie sich vor allem von ihren gewachsenen, starren Strukturen lösen. Die Pandemie mit dem abrupten Umstieg auf mobiles Arbeiten hat uns gezeigt, wie schnell Veränderungen passieren können, mit denen zuvor niemand gerechnet hat. Für die Zukunft gilt es, das Beste aus beiden Welten zu nutzen. Ich erwarte eine Mischung aus virtueller und Präsenzzusammenarbeit im Unternehmen.
Appel: Was wir alle noch lernen müssen, ist die richtige Balance aus mobilem Arbeiten und Präsenz im Unternehmen. In einer Befragung sagten unsere Mitglieder, sie könnten sich vorstellen, zwei Tage pro Woche zu Hause zu bleiben, um dort konzentriert arbeiten zu können. Gleichzeitig erachten sie die Präsenz im Unternehmen für wichtig, etwa für kreative Aufgaben im Kreis der Kolleginnen und Kollegen und für das Networking.
Inwieweit bereiten die Hochschulen auf die Anforderungen der Berufspraxis vor?
Plünnecke: Das tun sie seit geraumer Zeit schon sehr gut. Die Hochschulausbildung in Deutschland hat einen sehr guten Ruf. Ich hoffe, dass durch Corona die digitale Lehre einen Impuls bekommt, auch mit Blick auf die akademische, berufsbegleitende Weiterbildung. Aktuell fällt ein Großteil der Praxiserfahrung für Studierende weg, etwa weil es wegen der Hygienevorschriften und dem Arbeiten im Homeoffice kaum möglich ist, in einem Praktikum sinnvoll angeleitet zu werden. Absolventinnen und Absolventen haben es auch schwerer, ein Netzwerk aufzubauen. Was mir ebenfalls Sorgen macht, sind der Distanzunterricht an den Schulen und ihre wiederkehrenden Schließungen. Die Auswirkungen werden sich beim Ingenieurnachwuchs in den nächsten fünf bis zehn Jahren bemerkbar machen. Wir benötigen Anstrengungen der Politik, um diese Lücken gerade in den Mint-Kenntnissen zu schließen.
„Universitäten haben Berührungsängste“
Appel: Der VDI macht sich schon lange Sorgen um den Mint-Nachwuchs, jetzt verstärkt durch die Coronanachwehen. Erste Studien lassen in den nächsten Jahren schlechtere Pisa-Ergebnisse in diesen Fächern an den Schulen erwarten. Defizite sehe ich auch bei der Ausrichtung der Studiengangscurricula am Bedarf der Unternehmen. Wir haben vor zwei Jahren zusammen mit dem VDMA ein Modell entwickelt, wie die digitale Transformation in die Curricula der Hochschulen aufgenommen werden kann. Dieses sogenannte T-Shape-Modell sieht etwas weniger Tiefe in bestimmten Bereichen vor, und dafür mehr Breite in anderen. An den Fachhochschulen sind wir auf breite Zustimmung in der Zusammenarbeit mit Unternehmen in der Lehre gestoßen. Die Universitäten haben dagegen häufig noch Berührungsängste nach dem Motto: „Wir bilden zunächst theoretisch aus.“ Um dem entgegenzuwirken, hoffe ich auf den Druck des Marktes.
Klemme: Wir arbeiten mit diversen Hochschulen direkt und konstruktiv zusammen, unter anderem mit der Technischen Hochschule OWL, hier in unserer Region. Dort haben wir eine Professur gestiftet. Weitere wesentliche Pfeiler sind die Industriepromotionen, die wir regelmäßig anbieten, sowie das duale Studium, das bereits seit 1990 bei uns möglich ist. Diese Verzahnung mit der Wissenschaft ist für uns als mittelständisches Unternehmen enorm wichtig.
„Dauerndes Schielen auf Rankings der Eliteuniversitäten“
Maassen: Genau wie Herr Appel beobachte ich ein Gefälle bei der Zuwendung der Hochschulen zur Wirtschaft. Mit dualen Hochschulen haben wir qua System enge Zusammenarbeit, mit den Fachhochschulen wiederum deutlich enger als mit den Universitäten. Mit einigen sogenannten Eliteuniversitäten wird es noch schwerer, weil bei ihnen mit dem dauernden Schielen auf Rankings nur die theoretische Forschungsarbeit zählt. Dieser Trend ist aus meiner Sicht umzukehren. Die größten Probleme sind zum einen die Aktualität der Curricula und zum anderen, dass die Hochschulen zu wenig Plätze für ein duales Studium zur Verfügung stellen. Ich kann deshalb gerade bei Trumpf nicht genug DHBW-Studenten für die Digitalberufe einstellen. Ich brauche 40 weitere Plätze, um unser ambitioniertes Ziel für 2022 erreichen zu können. Wir sind zwar in Gesprächen mit den Hochschulen, aber da wünsche ich mir deutlich mehr Tempo.
Grieger: Wir haben hier in Ostwestfalen-Lippe ein sehr enges Geflecht zwischen Industrie und Hochschulen. Wegen dieser Nähe haben wir trotz Pandemie weiterhin Praktika und Werkstudententätigkeiten angeboten. Aber noch einmal zur DHBW: So eine Einrichtung fehlt außerhalb von Baden-Württemberg in der Hochschullandschaft. Da vermisse ich die Offenheit der Hochschulen, solche Initiativen flächendeckend anzubieten.
Herr Plünnecke, ist das Studium der Mint-Fächer für Frauen attraktiver geworden?
Plünnecke: Der Anteil der Frauen an den Studienanfängern und an den Studierenden insgesamt nimmt seit einigen Jahren zu. Bei Tests an den Schulen zeigt sich immer wieder, dass bei gleicher Leistung die Selbsteinschätzung der Mädchen niedriger ausfällt als die der Jungen.
Das gilt auch für die Eltern: Sie überschätzen die Kompetenzen ihrer Söhne und unterschätzen die der Töchter. Wir müssen den Mädchen ihre Stärken in den Naturwissenschaften und in der Mathematik viel nachdrücklicher bewusst machen. Da liegt noch ein weiter Weg vor uns, bis Mädchen ihre Fähigkeiten konsequent in der Berufs- und Studienorientierung umsetzen.
Wie sieht es mit Frauenanteil und -förderung in den Unternehmen aus?
Maassen: Beim Nachwuchs beträgt bei Trumpf der Frauenanteil um die 25 %. Das reicht uns keinesfalls.
Ich stimme Herrn Plünnecke zu, dass wir in den Schulen beginnen müssen, die Kinder und Jugendlichen – besonders die Mädchen – für Technik zu begeistern. Da tun wir als Unternehmen schon sehr viel, mit Praxiswochen, Berufsorientierungsangeboten und Ähnlichem, aber das alles fällt seit einem Jahr wegen Corona aus. Ich befürchte, dass wir deshalb mindestens einen Jahrgang verlieren. Deshalb müssen wir diese Initiativen mit voller Kraft wieder aufnehmen, sobald die Normalität zurückkehrt.
„Erzieherinnen interessieren sich nicht für Technik“
Klemme: Bei uns liegt der Frauenanteil in ähnlicher Höhe wie bei Trumpf. Für mich beginnt das Heranführen an Mint-Themen bereits in den Kindergärten, wo heute viel für die musische Erziehung getan wird, aber wenig Technikunterricht stattfindet.
Wir stellen regionalen Kitas und Kindergärten Technikkits für die ganz Kleinen zur Verfügung. Bei der Anwendung unterstützen unsere dualen Studenten und Auszubildenden. In der Vergangenheit scheiterte die Verwendung der Kits häufig daran, dass sich die Erzieherinnen nicht auskannten oder sich gar nicht für Technik interessierten.
Zu den multikulturellen Teams: Ihre Wichtigkeit zeigt sich schon mit dem Blick auf die Welt, wenn wir 85 Mio. Menschen in Deutschland und 750 Mio. in Europa mit den Zahlen für Amerika (ca. 330 Mio.) und Asien (ca. China 1,4 Mrd./ Indien ca. 1,4 Mrd.) ins Verhältnis setzen. Internationalisierung, also Menschen über Grenzen hinweg zusammenzubringen, ist neben der Digitalisierung die zweite große Herausforderung und gleichzeitig Chance im internationalen Wettbewerb.
Grieger: Ich würde gerne viel mehr Ingenieurinnen einstellen, leider ist der Frauenanteil gerade im Elektrotechnikstudium schon immer sehr niedrig gewesen, weshalb Ingenieurinnen auf dem Arbeitsmarkt so selten vertreten sind. Auch wir kooperieren mit Schulen bereits ab den ersten Klassen und mit Hochschulen. Es wäre wichtig, den Beruf des Kindergärtners und des Grundschullehrers für Männer attraktiver zu machen, um beide Geschlechter von Anfang an in die Erziehung zu integrieren. Und auch die Curricula sollten von Anfang an das Thema Technik stärker berücksichtigen.
„Der VDI ist noch lange nicht paritätisch unterwegs“
Appel: Der VDI ist bei Kindern und Jugendlichen mit eigenen Klubs aktiv. Wir haben fast 50 Kinderklubs, die sogenannten VDInis. Unser Leuchtturmprojekt ist die Technikgarage in Leipzig als außerschulischer Lernort, an dem auch Schulen aus der Region ihren Technikunterricht abhalten. Unsere Pläne, solche Lernorte in anderen Städten zu etablieren, hat die Pandemie erst einmal verzögert. Ich verweise auch auf unseren Technikfonds, für den wir gemeinsam mit Unternehmen Geld einsammeln, um Lehrerinnen und Lehrer unbürokratisch bei Projekten mit 2500 € bis 5000 € im Technikunterricht zu unterstützen. Bei den Ingenieurinnen ist auch der VDI noch lange nicht paritätisch unterwegs.
Deshalb haben wir das Netzwerk „Frauen im Ingenieurberuf“, in dem sich rund 10 000 Frauen engagieren. Den nächsten Kongress hält das Netzwerk am 12. Juni ab, bei dem mehrere hundert Frauen aus Wissenschaft, Industrie und Studium digital ihre Erfahrungen austauschen. Es ist teilweise noch sehr überraschend, was junge Frauen bei dieser Gelegenheit aus dem Arbeitsklima etwa bei einem kleinen Mittelständler in der Provinz berichten. Um das zu ändern, haben wir schon vor vielen Jahren das Konzept der „Role Models“ geschaffen, für das 400 Frauen als Unterstützerinnen bereitstehen, etwa bei Kamingesprächen. In wenigen Wochen geht auch unser Mentoring-Programm an den Start, in dem wir Berufsanfängerinnen und Nachwuchsführungskräften erfahrene Kolleginnen zur Seite stellen.
Zu guter Letzt: Wir tragen zwar das „Deutsch“ im Namen, sind aber international aufgestellt, etwa mit Bezirksgruppen im Ausland. Wir wollen diese internationalen Aktivitäten verstärken, was dringend nötig ist, denn die Immatrikulation ausländischer Studierender an den Hochschulen ist im vergangenen Jahr um ein Fünftel zurückgegangen.
Zum Abschluss die Frage: Was bleibt – abgesehen vom Homeoffice – von den Veränderungen durch die Coronakrise erhalten, wenn die Pandemie irgendwann besiegt ist?
Plünnecke: Die Coronakrise wird eine Strukturveränderung in der gesamten Volkswirtschaft bewirken, wobei Branchen, die typischerweise Ingenieurinnen und Informatiker beschäftigen, weniger betroffen sein werden. Digitalisierung und Dekarbonisierung sind die beiden großen Herausforderungen der Ingenieurkunst, wobei wir in Deutschland gute Chancen haben, an diesen Herausforderungen zu wachsen.
Klemme: Wir haben gelernt, digitale Technik anders und schneller zu nutzen. Aber vor allem auch, anders zusammenzuarbeiten, dabei den Menschen mehr Vertrauen zu schenken und Freiräume zu schaffen. Ich spreche von Zutrauen, Vertrauen und Eigenverantwortung. Zur Digitalisierung zitiere ich gern mit einem Augenzwinkern unseren auf der Hannover Messe 2016 präsentierten Slogan: „Wir machen Industrie 4.0 seit 1947.“ Es zeichnet die mittelständische Industrie in Deutschland aus, dass sie kontinuierlich an Verbesserungen gearbeitet hat und dies weiterhin tut. So werden wir die Digitalisierung und die weitere Globalisierung zu unserem Vorteil nutzen können.
„Welches soziale Miteinder wollen wir haben?“
Maassen: Corona hat uns gezeigt, wie verletzlich wir als Volkswirtschaft, als Unternehmen und besonders als Menschen sind. Ich will hier einmal an die Kehrseite der Medaille erinnern: Kinder mit Gewalterfahrungen, zerrüttete Beziehungen, vereinsamte Singles im Homeoffice. Für diese Probleme brauchen wir Lösungen für die Zukunft. Im ersten Lockdown sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerne zu Hause geblieben, eine aktuelle Umfrage zeigt, dass viele jetzt wieder zurück an den Arbeitsplatz kommen möchten. Mit gebührendem Abstand zur Krise sollten wir zurückblicken und uns überlegen, was für ein soziales Miteinander wir in den Unternehmen und in der Gesellschaft haben wollen.
Grieger: Ähnliche Umfrageergebnisse haben wir auch hier bei Weidmüller. Wir werden künftig bewusster entscheiden, wann und zu welchem Zweck arbeite ich zu Hause oder im Unternehmen? Welche persönlichen Kontakte baue ich auf oder pflege ich? Dieser bewusstere Umgang miteinander wird bleiben, das gilt auch für die Mitarbeiterführung. Der zweite Punkt betrifft das Krisenmanagement. Die Anfälligkeit der Lieferketten wurde breit diskutiert. Sie wird man rechtzeitig überdenken müssen, um nicht mehr so verwundbar zu sein. Denn nach der Krise ist vor der nächsten Krise.
„In der Pandemie haben wir gelernt, was möglich ist“
Appel: Wir werden künftig sehr viel direkter über die Hierarchieebenen hinweg kommunizieren. Der CEO eines weltweit tätigen Konzerns erzählte mir kürzlich, dass er früher pro Jahr 25 Reisen rund um den Globus unternahm, um jedes Mal rund 20 Führungskräfte zu treffen, die wiederum anschließend ihre Mitarbeitenden informierten. Jetzt veranstaltet das Unternehmen virtuelle Town-Hall-Meetings, bei denen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugeschaltet sind, was eine viel größere Nähe ermöglicht. Die Zukunft wird in einem Mix aus persönlichem Austausch vor Ort und virtuellem Treffen sein. Auch beim VDI werden wir die Büroflächen in Düsseldorf drastisch reduzieren und mit unseren rund 650 Mitarbeitenden mit etwa einem Fünftel weniger Bürofläche auskommen. In der Pandemie haben wir gelernt, was morgen und übermorgen möglich sein wird. Das ist das Positive an der Krise.
Die Teilnehmer der virtuellen Podiumsdiskussion
- Ralph Appel, VDI-Direktor
- Andreas Grieger, Executive Vice President Human Resources Global beim Elektrotechnikunternehmen Weidmüller
- Ralf Klemme, HR Director von Lenze, einem Anbieter von Automatisierungs- und Antriebstechnik sowie Vorsitzender des Fachbeirats Beruf & Arbeitsmarkt im VDI
- Oliver Maassen, Chief Human Resources Officer beim Werkzeugmaschinenbauer Trumpf
- Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation beim Institut der deutschen Wirtschaft
- Die Podiumsdiskussion fand anlässlich des VDI nachrichten Job Hub online statt, der Karriereplattform der Hannover Messe.
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