„Was können wir tun, damit Sie bleiben?“
Wenn der Chef die Kündigung nicht akzeptieren will, bittet er zum „Stay-Interview“. Mit materiellen Anreizen und Karriereversprechen versucht er, den Mitarbeiter zum Bleiben zu bewegen. Sollte er darauf eingehen? Tipps von Jörg Kasten, Managing Partner der Personalberatung Boyden.
Erst beim Kündigungsgespräch realisieren viele Vorgesetzte, was der nahende Abgang des Mitarbeiters für das Unternehmen bedeutet. Die Folgen führen oft zum Dilemma für die Kandidaten: Der Chef will den guten Mitarbeiter nicht ohne Weiteres ziehen lassen. Der Vorgesetzte buhlt um den Kandidaten, will ihn umstimmen: „Gehen Sie nicht, was können wir für Sie tun, damit sie bleiben?“
Auf den ersten Blick eine komfortable Situation für den Kandidaten. Karriereschritte werden in Aussicht gestellt, ein großzügigeres Gehalt sowieso und der längst überfällige Firmenwagen kommen zur Sprache. Die Verlockungen für den wechselwilligen Kandidaten sind groß, doch im „gemachten Nest“ zu verbleiben und die ausgehandelten Konditionen mitzunehmen. Doch dies ist lediglich auf den ersten Blick eine gewinnbringende Handlungsoption.
Schnell vergisst der Kandidat die Gründe, warum er überhaupt das Unternehmen verlassen wollte. Der Aufstieg ließ auf sich warten, die strategischen Entscheidungen der Vorgesetzten wurden kritisch betrachtet und Gehalts- oder Boni-Verhandlungen endeten immer mit einem unvorteilhaften Kompromiss.
Stay-Interviews mit ihren vielversprechenden besseren Konditionen haben meist nur ein Ziel: Den Kandidaten, koste es, was es wolle, zu halten – wenn auch nur auf absehbare Zeit. Denn über eines müssen sich Kandidaten, die sich durch ein Stay-Interview von der Kündigung umstimmen lassen, bewusst sein: Künftige Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert.
In der Regel hat das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter und Unternehmen durch die (umgangene) Kündigung Schaden genommen. Der Mitarbeiter muss sich selbst fragen, warum er nicht schon früher für den nächsten Karriereschritt vorgesehen wurde? Oder warum ihm die Anerkennung in Form eines besseren Gehalts erst nach seinem drohenden Weggang zuteil wurde?
Außerdem können alte Probleme schnell wieder aktuell werden, denn aus Sicht des Unternehmens ist die Loyalität des Mitarbeiters angekratzt. Die negativen Konsequenzen eines auf den ersten Blick „erfolgreichen“ Stay-Interviews treten meist mit einiger Zeitverzögerung auf. Bei den kommenden Gehaltserhöhungen oder dem nächsten Schritt in Richtung oberes Management kann ein Mitarbeiter, der einmal mit zahlreichen Zuwendungen zum Verbleib umgestimmt wurde, schnell übergangen werden. Karrierewege können so, trotz anfänglicher Zugeständnisse, auf längere Sicht verwehrt bleiben.
Wechselwillige sollten sich daher vorab darüber im Klaren sein, ob Sie das Unternehmen auch wirklich verlassen wollen. Bevor es überhaupt zu Verhandlungen mit anderen Unternehmen und einer folgenden Kündigung kommt, sollten Kandidaten vorab Missstände in einem offenen Feedbackgespräch thematisieren.
Dabei ist es wichtig für sich selbst herauszufinden, was einen im Unternehmen hält und welche Motivation man für oder gegen einen Wechsel ins Feld führen kann. Es muss abgewogen werden, aus welchen Gründen man das Unternehmen verlassen möchte und ob langfristig überhaupt mit Besserung gerechnet werden kann – sind es nur monetäre Aspekte, die sich anpassen lassen oder handelt es sich um grundlegende Dinge wie die Unternehmenskultur und das Wertesystem?
Verhandlungen mit einem anderen Unternehmen oder Gespräche mit einem Personalberater sollten immer unter der Prämisse geführt werden, dann auch wirklich bereit für einen neuen Arbeitgeber zu sein.
Wer nach Kündigung doch bleibt, mag kurzfristig profitieren. Auf lange Sicht versperrt er sich womöglich Karriereschritte. Wer sich allzu leicht umstimmen lässt, weil er das neue Angebot lediglich als Druckmittel bei seinem Kündigungsgespräch nutzt, schadet sich meist doppelt. Zum einen führt der Vertrauensverlust innerhalb des eigenen Unternehmens schnell in eine Karriere-Sackgasse, obwohl vielleicht anfänglich bessere Konditionen ausgehandelt wurden. Zum anderen landet man bei potenziellen Arbeitgebern, und erst recht bei den meisten Personalberatern, schnell auf einer schwarzen Liste, wenn man Jobangebote kurz vor Vertragsabschluss absagt.JÖRG KASTEN