Mit der Kita gegen die „Mutterschaftsstrafe“
Kinderbetreuung ist die am häufigsten genannte Maßnahme gegen die „Mutterschaftsstrafe“. So bezeichnen Sozialwissenschaftler den Effekt, dass nach der Geburt des ersten Kindes sich die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen vertiefen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW hat dazu eine Studie vorgelegt.
Kinder bedeuten große finanzielle Einbußen, die größtenteils das Einkommen der Mütter treffen. Nach Geburt des ersten Kindes öffnet sich die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern – mit erheblichen Konsequenzen für das Lebensarbeitseinkommen und die Rente und damit für das Armutsrisiko von Frauen. Ein Forscherteam des ZEW in Mannheim um ZEW-Ökonomin Michaela Slotwinski hat diesen Zusammenhang näher untersucht. Denn fehlende Kitaplätze werden als das größte Hindernis gesehen, warum Mütter kleiner Kinder nicht oder nur mit geringer Stundenzahl arbeiten und sich das Familieneinkommen durch die erste Geburt häufig verringert. „Wir beobachten, dass das Einkommen von Frauen nach der ersten Geburt um rund 70 % sinkt. Führen Gemeinden ein Kinderbetreuungsangebot ein, reduziert sich diese Mutterschaftsstrafe um rund 4,5 Prozentpunkte“, erklärt Slotwinski aus dem ZEW-Forschungsbereich „Soziale Sicherung und Verteilung“. Mütter arbeiten nach der Geburt mehr und erzielen so ein höheres Einkommen. Besonders stark zeigt sich der positive Effekt bei Haushalten im unteren Bereich der Einkommensverteilung, wo die Einkommenseinbußen durch Mutterschaft nach der Einführung eines Betreuungsangebots um 11,2 Prozentpunkte geringer ausfallen.
„Unsere Daten zeigen gleichzeitig: Auch ein Betreuungsangebot kann nicht verhindern, dass das Familieneinkommen sinkt, sobald ein Kind da ist. Selbst wenn Eltern auf Kinderbetreuung zurückgreifen können, reduziert sich ihr gemeinsames Einkommen um rund 20 %“, erläutert Slotwinski. „Die Strafe für Elternschaft bleibt insgesamt also erhalten.“ Der geringe Beitrag von Müttern zum Familieneinkommen steigt im Durchschnitt bei einer Kinderbetreuung von 10 % auf 13 % an. Bei Haushalten unterhalb des Medianeinkommens erhöht sich dieser Anteil ebenfalls auf 13 %, allerdings von einem geringeren Ausgangsniveau: Denn ohne Kitaplatz können Mütter in diesen Familien nur 7 % zum Familieneinkommen beitragen.
„Der Beitrag von Müttern zum Familieneinkommen ist zwar gering, doch bleiben sie durch das Betreuungsangebot immerhin im Arbeitsmarkt aktiv. Gerade in Familien mit Haushaltseinkommen unterhalb des Medians sehen wir einen deutlichen Effekt“, erklärt Slotwinski. „Ohne Kitaplatz steigern frischgebackene Väter in diesen Haushalten ihr Gehalt deutlich. Diese Erhöhung erzielen die Väter vermutlich durch Mehrarbeit oder eine neue Stelle. Steht Betreuung zur Verfügung, fällt dieser Effekt um 8,4 Prozentpunkte geringer aus.“ Das liegt daran, dass Mütter mehr zum Familieneinkommen beitragen könnten, wenn das Kind in eine Kindertagesstätte oder zu einer Tagesmutter geht. „Will man mehr Mütter in Erwerbsarbeit bringen, sind Kitaplätze ein sinnvolles Instrument – auch mit Blick auf deren Armutsrisiko und Altersvorsorge“, kommentiert Slotwinski die Ergebnisse. „Die finanzielle Situation von Familien insgesamt kann ein Betreuungsangebot allerdings, basierend auf unseren Resultaten, nicht verbessern“.
Das Forscherteam hat die Effekte von Kinderbetreuung anhand von Schweizer Daten zwischen 2001 und 2015 untersucht. Dabei machten sich die Wissenschaftler ein natürliches Experiment im Kanton Bern zunutze. Während zu Beginn kaum Gemeinden ein Kinderbetreuungsangebot hatten, führten in diesem Zeitraum 59 von 401 Gemeinden eine Kinderbetreuung ein. 26 weitere Kommunen hatten diese bereits zuvor angeboten.