Chancen bleiben schlecht verteilt
Laut Stifterverband und McKinsey entscheidet die soziale Herkunft immer noch wesentlich über den Bildungserfolg – auch wenn eine leichte Trendwende erkennbar ist.
„Deutschland verschenkt nach wie vor zu viel Bildungspotenzial“, stellt McKinsey-Partnerin Julia Klier mit Blick in deutsche Grundschulklassen fest. Die meisten Kinder kommen dort aus nicht akademischen Haushalten (71 %). Von 100 Arbeiterkindern, die eine Grundschule besuchen, sitzen aber später nur 27 in einem Hörsaal. Das geht aus der gemeinsamen Studie von Stifterverband und Strategieberatung McKinsey & Company mit dem Titel „Vom Arbeiterkind zum Doktor – Der Hürdenlauf auf dem Bildungsweg der Erststudierenden“ hervor.
Die meisten Kinder aus nicht akademischen Familien bewältigen demnach im Vergleich zu Kindern aus Akademikerhaushalten immer noch nicht die mentalen, kulturellen und finanziellen Hürden der Bildungslaufbahn. Nur 46 % der Nichtakademikerkinder wechseln später auf eine Schule, die den Hochschulzugang ermöglicht. Zwar hat sich der Wert seit der letzten Erhebung von Stifterverband und McKinsey um 2 Prozentpunkte verbessert. Aber bei den Akademikerkinder sind es mit 83 % fast doppelt so viele.
Pandemie stoppt Positivtrend
Im Vergleich mit einer identischen Erhebung aus dem Jahr 2017/18 hat sich die Chancengerechtigkeit für Kinder aus Nichtakademikerfamilien laut Studie in den letzten Jahren jedoch über alle Bildungsstufen verbessert. „Gelingt ihnen der Wechsel an eine Hochschule, dann sind sie sogar ähnlich erfolgreich wie Akademikerkinder“, heißt es. Trotz dieser positiven Entwicklung gelte aber: Nach wie vor entscheidet in Deutschland die soziale Herkunft über den Bildungserfolg. Die Covid-19-Pandemie könnte den aktuell tendenziell positiven Trend wieder temporär verschlechtern: Besonders Kinder aus Nichtakademikerhaushalten hatten schlechtere digitale Lernmöglichkeiten.
Julia Klier sieht Lösungsmöglichkeiten: „Um Hürden für Nichtakademikerkinder zu überwinden, sollte es beispielsweise mehr Werbeaktionen der Hochschulen in den Schulen geben und bereits erfolgreiche Initiativen wie Talent-Scouting-Programme sowie Buddy- und Tandemprogramme sollten für Erstsemester ausgebaut werden, um mentale Barrieren abzubauen.“
Neue Bundesregierung ist gefordert
Wenige Erfahrungen im Umfeld, unzureichende mentale und finanzielle Hilfe von den Eltern, aber auch Informationsdefizite sind der Studie zufolge oft die Gründe, warum nur wenige Nichtakademikerkinder den Schritt von der weiterführenden Schule in den Hörsaal wagen. „Die neue Bundesregierung muss alles daransetzen, die Chancengerechtigkeit in der Bildung weiter massiv auszubauen. Deutschland braucht jedes einzelne Talent“, sagt Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbands. „Finanzielle Hürden sollten durch eine umfassende BaföG-Reform abgebaut werden. Nur 15 % der jungen Menschen aus Arbeiterfamilien können sich bei der Studienfinanzierung gänzlich auf ihre Eltern verlassen.“
Um den Zugang zur Hochschule zu erleichtern, sollten deshalb unter anderem ein höherer und ortsabhängiger Wohnzuschuss berücksichtigt werden, eine Förderung über die minimale Regelstudienzeit hinaus möglich sein und aktuelle Einkommensbescheide unkomplizierter berücksichtigt werden. Die Antragsstellung sollte bundesweit einheitlich und digitalisiert werden.