Interview 14. Aug 2024 Von Ken Fouhy und Alexandra Ilina Lesezeit: ca. 6 Minuten

VDI setzt beim Ingenieurmangel auf ausländische Fachkräfte

VDI-Direktor Adrian Willig spricht im Interview über die Bekämpfung des Ingenieurmangels durch Migration und welchen Beitrag der VDI dazu leistet.

Deutscher Ingenieurtag 2023
VDI-Direktor Adrian Willig stellt die Aktivitäten des VDI dar, zugewanderte Ingenieure und Ingenieurinnen zu unterstützen.
Foto: VDI/bundesfoto/Bernd Lammel

VDI nachrichten: Herr Willig, welche Erkenntnisse aus dem aktuellen Ingenieurmonitor von VDI und dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erachten Sie als besonders wichtig?

Adrian Willig: Die Gesamtzahl der offenen Stellen in Ingenieur­berufen ist im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 15 % gesunken und liegt jetzt bei 148.000. Dazu trägt sicherlich auch die wirtschaftliche Situation bei, in der Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhaltend sind. Dennoch gibt es positive Signale. Die Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung zeigen offenbar Wirkung.

Für den VDI heißt das, weiterhin die Bedeutung und Sinnhaftigkeit von Ingenieurberufen hervorzuheben, insbesondere angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Die Aufgaben sind enorm, wenn man bedenkt, dass wir beispielsweise den Klimawandel bekämpfen und Städte an das Klima anpassen wollen. Wir streben danach, den Krebs zu bekämpfen, autonomes Fahren zu ermöglichen, die Mobilität nachhaltig zu gestalten und die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen. Für Lösungen zu all diesen Herausforderungen sind Ingenieurinnen und Ingenieure gefragt.

Bei Frauen gibt es ein erhebliches Potenzial für den Ingenieurberuf

Es bleibt also enorm wichtig, kontinuierlich daran zu arbeiten, dass mehr Menschen, vornehmlich auch Frauen, diesen Beruf ergreifen. Der Frauenanteil im Ingenieurwesen ist zwar in den letzten Jahren gestiegen, liegt jedoch immer noch bei lediglich rund 20 %. Hier gibt es weiterhin erhebliches Potenzial, den Anteil zu erhöhen. Besonders wichtig ist mir aber auch die Erkenntnis, dass wir insgesamt eine Aufbruchstimmung in Deutschland brauchen.

Wie lässt sich eine solche Aufbruchstimmung umsetzen?

Wir sollten uns wieder bewusst machen, dass Ingenieurinnen und Ingenieure maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Deutschland heute so gut dasteht. Wir müssen jetzt noch eine Schippe drauflegen, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Wir brauchen insgesamt ein Aufbruchsignal in der Gesellschaft, dass es auch um Technologieführerschaft geht. Dazu wünsche ich mir, dass der technisch-wissenschaftliche Sachverstand mehr Gehör findet, insbesondere weil in Debatten oft Meinungen statt Fakten im Vordergrund stehen.

VDI-Initiative „Zukunft Deutschland“ setzt auf Fakten statt auf Meinungen

Das ist übrigens auch einer der Gründe, weshalb wir kürzlich die VDI-Initiative „Zukunft Deutschland 2050“ gestartet haben. Wir sollten uns anstrengen, um das, was wir gut können – allem voran exzellente Forschung und Entwicklung, hervorragende Hochschulen –, auszubauen und andere Dinge noch besser zu machen. Obwohl Länder wie die USA und China dabei sind, in einigen Bereichen davonzuziehen, glaube ich, dass wir das schaffen können. Wir müssen uns klarmachen, wie wichtig es ist, in den kommenden 20 Jahren genügend Ingenieurinnen und Ingenieure zu haben, um als Technologie- und Wirtschaftsstandort an der Spitze zu bleiben. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Inwieweit hängt der Rückgang der offenen Stellen mit der Abkühlung der Wirtschaft zusammen?

Der Rückgang der offenen Stellen hängt möglicherweise auch mit diesem Faktor zusammen. Ein wesentlicher Aspekt ist jedoch der signifikante Zuwachs an ausländischen Ingenieurinnen und Ingenieuren in Deutschland. Deren Anzahl ist in den letzten Jahren von knapp 46.500 auf fast 115.000 gestiegen. Diese Entwicklung hat definitiv einen positiven Beitrag für den Arbeitsmarkt geleistet.

Laut IW führen die unbesetzten Stellen in den Ingenieur- und Informatikberufen zu einem jährlichen Wertschöpfungsverlust von etwa 9 Mrd. € bis 13 Mrd. €. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Diese Zahl verdeutlicht, welchen wirtschaftlichen Schaden eine unbesetzte Stelle verursacht, wenn man direkte und indirekte Effekte berücksichtigt. Damit können wir uns keinesfalls zufriedengeben.

Der größte Mangel an Ingenieuren besteht in der Energie- und der Elektrotechnik

Die größten Engpässe bestehen derzeit in der Energie- und Elektrotechnik. Wenn wir bedenken, dass der Bedarf an Beschäftigten in Ingenieur- und Informatikberufen durch Digitalisierung und Klimaschutz in den kommenden Jahren eher weiter ansteigen wird, müssen wir gerade diesen Sektoren besondere Aufmerksamkeit schenken, um schnell Verbesserungen zu erzielen.

Wie hilft der VDI dabei, die Engpässe zu beheben?

Da gibt es einige Maßnahmen, wie konkret die Recruiting Tage der VDI Verlag GmbH, um Ingenieure und Ingenieurinnen mit Unternehmen zusammenzubringen. Mit Blick auf die langfristige Wirkung liegen uns Nachwuchsaktivitäten ebenfalls am Herzen. Dabei setzen wir schon früh an, indem wir die Jüngsten für Technik begeistern. Das geschieht z. B. durch außerschulische Angebote in den VDIni Clubs und die VDI-ZukunftsPiloten.

Wir haben auch die VDI-GaraGe in Leipzig, die ich letztes Jahr besuchen konnte. Die VDI-GaraGe ist seit über 20 Jahren eine führende Lernfabrik für Wissenschaft und Technik. In unseren modernen Werkstätten bieten wir dort Kindern und Jugendlichen spannende Einblicke in die Welt der Mint-Berufe.

Ein anderes Beispiel ist das VDI TecMobil des Württembergischen Ingenieurvereins. Kürzlich haben wir in Stuttgart das Roll-out dieses mobilen Makerspace gefeiert. Mit ihm reisen Kolleginnen und Kollegen durch Baden-Württemberg und ermöglichen in Workshops in Schulen und Jugendhäusern jungen Menschen den Zugang zu modernen Technologien.

VDI-Direktor Willig: „Es ist wichtig, dass wir diese Begeisterung der Mädchen und Jungen für Technik unterstützen und erhalten“

Ein besonders inspirierendes Erlebnis hatte ich neulich bei der Bundespreisverleihung von „Jugend forscht“, einem Wettbewerb, den der VDI seit vielen Jahren als einer der Hauptförderer unterstützt. Dort war es beeindruckend zu sehen, wie engagiert und neugierig Mädchen und Jungen an die Lösung technischer Fragestellungen herangehen. Es ist wichtig, dass wir diese Begeisterung für Technik unterstützen und erhalten. Dabei dürfen wir nicht zulassen, dass diese jungen Menschen später in ihrem Leben durch Bürokratie oder eine Geht-nicht-Mentalität gebremst werden.

VDI-Direktor Adrian Willig beim Interview mit VDI-Verlag-Redakteurin Alexandra Ilina. Foto: Ken Fouhy

Wie engagiert sich der VDI, den Ingenieurberuf für verschiedene Zielgruppen attraktiv zu halten?

Eine wesentliche Maßnahme besteht darin, Vorbilder zu präsentieren. Zum Beispiel unterstützen im Rahmen des Programms VDI-WoMentorING erfahrene Ingenieurinnen jüngere Ingenieurinnen durch Mentoring-Programme und helfen dabei, die Herausforderungen in der Arbeitswelt besser zu bewältigen. Viele Ingenieurinnen erzählen dabei auch, was sie antreibt, welchen Sinn sie in ihrer Arbeit sehen und welche spannenden Erfahrungen sie in ihrem Beruf machen. Diese Geschichten teilen wir auch über soziale Medien, um jungen Frauen zu zeigen, dass Ingenieurin ein echter Zukunftsberuf ist.

Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Unterstützung ausländischer Ingenieurinnen und Ingenieure. Da greift unser Projekt VDI-Xpand. Hier bieten wir zugewanderten Ingenieuren und Ingenieurinnen eine Heimat und unterstützen sie dabei, hier Fuß zu fassen und sich in ihrem Beruf so schnell es geht engagieren zu können.

Was halten Sie von den Bestrebungen der Bundesregierung, Anreize wie Chancenkarte oder Steuererleichterung für ausländische Fachkräfte zu schaffen?

Da gibt es sowohl Argumente dafür als auch dagegen. Letztendlich muss die Politik entscheiden, ob sie solche Maßnahmen umsetzen möchte. Der VDI sieht seine Rolle nicht darin, zu beurteilen, ob dafür z. B. Steuererleichterungen die beste Lösung sind oder nicht.

Aus meiner Sicht hängt vieles davon ab, wie einfach und unkompliziert es ist, nach Deutschland zu kommen und sich hier zu integrieren. Die Attraktivität Deutschlands im Vergleich zu anderen Regionen spielt ebenfalls eine Rolle. Es geht darum, wie ansprechend es ist, in Forschung und Entwicklung, in Start-ups oder anderen Unternehmen zu arbeiten.

VDI will ein Gefühl des Aufbruchs in Deutschland vermitteln

Wir müssen ein Umfeld schaffen, das ein Gefühl von Aufbruch vermittelt, in dem man sagt: „Wow, hier wird Technologie vorangetrieben.“ Es ist wichtig, dass wir eine positive Mentalität pflegen und nicht nur darüber reden, was alles nicht funktioniert. Während wir in Deutschland vielfach Dinge zerreden, gehen andere Länder voran und machen es einfach. Diese Einstellung hat großen Einfluss darauf, ob Menschen hier arbeiten möchten oder lieber woanders hingehen.

Der VDI hat dazu vor zwei Jahren das schon erwähnte Pilotprojekt VDI-Xpand gestartet. Wie lautet Ihr Zwischenfazit?

Wir haben hier Kolleginnen und Kollegen, die sich ausschließlich um dieses Projekt kümmern. Zudem fördert das Bundesarbeitsministerium das Programm finanziell. Insofern steht dahinter bereits eine solide Unterstützung. Momentan begleiten rund 30 ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren aus der VDI-Mitgliedschaft etwa 35 ausländische Mentees. Diese Unterstützung umfasst verschiedene Aspekte wie Visumangelegenheiten, Jobsuche und sprachliche Herausforderungen.

„Das erste Feedback auf VDI-Xpand ist durchweg positiv“

Das Programm hilft den Teilnehmenden, sich besser einzuleben, und das ehrenamtliche Engagement spielt da eine entscheidende Rolle. Mit rund 130.000 Mitgliedern bietet der VDI eine hervorragende Voraussetzung, diese Initiative erfolgreich voranzutreiben. Das erste Feedback ist durchweg positiv, wir haben Teilnehmende aus mehr als 20 Nationen. Bei der Auftaktveranstaltung habe ich persönlich erlebt, wie begeistert beide Gruppen waren.

Welche konkreten Probleme haben die Teilnehmenden angesprochen?

Ein Punkt, der immer wieder angesprochen wird, ist die Bürokratie, vor allem die langen Bearbeitungszeiten verschiedenster Anträge. Das kann das Anerkennungsverfahren für Studienabschlüsse sein, ebenso wie die Verfahren, um ein Visum zu erhalten.

Bei der Anerkennung von Qualifikationen gibt es häufig wesentliche Hürden. Auch die Integration in die Arbeitswelt bringt aufgrund kultureller Unterschiede Herausforderungen mit sich.

Planen Sie VDI-Xpand weiterzuentwickeln?

Wir sammeln derzeit Erfahrungen, wie das Programm läuft, und überlegen, wie wir es auf andere Regionen ausrollen können. Dabei prüfen wir auch, ob wir Kooperationspartner finden, mit denen wir ähnliche Initiativen umsetzen können. Wie bereits erwähnt, zeigen auch andere Institutionen Interesse. Dank unserer breiten ehrenamtlichen Basis haben wir einen großen Vorteil im Vergleich zu anderen.

Wir haben viel darüber gesprochen, wie Fachkräfte gewonnen werden können. Aber wie können sie langfristig gehalten werden?

Es gilt das Gleiche wie vorhin gesagt: Die Jobs müssen attraktiv sein, und es sollte Spaß machen, hier zu arbeiten. Wenn ich ein attraktives Leben, gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Einkommen habe, dann steigt die Chance, dass ich hier bleiben möchte.

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