Personalnot 12. Aug 2024 Von Wolfgang Schmitz/dpa Lesezeit: ca. 3 Minuten

Studierende lenken Straßenbahnen

Verkehrsbetriebe gleichen mit Studierenden Personalengpässe aus – und hoffen auf eine Bindung der jungen Menschen ans Unternehmen. Wie ist die Resonanz?

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Fahrschülerin Marleen Quurk steuert eine Straßenbahn neben ihrem Fahrlehrer Thierry Erbert. Verkehrsgesellschaften setzen auf die studentische Unterstützung, um dem Personalmangel zu begegnen.
Foto: picture alliance/dpa/Uwe Anspach

Marleen Quurk sitzt in den Semesterferien in der Fahrerkabine einer Straßenbahn der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (rnv) in Mannheim. Sie blinkt, beschleunigt, bremst die Bahn und beobachtet die Umgebung. „Straßenbahnfahren ist ein ganz anderes Gefühl als Autofahren“, sagt die 26-Jährige. „Dadurch, dass man eben nicht die Möglichkeit hat, auszuweichen, muss man mit einem sehr vorausschauenden Blick fahren.“ Neben ihr steht Fahrlehrer Thierry Erbert und korrigiert ihre Fahrweise. Die 26-Jährige, die Management an der Universität Mannheim studiert, lernt in diesen Wochen Tram fahren.

Studierende als Lösung gegen Personalengpässe

Die rnv setzt Studierende in Mannheim und Ludwigshafen als Straßenbahnfahrer ein. Aber auch in Dresden, Magdeburg und Nürnberg unterstützen studentische Fahrer das Stammpersonal der örtlichen Verkehrsbetriebe. Ein Sprecher vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sagt: „Personal ist knapp und jeder Hebel wird betätigt, um diese Knappheiten zu überwinden.“ Zudem solle das Angebot angesichts des politischen Wunsches nach nachhaltiger Mobilität wachsen.

Pro Bahn lobt, mahnt aber zu „gründlicher Ausbildung“

Der Fahrgastverband Pro Bahn lobt das Konzept – unter einer Bedingung. „Grundsätzlich ist das positiv zu bewerten, da es für weniger Ausfälle im ÖPNV sorgt“, sagt der Bundesvorsitzende Detlef Neuß. Aber: „Sicher ist eine solche Maßnahme nur, wenn die Ausbildung gründlich ist. Einfache Schulungen mit Kenntnislücken gegenüber dem Stammpersonal sind abzulehnen.“ Es brauche zudem Regeln für Ruhezeiten zwischen Studium und einem Einsatz als Fahrer.

In Mannheim lernen die Studierenden innerhalb von zwei Monaten in Theorie und Praxis, Signale zu lesen und zu befolgen, die Technik der tonnenschweren Tram zu beherrschen und auf die richtige Art zu bremsen, etwa mit Sand. Die Inhalte seien die gleichen wie bei einer Ausbildung für Straßenbahnfahrer, die etwa als Quereinsteiger kommen, wie Fahrlehrer Erbert betont. Sie werden nur zeitlich komprimierter vermittelt. „Wir gehen davon aus, dass die Studenten, die zu uns kommen, im Lernmodus sind von der Uni.“ Daher könnten sie viel mehr Material in kürzester Zeit aufnehmen.

Karrierechancen durch den Nebenjob als Straßenbahnfahrer

Bereits seit den 1990er-Jahren setzt die rnv Studierende als Aushilfsfahrer ein, ursprünglich vor allem, um Spitzen im Betrieb abzufangen, heute auch, um Mitarbeitende früh ans Unternehmen zu binden, wie Personalchef Steffen Grimm sagt. „So lernen die Kolleginnen und Kollegen schon früh, Verantwortung zu übernehmen, haben Bodenhaftung und wissen, wie unser Geschäft funktioniert.“ Grimm selbst kam 1994 zu den Verkehrsbetrieben als Straßenbahnfahrer – neben seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre.

Gewerkschaft Verdi steht hinter dem Projekt

Die Studenten bei der rnv bekommen Verträge als Werkstudierende. Sie dürfen laut Unternehmen während des Semesters 20 Stunden im Monat arbeiten, in den Semesterferien 39 Stunden monatlich. Der Stundenlohn beginnt bei 18,56 €. Es gibt aber auch Zuschläge etwa für nächtliche Einsätze, dazu Urlaubs- und Weihnachtsgeld, wie Personalchef Grimm erklärt. Und: Die Ausbildung wird bezahlt. „Die Menschen bekommen vom ersten Tag an ihre volle Vergütung.“ Das Unternehmen kostet die Ausbildung eines Straßenbahnfahrers demnach rund 20 000 €.

Studierende als Straßenbahnfahrer werden von der Stammbelegschaft generell positiv wahrgenommen, sagt ein Sprecher der Gewerkschaft Verdi. „Aktuell ist jede Person, die zusätzlich zur Stammbelegschaft kommt, eine Entlastung für diejenigen, die bereits im Unternehmen tätig sind.“ Wer frei habe, werde im Fall von Engpässen durch die personelle Entlastung weniger häufig zurück in den Dienst gerufen.

Voraussetzungen und Ausbildung für studentische Straßenbahnfahrer

Nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen gibt es aktuell bundesweit rund 17.300 Straßenbahnfahrerinnen und Straßenbahnfahrer. Einen Überblick darüber, wie viele studentische Straßenbahnfahrer es gibt, hat der Verband nicht. Bei der rnv sind es insgesamt rund 1200 Straßenbahnfahrer und 25 Studierende.

Als Voraussetzung für die Ausbildung gilt laut Fahrlehrer Erbert grundsätzlich, dass man mindestens 21 Jahre alt ist, einen Führerschein der Klasse B hat, keine Punkte in Flensburg sowie ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis. Außerdem gebe es eine ärztliche Untersuchung, etwa zur Hör- und Sehkraft.

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