Kreative Ingenieure erobern die Industrie
In Stuttgart sitzt die Hochschule der Medien. Viele ihrer Ingenieurabsolventen landen in der Industrie – als Software-Entwickler, Displaydesigner, Simulationsexperten.
Autos werden smarter, Produktionsmaschinen vernetzen sich und immer mehr Business-Ideen basieren auf dem Internet. Industrie 4.0 fordert das Ingenieurwesen heraus. Grenzen zwischen Maschinenbau, IT und Medien verschmelzen.
Sichtbar wird das unter anderem in Stuttgart. Dort hat die staatliche Hochschule der Medien (HdM) ihren Sitz, die derzeit 4800 junge Menschen in 27 Studiengängen ausbildet und auf interdisziplinäre Aufgaben vorbereitet.
Dabei arbeitet die Hochschule eng mit der regionalen Industrie zusammen. Gastvorlesungen oder gemeinsame Projekte bereiten auf das Berufsleben vor. Etliche Kreativstudenten entscheiden sich deshalb, Praktika und Abschlussarbeiten bei den Herstellern von Autos und Maschinen zu absolvieren, etwa bei Bosch, Daimler oder Mahle. Oft kehren sie nach ihrem Abschluss in die Unternehmen zurück.
Einer von ihnen ist Andreas Jäger. Dass die Programmiersprache C++ heute sein tägliches Handwerkszeug sein würde, hätte er sich an seinem ersten HdM-Tag gewiss nicht träumen lassen. Damals, im März 2005, begann er, Audiovisuelle Medien zu studieren. „Mein ursprünglicher Plan war es, eines Tages Audioinhalte zu produzieren“, erinnert sich der Softwareingenieur. Heute sorgt er beim Automobilzulieferer E-Solutions dafür, dass Infotainment-Systeme fehlerlos funktionieren.
„Viele Quellen haben Zugriff auf die Lautsprecher“, erklärt der 32-Jährige. Radio, Navigation, Telefon – oft läuft alles gleichzeitig. „Meine Aufgabe ist es unter anderem, mittels Software festzulegen, welche Quelle unter welchen Umständen Priorität hat und die Klangeinstellungen der verschiedenen Quellen zu verwalten“, führt Jäger aus. So verstummt das Radio, sobald eine Navigationsaufforderung erklingt oder das Navi steht hinter dem Anruf zurück.
Sein Programmiertalent entdeckte der Forchheimer während der ersten Studiensemester: „Also änderte ich meine Ausrichtung, belegte mehr Kurse mit Software-Schwerpunkt.“ Er habe sich immer mehr für die Entwicklung von Programmen begeistert. Deshalb hängte der Absolvent ein Masterstudium im Fach Communication & Media Engineering in Offenburg an.
Thomas Pohl, Diplom-Medieninformatiker, begann sein HdM-Studium mit der Intention, als Computer-Animateur Trickfiguren Leben einzuhauchen. Heute ist auch er Software-Ingenieur.
Beim IT-Riesen IBM kümmert sich der 34-Jährige um Firmware für Systeme von Konzernen, Banken oder Regierungen. Anders als mancher Ex-Kommilitone meint, besteht der Alltag des Böblingers aber nicht nur aus Codieren und dem Ausmerzen von Fehlern. „Einen Großteil meines Arbeitstag verbringe ich damit, zu kommunizieren“, so der Softwarespezialist.
In diesem Punkt kommt Pohl die Ausbildung an der Hochschule der Medien zugute: „Während meines Studiums habe ich gelernt, dass ein Spezialist nicht genügt.“ Alle Bereiche müssen mitziehen. Kollegen aus China, Indien und den USA, die sich teilweise noch nie persönlich getroffen haben. „Klare, empathische Kommunikation ist der Schlüssel“, weiß Pohl. Wer erfolgreich sein wolle, müsse sich auf den anderen und dessen Kultur einlassen. Eine Fähigkeit, die sich der IBM-Mann schon durch bereichsübergreifende Projekte an der Hochschule aneignete.
Auch David Wenger schwört auf kreative Köpfe. „Sie finden Lösungen für Probleme, zu denen es bisher keinen Ansatz gab“, erzählt der Verfahrenstechniker mit eigenem Ingenieurbüro. „Außerdem müssen Ingenieure interdisziplinär zusammenarbeiten können.“
Mit seinem 25-köpfigen Team simuliert der Inhaber von Wenger Engineering thermische Prozesse für Autobauer oder Energiekonzerne. Bei den über 300 Projekten arbeiten Kollegen aus verschiedenen Bereichen Hand in Hand. Darunter Umwelt-, Chemie- und Verfahrenstechniker, Mechatroniker, Software-Entwickler, Mathematiker und Physiker. „Ein hohes Maß an Sozialkompetenz gehört daher zu unseren Auswahlkriterien“, so der Unternehmer.
In vielen Firmen sei es gang und gäbe, dass Fachbereiche gegen- statt miteinander arbeiteten. Wenger: „Auf Dauer ist das nicht nur ineffizient, sondern demotiviert die Mitarbeiter.“
Die Ulmer hingegen kennen sich mit Effizienz aus. So dient ein Großteil der Simulationen dazu, in der Praxis weniger Energie und Rohstoffe zu verbrauchen. Ein typisches Beispiel ist das Kühlen von Lithium-Ionen-Batterien. Oder Fragestellungen wie etwa Elektrotechniker und Kabelhersteller den Stromverlust beim Überhitzen von Überlandkabeln reduzieren.
Neben seiner Fähigkeit, zielorientiert zu kommunizieren, hat Infotainment-Experte Jäger IT-Absolventen und Maschinenbauern mit hoher Fachtiefe noch etwas voraus: „Mein Studium bot mir Einblicke in verschiedene Disziplinen.“ Dieser Background zeige sich zwar nur punktuell, sei dann aber nützlich. Beispielsweise im Kontakt mit Kunden oder Zulieferern. „Es fällt mir leichter einzuschätzen, wie etwa Toningenieure denken und arbeiten“, so Jäger.