Digitale Schule: „Den Schwung müssen wir beibehalten“
Corona hat auch Kritikern gezeigt, wie wichtig Digitalisierung in den Schulen ist. Davon ist Stefanie Hubig, Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), überzeugt. Sie will das gemeinsam mit ihren Länderkolleginnen und -kollegen forcieren.
VDI nachrichten: Frau Ministerin, Sie und Länderkollegen/-innen haben im August mit der Kanzlerin und der SPD-Vorsitzenden gesprochen und konkrete Vorschläge zur Digitalisierung der Schulen gemacht. Was setzen Sie in Ihrem Bundesland Rheinland-Pfalz jetzt um?
Hubig: Wir haben ein sehr gutes und konstruktives Gespräch geführt. Das reichte vom Dienstlaptop für Lehrer bis zum schnellen Internet für Schülerhaushalte. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Lehrkräfte digitale Endgeräte haben. Und der Bund hat zugesagt, ein entsprechendes Programm aufzulegen. Jetzt werden wir alles Weitere bei einem zweiten Treffen mit allen Bildungsministerinnen und -ministern aus den Ländern vertiefen.
Und dann muss alles umgesetzt werden. Wie schnell wird das gehen?
Bei den Endgeräten für die Lehrkräfte soll es sehr schnell gehen. Im Koalitionsausschuss haben wir letzte Woche darüber beraten und wir hoffen, dass wir das in diesem Jahr noch weit voranbringen. Ähnlich wie bei den Geräten für die bedürftigen Schülerinnen und Schüler, die jetzt schon überall bestellt werden. Ganz wichtig war mir außerdem, dass diese Schülerinnen und Schüler auch die entsprechenden WLAN-Verträge brauchen. Da ist der Bund tätig geworden, sodass entsprechende Dienstleister gerade Angebote machen.
„Plattformen müssen Besonderheiten der Länder berücksichtigen“
Sie bauen in Ihrem Bundesland gerade eine Lernplattform auf. Baden-Württemberg hat seine Landesplattform inzwischen eingestellt. Wo liegen die Tücken?
Die Plattformen müssen für alle Schulen gut nutzbar und sinnvoll sein. Wir haben das bei unserer Plattform gesehen, die wir eng zusammen mit Schulen entwickelt und schon getestet haben. Sie müssen einerseits Besonderheiten des Landes und auch der Praxis berücksichtigen. Und andererseits muss es natürlich auch eine Lernplattform sein, mit der Sie gleichermaßen alle bedienen können. Und das müssen Sie als stabiles, verlässliches System mit vielen Funktionen und vor allem auch vielen Schnittstellen hinbekommen. Da liegt die Schwierigkeit.
Braucht denn jedes Bundesland, und teils sogar einzelne Schulen, eine eigene Plattform? Sollte man das nicht zumindest technisch koordinieren? Was sagt die KMK-Präsidentin?
Wir sind in der KMK in einer sehr viel engeren Abstimmung, als wir es in den vergangenen Jahren waren. Gleichzeitig haben wir natürlich ein bildungsföderales Schulsystem. Deshalb ist es vom Grundsatz her in Ordnung, wenn bei den Plattformen jeder seine Akzente setzt. Wir haben dabei aber auch viel Kooperation über Ländergrenzen hinweg. Wir machen unsere Lernplattform in Rheinland-Pfalz beispielsweise mit dem Saarland zusammen.
Ich begrüße es als KMK-Präsidentin, wenn wir synergetisch vorgehen. Und deshalb werden wir den Schwerpunkt jetzt auf die Aus- und Fortbildung unserer Lehrkräfte legen.
Also technische Vielfalt, aber mehr gemeinsame pädagogisch-didaktische Standards?
Genau. Bei der Lehrerfortbildung sind unsere Landesinstitute jetzt dabei, Vereinbarungen zu treffen, wer welche Aufgaben übernimmt. Eine Fortbildung zu Onlineformaten können wir natürlich in einem Land konzipieren und in der Folge anderen Ländern zur Verfügung stellen. Beim Digitalpakt Schule gehen zehn Prozent der Mittel an die Länder. Damit arbeiten wir an gemeinsamen Projekten wie einer länderübergreifenden Plattform für Content.
„Ich kümmere mich darum, Dinge anzustoßen“
Wie stark können Sie als Präsidentin der Kultusministerkonferenz auf gemeinsame Lösungen hinwirken? Moderieren oder gestalten Sie?
Ich würde sagen, beides. Ich bin die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, ich verstehe die KMK aber als Gremium auf Augenhöhe. Und als solches kommunizieren wir heute so viel und so eng zusammen, wie wir das in den vergangenen Jahren oder vielleicht sogar noch nie getan haben. Wir gehen gemeinsam voran und ich kümmere mich auch darum, Dinge anzustoßen und rege Schalten an, wenn ich der Meinung bin, wir müssten uns kurzfristig austauschen. Das hat in der vorletzten Woche beispielsweise dazu geführt, dass wir zweimal miteinander telefoniert, Inhalte besprochen und uns über den aktuellen Stand ausgetauscht haben.
Zum Thema Corona, rate ich mal …
Ja, natürlich. Der Austausch hat sich durch die Pandemie sehr verstärkt. Es war mir persönlich ein besonderes Anliegen, dass wir von Anfang an gute ähnliche oder sogar gleiche Regelungen treffen. Zum Beispiel bei den Abschlussprüfungen. Da haben wir es geschafft, eine gemeinsame Regelung für alle hinzubekommen: Die Prüfungen haben dann überall stattgefunden und das war ein wichtiges Zeichen.
„Es geht ja nicht darum, dass man nur schnell mal Geld abruft“
Wenn man sich in Europa umsieht, hinken wir bei WLAN-Anschlüssen, Geräteausstattung und Lehrerausbildung deutlich hinterher. Haben Sie eine Erklärung?
Wir haben in der Vergangenheit viel an der Unterrichtsqualität, der Unterrichtsentwicklung und Bildungsstandards gearbeitet, und das ist auch sicher richtig und gut gewesen. Wenn man in die Schulen hineinschaut, hat die Digitalisierung schon an vielen Ecken stattgefunden. Aber es ist eben nicht flächendeckend und genug vorhanden. Und deshalb gilt es jetzt, schneller zu werden und gemeinsam mit den Schulträgern dafür zu sorgen, dass die Schulen gut ausgestattet werden.
Denn: Corona hat vielen, auch Kritikern, gezeigt, wie wichtig Digitalisierung in den Schulen ist. Diesen Schwung, den wir in den letzten Wochen und Monaten entwickelt haben, müssen wir jetzt beibehalten. Ich habe den Eindruck, dass das gelingen wird.
Der Bund stellt mit dem Digitalpakt Schule 5 Mrd. Euro bereit, aber bis dato wird die Förderung kaum abgerufen. Sind die Schulen überfordert?
Die Dinge sind natürlich nicht so einfach. Es geht ja nicht darum, dass man nur schnell mal Geld abruft. Der Bund hat mit den Ländern vielmehr vereinbart, dass es in den Schulen zunächst auch medienpädagogische Konzepte für die Digitalisierung geben muss und dass das Geld erst abgerufen werden kann, wenn diese vorliegen.
Ich habe mich gegenüber dem Bund dafür eingesetzt, dass wir die medienpädagogischen Konzepte nachreichen dürfen. Weil wir von Schulen immer wieder die Rückmeldung bekommen haben, dass die Konzeptentwicklung noch Zeit brauche. Und weil viele Schulen jetzt durch Corona mit der Digitalisierung schon einen Schritt weiter sind, sodass das auch gut zu vertreten ist. Das hat Frau Karliczek dann auch so geregelt.
Bei uns in Rheinland-Pfalz sind jetzt sehr viele Förderanträge eingegangen. Die Kurve steigt jetzt steiler und die Schulen und die Schulträger werden schneller.
„Einheitliche Linie bei der Maskenpflicht“
Seit dem neuen Schuljahr gilt Maskenpflicht in den Schulen. Braucht man nicht auch andere Strategien?
Wir haben von der KMK einen Rahmenhygieneplan und den aktualisieren wir, weil sich die Situation natürlich ständig verändert. Das sehen wir alle. Wir haben, anders als das immer wieder auch berichtet wird, eine sehr einheitliche Linie bei der Maskenpflicht. Im Schulgebäude müssen Masken getragen werden. Im Klassenraum grundsätzlich nicht, wenn es nicht besondere Gründe dafür gibt.
In Nordrhein-Westfalen sah das zunächst anders aus …
Nordrhein-Westfalen hatte die Maskenpflicht im Unterricht angeordnet, weil das Infektionsgeschehen dort sehr hoch war. Am 31. August lief sie aus. In Bayern werden Schülerinnen und Schüler in den ersten Tagen nach den Ferien Maske im Unterricht tragen müssen. Wir sind uns auch im Rahmen der KMK einig, dass das Maskentragen im Unterricht durchaus eine weitere Maßnahme sein kann, um den Präsenzunterricht sicherzustellen, wenn das Infektionsgeschehen stärker zunimmt.
Und wenn das nicht reicht?
Wir haben in allen Ländern drei verschiedene Szenarien entwickelt und die werden auch in den Schulen vorbereitet. Der Regelbetrieb unter Corona-Bedingungen, das ist das, was wir jetzt machen. Wenn die Infektionszahlen steigen, kann es Hybridunterricht geben, den man entweder in der ganzen Schule oder auf Jahrgangsstufen anwenden kann. Das dritte ist der Online- und Fernunterricht, wenn es – was wir alle nicht wünschen – lokal wieder zu Schulschließungen käme. Wir sind uns allerdings alle einig, dass Schulschließungen wirklich die absolute Ultima Ratio bleiben müssen.
„Lüften ist ein wichtiges Thema“
Müsste man jetzt nicht auch Geld und Ingenieurskunst darauf verwenden, Schulen mit Lüftungstechnik auszustatten?
Lüften ist ein wichtiges Thema und wir haben dies beim Treffen mit der Kanzlerin und der SPD-Parteivorsitzenden angesprochen. Es gibt verschiedene Programme aus dem Konjunkturpaket, bei denen wir prüfen, wo wir Schulen noch unterstützen können. Das Gebäude, das Lüften, die Fenster – das ist grundsätzlich alles Sache des Schulträgers, aber in dieser Situation wollen natürlich alle zusammenwirken. Wir erleben in dieser Krise, dass Bund, Länder und Kommunen eng zusammenstehen und das ist auch gut so.
Sie hatten sich für Ihre Präsidentschaft eigentlich vorgenommen, die Ausrichtung auf Europa zu stärken. Hat Corona Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Mein Leitthema war „Europa erleben und gestalten“. Tatsächlich hat Corona vieles überlagert. Aber wir arbeiten natürlich trotzdem auch weiter am Europathema. Wir werden im Oktober hoffentlich auch die neuen Richtlinien für das Austauschprogramm Erasmus verabschieden. Sie sollen es Schulen leichter machen, Anträge zu stellen. Mir liegt sehr viel daran, dass die europäischen Mittel, die dafür bereitstehen und die nochmal erhöht worden sind, auch gut in die Schulen abfließen. Für Schüleraustausche, wenn sie wieder analog stattfinden können, aber bis dahin auch digital. Da ist viel hinter den Kulissen passiert. Vielleicht gibt es in diesem Jahr noch eine Gelegenheit – wir haben noch zwei Kultusministerkonferenzen vor uns – das stärker vor den Kulissen zu besprechen.
Mehr zum Thema lesen Sie im Fokus „Die digitale Schule“ in der aktuellen Ausgabe der VDI nachrichten.