Pro und Contra 24. Jun 2016 Jörg Dräger, Georg Spöttl Lesezeit: ca. 4 Minuten

Mehr Akademiker für Deutschland?

Welche Qualifikationen sind künftig gefragt? Georg Spöttl vom Steinbeis-Transferzentrum InnoVET rät, die duale Ausbildung aufzuwerten, Jörg Dräger vom Centrum für Hochschulentwicklung warnt, darüber den Wunsch junger Menschen nach Studienmöglichkeiten nicht aus dem Auge zu verlieren.

Die Hörsäle werden zusehends voller. Junge Menschen wollen studieren. Ein Argument für die Förderung akademischer Bildung.
Foto: Uni Kassel

Pro:

Ein Drittel der Betriebe kann heute nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Gleichzeitig beginnen 58 % eines Jahrgangs ein Studium. Akademisierung geschieht, ganz gleich, ob wir das richtig finden oder nicht.

Jörg Dräger
Jörg Dräger ist Vorstand der Bertelsmann Stiftung und Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung. Das CHE ist Ratgeber für Hochschulen und Politik.

Seit 2013 entscheiden sich mehr junge Menschen für ein Studium als für eine duale Berufsausbildung. An diesem Trend wird sich absehbar wenig ändern, die Schere geht sogar noch weiter auseinander. Das zeigt die CHE-Studie „Nachschulische Bildung 2030“, in der verschiedene Szenarien zur Ausbildungs- und Studierneigung untersucht werden. In jedem Szenario ist der Drang nach akademischer Bildung größer als die Anziehungskraft betrieblicher Ausbildung.

Dafür gibt einige rationale Gründe: niedrige Arbeitslosenquote bei Akademikern, höhere Durchschnittsgehälter und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in der Wissensgesellschaft. Routinemäßige Tätigkeiten verlieren an Bedeutung, Kreativität und Methodenwissen zur Lösung bis dato unbekannter Probleme werden wichtiger. Wie man sich selbstständig und systematisch neues Wissen erschließt, darauf lag schon immer ein Fokus der Hochschulbildung. Für ein Studium sprechen gesellschaftliche Erwartungen, es gilt inzwischen als fast normaler Verlauf einer Bildungskarriere. Wer von der Norm abweicht, riskiert Sozialprestige. Seien wir ehrlich: Viele Menschen werben zwar qua Amt für mehr Jugendliche in der dualen Ausbildung. Doch die eigenen Kinder sollen studieren. Ausbildung ist gut, aber oft nur für die anderen.

Mehr Studierende, weniger Auszubildende

Der Trend zum Hochschulstudium ist ungebrochen, die Studienanfängerquote, die angibt, wie viel Prozent eines Geburtsjahrgangs ein Studium aufnehmen, lag laut aktuellem Bildungsbericht des Bundesbildungsministeriums 2015 bei 58 %. Die Zahl der Einsteiger in eine Berufsausbildung ist ebenso rückläufig wie die Zahl der Ausbildungsangebote im dualen Berufssystem.

Im Bericht heißt es: „Zentral erscheint, wie eine neue Balance zwischen wissenschaftlichen und berufspraktischen Anforderungen gefunden werden kann.“ Es sei „genau zu beobachten, wie sich bei einem anhaltenden Trend zum Hochschulstudium die Übergangs- und Berufsperspektiven für die Absolventen der unterschiedlichen Ausbildungsabschlüsse entwickeln“. ws

Dem Arbeitsmarkt tut diese Entwicklung allerdings nicht gut. Geburtenschwache Jahrgänge lassen die Zahl der Auszubildenden zusätzlich schrumpfen. In vielen Branchen werden Fachkräfte fehlen, wenn sich die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand verabschieden. Schätzungen zufolge werden bis 2030 rund 10 Mio. Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung und Abschlüssen wie Meister oder Techniker aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Wir brauchen Fachkräfte. Deshalb brauchen wir die duale Ausbildung.

Nun lässt sich das Bildungsverhalten der Menschen nicht gegen ihren Willen ändern. Es ist aber möglich, dem Drang zur Akademisierung mit Angeboten zu entsprechen, die die Praxisorientierung erhalten und die die harten Grenzen zwischen betrieblicher und akademischer Bildung aufweichen.

Eine Entscheidung für das Studium darf nicht eine gegen die Ausbildung sein und umgekehrt. Die Kurzform lautet: Weniger Entweder-oder, dafür mehr Sowohl-als-auch von akademischer und beruflicher Bildung. Wie das geht, zeigt das duale Studium, das einen Bachelor-Abschluss mit einer Ausbildung verknüpft. Für junge Menschen, die nach einer Ausbildung ein Studium aufnehmen wollen oder umgekehrt, muss das in einem System erworbene Wissen zudem in dem anderen leichter angerechnet werden.

Die duale Ausbildung bietet eine weitere große Chance: sich gegenüber Menschen öffnen, die bislang außen vor bleiben – gut 150 000 Ungelernte in jedem Jahrgang, viele Flüchtlinge. Wenn es gelingt, vorhandene Kompetenzen besser anzuerkennen, die Ausbildungsdauer flexibler je nach Begabung und Fortschritt zu gestalten und auch Ausbildung in Teilabschnitten zu ermöglichen, dann werden mehr Menschen einen Berufsabschluss erlangen und die Fachkräftelücke schließen.

In einer freien Gesellschaft wie der unseren stimmt man mit den Füßen über Bildungswege ab, aus rationalen wie persönlichen Gründen. Das System muss sich deswegen den Menschen anpassen, nicht umgekehrt. Individuelle Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erwartungen sind kein zu regulierender Störfaktor, sondern der Antrieb für das Lernen. Deshalb: Die Lösung ist nicht weniger Hochschulbildung, sondern mehr Flexibilität und die Integration der Praxis in die Hochschule. JÖRG DRÄGER

Kontra:

Berufliche Bildung ist seit mehreren Jahrzehnten von verschiedenen Seiten unter Druck geraten: von den bildungspolitischen Vorgaben der OECD, von der Forderung zur Einlösung der Wissensgesellschaft, vom allgemeinen Trend zur Akademisierung, von den Berufspräferenzen der Jugendlichen, von der sinkenden Ausbildungsneigung der Betriebe und vom demografischen Wandel mit weniger Jugendlichen.

2013 überstieg die Zahl der Erstsemester in Deutschland erstmals die Zahl der Einsteiger in eine duale Ausbildung. Dieser Sog hält unvermindert an, was durch die rückläufige Zahl der Ausbildungsbetriebe untermauert wird. Weniger als 21 % der Betriebe bilden aus. Innerhalb von 15 Jahren haben sich die Verhältnisse zwischen beruflicher und akademischer Bildung elementar verändert.

Wer eine berufliche Ausbildung erfolgreich abschließt, hat einen direkten Zugang zum Einstieg in den Arbeitsmarkt. Besonders positiv ist, dass Absolventen einer Berufsausbildung die Theorie bereits in die Praxis umzusetzen gelernt haben, Wissen und Können kombinieren und Besonderheiten wie Macken von Anlagen und Geräten kennen sowie Kunden und Markt einschätzen können. Die Chancen auf eine Übernahme sind hoch, weil immer weniger Personen eine Berufsausbildung ergreifen.

Personen, die eine Aufstiegsfortbildung zum Meister oder Techniker abgeschlossen haben, zählen in der Regel zu den Leistungsträgern in den Betrieben. Diese Menschen beherrschen Anlagen und Maschinen und sind wichtige Bindeglieder zwischen Management, Ingenieuren und produktiv Tätigen. Diese Personen haben laut einer Studie des IW Köln aus dem Jahre 2015 zu 47 % Personalverantwortung und sogar zu 80 % fachliche Weisungsbefugnis. Beide Werte übersteigen diejenigen von akademisch qualifizierten Personen. Auch die Arbeitslosenquote von nur 2 % untermauert den hohen Stellenwert einer beruflichen Qualifizierung mit anschließender Aufstiegsfortbildung zum Meister oder Techniker.

Eine Aufwertung erfahren die berufliche Bildung und deren Absolventen durch die Implementierung des Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmens, wonach dreijährige Berufsabschlüsse auf Niveau 4 und Techniker und Meister auf 6 (gleichwertig dem Bachelorabschluss) zugeordnet werden. Das ist auch ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit.

Während Aufstiegschancen gegeben sind und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ständig verbessert wird, muss beim Verdienst die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik zweifelsfrei noch Flankenschutz für eine Gleichstellung der Tarife beruflich und akademisch Qualifizierter geben.

Wenn eine Person die direkte Auseinandersetzung mit Produkten liebt und die Theorie stark anwendungsbezogen nutzen möchte, bietet eine Berufsausbildung und eine darauf aufbauende Beschäftigung als Fachkraft zahlreiche Optionen. Flache Hierarchien in Großunternehmen und die auf der Kompetenz von Einzelpersonen basierenden Aufgaben in Handwerksbetrieben erlauben große Gestaltungs- und Innovationsspielräume, die die Arbeitszufriedenheit fördern und die Identifikation mit dem Unternehmen stützen.

Arbeitsmarktpolitik, Berufsbildungspolitik und Gesellschaftspolitik sollten sich so weit verzahnen, dass sich das Angebot an Qualifikationen im akademischen Bereich wie in der Berufsausbildung weitgehend mit der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt deckt.

Eine Akademisierung ohne reelle Berufschancen macht keinen Sinn. Die Berufsausbildung bietet hingegen optimale Karrierechancen und eine bereits in der Ausbildung angelegte Identifikation mit dem jeweiligen Berufsprofil. Die Berufsbildung deckt alle Bereiche der Wirtschaft, der Dienstleistungen und des öffentlichen Dienstes ab und eröffnet auch Spätstartern und praktisch ausgerichteten Personen mit biografischen Brüchen vielfältige Karrierechancen. GEORG SPÖTTL

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