Aufstieg zur Mittelschicht ist für junge Menschen mühsam
Die Mittelschicht hat sich von der deutlichen Schrumpfung um die Jahrhundertwende trotz einer insgesamt positiven Arbeitsmarktentwicklung nicht wieder erholt. Vielfach braucht es ein zweites gutes Arbeitseinkommen für einen Haushalt, um zur Mittelschicht zu gehören.
Das Risiko, aus der Mittelschicht abzusteigen, hat in den vergangenen Jahren vor allem in der unteren Mittelschicht zugenommen. Das geht aus einer Studie von OECD und Bertelsmann Stiftung hervor. Gefährdet sind all jene, die unter Berücksichtigung der Haushaltsgröße ein verfügbares Einkommen zwischen 75 % und 100 % des mittleren Einkommens haben. Zwischen 2014 und 2017 rutschten 22 % von ihnen im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre), also mehr als jeder oder jede Fünfte, in die untere Einkommensschicht und waren damit arm oder von Armut bedroht.
Für eine alleinstehende Person war für einen Platz in der Mittelschicht im Jahr 2018 ein Monatseinkommen nach Steuern und Transfers von rund 1500 € bis 4000 € nötig, für ein Paar mit zwei Kindern ein verfügbares Einkommen zwischen 3000 € und 8000 €.
Der soziale Wiederaufstieg ist steinig
Der Anteil der Betroffenen lag zuletzt um vier Prozentpunkte höher als Mitte der 1990er. Für sie war das Abstiegsrisiko damit dreimal höher als im mittleren und sogar sechsmal höher als im oberen Teil der Mittelschicht. Gleichzeitig haben sich auch die Chancen, binnen vier Jahren in die Mittelschicht aufzusteigen, um mehr als zehn Prozentpunkte substanziell verringert und lagen zuletzt bei rund 30 %. „Wer in Deutschland einmal aus der Mittelschicht herausfällt, hat es heute deutlich schwerer, wieder aufzusteigen“, erklärt Valentina Consiglio, Mitautorin und Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann Stiftung.
Im Vergleich mit 25 weiteren OECD-Ländern schrumpfte die Mittelschicht nur in Schweden, Finnland und Luxemburg stärker als in Deutschland. Jüngere Erwachsene waren davon in Deutschland besonders betroffen: Der Anteil der 18- bis 29-Jährigen, die zur Einkommensmitte gehören, ist mit einem Rückgang von zehn Prozentpunkten überdurchschnittlich stark gesunken. Das zeigt auch der Generationenvergleich: Während es noch 71 % der Babyboomerinnen und Babyboomer (Jahrgänge 1955 bis 1964) nach dem Start ins Berufsleben in die Mittelschicht schafften, gelang dies nur noch 61 % der Millennials (Jahrgänge 1983 bis 1996). Dabei spielt Bildung eine immer wichtigere Rolle: Der Anteil der 25- bis 35-Jährigen mit niedrigem oder mittlerem Bildungsniveau, die es in die Mittelschicht schaffen, ist im Vergleich zu 1995 überproportional gesunken: Für jene ohne Abitur oder Berufsausbildung von 67 % auf 40 % und für jene mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder Abitur von 73 % auf 61 %. Lediglich der Rückgang für junge Erwachsene mit einem Meister oder Hochschulabschluss lag mit fünf Prozentpunkten unterhalb des Bevölkerungsdurchschnitts. „Eine gute Ausbildung und ein Studium sind wichtig. Bildungsrückstände, die durch die Pandemie entstanden sind, müssen dringend aufgeholt werden, sonst wird vielen der mühsame Aufstieg in die Mittelschicht zusätzlich erschwert“, mahnt Consiglio.
Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt
Ein besonderes Augenmerk verdient die Arbeitsmarktsituation von Frauen. Sie arbeiten häufiger als früher – allerdings oft mit geringer Stundenzahl – in Tätigkeiten, für die sie überqualifiziert sind. Darüber hinaus zeigt sich, dass es zunehmend ein zweites gutes Arbeitseinkommen im Haushalt braucht, um zur Mittelschicht zu gehören. „Wollen wir die Mittelschicht stärken, sollten Umfang und Qualität der Jobs von Frauen verbessert werden. Dazu könnte auch eine kombinierte Reform von Minijobs und Ehegattensplitting einen großen Beitrag leisten“, sagt Consiglio. Auch müssten Berufe, in denen mehrheitlich Frauen tätig sind, zum Beispiel in der Pflege, besser entlohnt werden.