Ingenieurmangel auf Rekordhoch: VDI startet Pilotprojekt zur Integration ausländischer Fachkräfte
Mehr als 170 000 Stellen für Ingenieure und Ingenieurinnen sind laut VDI und IW unbesetzt – ein neuer Rekordwert. Der VDI setzt ein Pilotprojekt in drei VDI-Bezirken in Nordrhein-Westfalen auf. Es soll in Deutschland lebenden technischen Fachkräften aus dem Ausland den Weg in den Jobmarkt erleichtern.
„Ohne eine starke Zuwanderung von ausländischen Fachkräften bekommen wir die Lücke auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure und Ingenieurinnen nicht mehr geschlossen“, so Dieter Westerkamp, VDI-Bereichsleiter „Technik und Gesellschaft“ zu den Ergebnissen des neuesten Ingenieurmonitors (Quartal IV 2022), der heute vorgestellt wurde. Angesichts 170 300 offener Stellen auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure und Ingenieurinnen spitze sich die Lage zu. Im Vorjahresvergleich stieg im vierten Quartal 2022 die Anzahl der offenen Stellen im Ingenieurwesen um 21,6 %. „Es fehlen Bauingenieurinnen und Bauingenieure, Informatikerinnen und Informatiker oder Elektrotechnikingenieure und Elektroingenieurinnen – es fehlt an allen Ecken und Enden.“ Öffentliche Bauprojekte kämen zum Erliegen oder könnten gar nicht erst gestartet werden, Digitalisierungsprojekte blieben auf der Strecke. Die Energiewende werde schwierig. „Kurzum: Die Lage ist prekär“, mahnte Westerkamp.
In Sachsen-Anhalt bremst der Fachkräftemangel den Ausbau des Technologiestandortes
Die Zahl der Studierenden in den Ingenieurfächern ist rückläufig
„Mit dem demografischen Wandel nimmt die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger in ingenieurwissenschaftlichen Kernfächern, Maschinenbau oder Elektrotechnik in den letzten Jahren massiv ab“, konstatierte Westerkamp. Auch das verschärfe in Zukunft den Fachkräftemangel. „Die Situation wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verschärfen“, so Dieter Westerkamp. „Im Studienjahr 2016 betrug die Zahl der Mint-Studierenden im ersten Hochschulsemester bundesweit noch rund 143 400 und sank stark auf 125 600 im Studienjahr 2022 ab. In den kommenden Jahren ist folglich mit einem deutlichen Rückgang der Absolventenzahlen zu rechnen“, bekräftigte Axel Plünnecke vom IW in Köln diese Entwicklung. Rund die Hälfte der Studierenden aus dem Ausland würden hier bleiben. Das müsse aber noch besser werden. Hier müsse zudem auch Tempo in den Prozessen für Visa gemacht werden.
Erst gestern hatte auch die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) gewarnt, dass seit fünf Jahren die Zahl der Studienanfänger und -anfängerinnen in in den Ingenieurwissenschaften deutlich zurückgehe. „Das ist ein großes Problem“, warnte Jens Wulfsberg, Präsident der WGP bei der Frühjahrstagung. Das treffe nicht nur Universitätsinstitute, von denen – sollte der Trend anhalten – manche in einigen Jahren nur noch halb so groß sein werden und nur noch halb so viel Forschung betreiben könnten. Das betreffe auch die Industrie, die große Schwierigkeiten habe, gut ausgebildeten Nachwuchs zu finden. „Und damit ist es letztendlich ein Problem für unsere Gesellschaft, deren Wohlstand bekanntermaßen auf dem produzierenden Gewerbe gegründet ist.“
IT-Branche: Mangel an weiblichen Fachkräften gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit
Engpasskennziffer ist hoch, aber nicht auf Rekordniveau
Bundesweit kommen laut Ingenieurmonitor des VDI und IW im vierten Quartal 2022 in den Ingenieur- und Informatikerberufen 471 offene Stellen auf 100 Arbeitslose. Damit liegt die Engpassrelation allerdings unter dem Rekordwert des zweiten Quartals 2022 mit 492. Zwischen den Regionen gibt es dabei sehr große Unterschiede. Am größten sind die Engpässe gemessen an der Engpassrelation im vierten Quartal 2022 in Bayern mit 711 gesamtwirtschaftlichen Stellen je 100 Arbeitslosen vor Baden-Württemberg (609) und Hessen (601). Sachsen-Anhalt/Thüringen (545) und Sachsen (505) weisen auch hohe Engpässe auf.
In den ostdeutschen Bundesländern ist vor allem die demografische Entwicklung ein Grund der hohen Engpässe, in Bayern und Baden-Württemberg hingegen das hohe Nachfragewachstum nach Arbeitskräften. Am geringsten ist die Engpassrelation in Berlin/Brandenburg mit 261 Stellen je 100 Arbeitslosen. Bezogen auf die regionalen spezifischen Arbeitsmärkte weisen Bayern und Baden-Württemberg im vierten Quartal 2022 in den Ingenieurberufen Energie- und Elektrotechnik mit einer Relation von 1401 bzw. 1407 offenen Stellen je 100 Arbeitslosen die höchsten Engpässe auf. Westerkamp betonte die Bedeutung der Bildung und Weiterbildung für Arbeitnehmende und erklärte, dass es wichtig sei, hier passgenaue Angebote zu machen. Wichtig sei aber auch, dass die Arbeitnehmenden eine intrinsische Motivation zur Weiterbildung mitbringen. Zudem betonte er die Notwendigkeit, dass mehr Frauen sich für Ingenieurberufe interessieren.
Großteil des Beschäftigungszuwachses in Ingenieurberufen nur durch ausländische Fachkräfte möglich
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels begrüßt Dieter Westerkamp, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Zuwanderungskriterien und die bürokratischen Hemmnisse entschärfen will. „Es ist ein erster wichtiger Schritt. Deutschland muss sich fit machen für den weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe“, sagt Westerkamp. „Darüber hinaus müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um die internationalen Fachkräfte, die wir mühsam gewonnen haben, auch länger in Deutschland zu halten. Wir müssen eine Willkommenskultur entwickeln.“ Nur mit einer qualifizierten Zuwanderung könne der Wohlstand und zukünftiges Leben und Arbeiten in Deutschland sichergestellt werden. Laut Ingenieurmonitor war ein Großteil des Beschäftigungszuwachses in den Ingenieurberufen nur möglich, da der Anteil der ausländischen Beschäftigten in den Ingenieur- und Informatikerberufen gestiegen und damit die Beschäftigung dynamischer ausgefallen sei. So nahm die Beschäftigung von Personen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft in Ingenieurberufen von 46 489 Ende 2012 auf 105 289 Ende September 2022 und damit um 126,5 % zu. Die meisten Beschäftigten kommen laut Daten für das vierte Quartal 2022 aus Indien (10 719), Türkei (7328), Italien (6418), China (5769), Frankreich (5190) und Spanien (5016). Insgesamt sind rund 10,4 % der beschäftigten Ingenieurinnen und Ingenieure aus dem Ausland.
Weibliche Vorbilder beeinflussen die Wahl bei Studium und Beruf
VDI setzt Pilotprojekt in den drei VDI-Bezirksvereinen OWL, Aachen und Bochum auf
Dieter Westerkamp betonte, dass der VDI mit der vielfältigen regionalen Organisation für ausländische Ingenieure und Ingenieurinnen „eine Heimat sein kann, in der die Integration dieser Beschäftigtengruppe noch besser gelingen kann“. Westerkamp kündigte den Start eines Pilotprojektes an: „Wir starten mit Unterstützung des Bundesarbeitsministeriums in Nordrhein-Westfalen ein Pilotprojekt mit drei VDI-Bezirksvereinen, in dem wir bereits in Deutschland befindliche ausländische Ingenieurinnen und Ingenieure, aber auch Studierende nachhaltig auf den Weg zu einer ausbildungsadäquaten Beschäftigung in Deutschland bringen wollen.“ Die Pilotbezirksvereine sind Aachen, Bochum und Ostwestfalen-Lippe. Sie wurden laut VDI ausgewählt, weil sie ausgeprägte Hochschulstandorte sind und eine mittelständisch geprägte Struktur aufweisen. Das Pilotprojekt, das bis 2025 läuft, wird als Teilvorhaben des Regionalen Integrationsnetzwerks NRW – West vom Bundesarbeitsministerium im Rahmen des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung“ (IQ) gefördert. Ziel des Projektes sei es, einen Werkzeugkoffer geeigneter Maßnahmen zur erfolgreichen Integration ausländischer technischer Fachkräfte zur Verfügung zu haben, der es dann allen VDI-Bezirksvereinen ermögliche, in diesem Feld aktiv zu sein. Geplant sind laut VDI folgende Aktionen: Eine Qualifizierungsreihe, die Brücken in Zukunftstechnologien hinein bauen soll, ein Mentoring/Coaching-Programm, in dem VDI-Mitglieder ausländischen Ingenieurinnen und Ingenieuren bei der Integration in Arbeitswelt und Gesellschaft zur Seite stehen sowie Networking-Veranstaltungen vor Ort, um den Austausch zwischen ausländischen Fachkräften aber auch mit deutschen Ingenieurinnen und Ingenieuren zu stärken.
Hier geht es zum neuen „Ingenieurmonitor“: