Mehr Lehrer als Ingenieur
Fünf Hochschulverbünde in NRW ebnen FH-Studierenden den Weg ins Lehramt.
Wer bildet die Mechatroniker und Chemikanten von morgen aus? Bundesweit fehlen Lehrkräfte an den Berufskollegs – besonders in den technischen Fächern. Ein Grund: Lehramtsanwärter, die ausschließlich an Universitäten studieren, wollen zum Gymnasium, der Schulform, auf der sie selbst früher waren. „Wir haben das dringende gesellschaftliche Problem erkannt“, sagt Jacqueline Jaekel vom Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften der RWTH, die Belek (Beruf Lehrer/in Berufskollegs) an der Uni koordiniert.
Fünf NRW-Verbünde fördern Techniklehrerausbildung
Im Programm „Lehramtsstudiengänge für Berufskollegs im technischen Bereich“ fördert das Landeswissenschaftsministerium (MIWF) mit 11 Mio. € fünf Hochschulverbünde in NRW zwischen 2013 und 2017:
Die RWTH Aachen zusammen mit der TH Köln, der Hochschule Niederrhein und der FH Aachen.
Die Universität Paderborn mit den Fachhochschulen Bielefeld, Hamm-Lippstadt, Südwestfalen und der Fachhochschule OWL.
Die Universität Siegen mit den Fachhochschulen Bonn-Rhein-Sieg, Dortmund, Hamm-Lippstadt und Südwestfalen.
Die Universität Wuppertal mit den Fachhochschulen Bochum, Gelsenkirchen und Südwestfalen.
Die Universität Münster und die FH Münster
Ab 2018 werden die Mittel verstetigt. Reformansätze der Berufsschullehrerausbildung gibt es auch in anderen Bundesländern. Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft hat 2016 ein „Innovationsnetzwerk Lehramt Berufsbildende Schulen“ initiiert. mjd
Robin Balk ist als einer der ersten auf der Zielgeraden. Der 31-Jährige wird bald sein Master-Studium abschließen. Den Bachelor hatte er an der TH Köln im Fach Fahrzeugtechnik erworben. „Ich habe gespürt, dass mir Lehrer mehr liegt als Ingenieur, weil ich gern mit Menschen arbeite.“ Als Student hat er Nachhilfe an Berufsschüler gegeben. Auch seine eigene Berufsschulzeit hat der gelernte Mechatroniker in guter Erinnerung.
Unter den FH-Studierenden sind viele, die eine Berufsschule von innen gesehen haben. „Solche Leute können sich in die Azubis eher hineindenken“, meint Jacqueline Jaekel. „Viele unserer Studierenden haben ihre Fachhochschulreife an Berufskollegs erworben“, sagt auch Bastian Thelen von der Zentralen Studienberatung der TH Köln: „Wir haben ein Interesse daran, dass die Berufskollegs uns gute Abiturienten liefern.“
Und das setzt gute Lehrer voraus. Seit 2014 informieren die Kooperationspartner Studierende und stimmen die Curricula aufeinander ab. An den Hochschulstandorten liegen Infomaterialien aus, die Infoveranstaltungen seien in jedem Semester gut besucht, so Jaekel. Auch die Fachstudienberater merken das gestiegene Interesse.
Bastian Thelen schätzt, dass die meisten an der TH inzwischen von Belek wissen. Zu mehr als 50 Interessenten bestünde ein persönlicher Kontakt, sie würden mehrere Jahre lang beraten und begleitet. Die Bachelor-Studierenden an den drei Fachhochschulen können sich flexibel entscheiden, ob sie aufs Lehramt umstellen: auch noch nach fünf Semestern. Die Mehrheit sei tatsächlich erst ab dem vierten oder fünften Semester so weit, meint der Studienberater: „Da fängt die Auseinandersetzung mit den Berufsbildern an: Gehe ich im Anschluss an den Bachelor in die Industrie oder gibt es Alternativen?“ Was das Lehramt an Berufskollegs betrifft, „wissen sie natürlich, dass es den Beruf gibt, aber nicht, dass es mit ihrem Werdegang möglich ist, das Ziel zu erreichen“. Etwa auch ohne die allgemeine Hochschulreife.
Balk hat erst von Belek erfahren, als er nach seinem Bachelorabschluss nach einem Masterstudiengang suchte. Deshalb konnte er auch nicht voll vom Verbund profitieren. Der Reformansatz sieht vor, dass alle pädagogischen und fachdidaktischen Module an der RWTH nachgeholt werden. Das geht bereits während des Bachelorstudiums über eine kostenlose Zweithörerschaft. „Damit der zeitliche Mehraufwand relativ gering ausfällt, bieten wir das spezielle Modul als Blockseminar an zwei Wochenenden an“, sagt Jaekel.
Von der TH besuchten über 20 Studierende die Zweithörer-Veranstaltungen, um die Auflagen für den Master of Education (M.Ed.) zu erfüllen. Die Inhalte können aber auch teilweise als Wahlmodul im Rahmen des Bachelorstudiums anerkannt werden. Thelen zufolge hinge die doppelte Anerkennung davon ab, wie weit die Kooperationsvereinbarungen zwischen den Hochschulen für den jeweiligen Studiengang gediehen seien. Die Kooperation werde nämlich permanent erweitert. Angefangen hat die TH im Wintersemester 2014/15 mit dem Fach Maschinenbau/Fahrzeugtechnik. Später kamen das Bauingenieurwesen und die Elektrotechnik hinzu. Die Technische Informatik folgt demnächst.
Die Elektrotechniker erlaubten, das Fachpraktikum nicht in der Industrie, sondern an einer Schule zu machen. Bei den anderen Partnern kann man das Auslands- oder Praxissemester für die RWTH-Module nutzen. Allerdings sei die Anerkennung bildungswissenschaftlicher Inhalte im Bachelorstudium nur in einem gewissen Rahmen möglich, schränkt Studienberater Bastian Thelen ein: „Es sind immer noch Ingenieure, das darf nicht verwässert werden.“ Schließlich haben die Belek-Absolventen mehrere Optionen: Mit ihrem Ingenieurabschluss können sie auch in der Wirtschaft arbeiten.
Berufsschullehrer haben zwei Fächer zu unterrichten. Auch das wird bei dem Hochschulverbund kreativ gehandhabt. „Es ergibt sich meist aus dem Bachelor, welche große und kleine berufliche Fachrichtung Sinn macht“, erklärt Thelen. Ein Lehramtsanwärter könne zwar auch zwei gleichberechtigte allgemeinbildende Unterrichtsfächer studieren, müsse das aber regulär an der Universität machen. „Hier bedingt jedoch die kleine Fachrichtung die große.“ Für einen Studenten der Fahrzeugtechnik sei klar, dass er als große berufliche Fachrichtung Maschinenbau wähle und Fahrzeugtechnik als kleine, weil diese im großen Umfang Maschinenbau beinhalte. Elektrotechnikern biete sich als kleine berufliche Fachrichtung Nachrichten- oder Automatisierungstechnik bzw. Technische Informatik an.
„Das Schöne an der Kooperation: Unsere Studierenden bekommen durch die Zweithörerschaft einen Eindruck vom Lehramtsstudium und vom Berufsalltag und können ihre Entscheidung sehr früh reflektieren“, sagt Thelen. Damit der Übergang noch geschmeidiger wird, muss sich die Kooperation permanent anpassen: „Sie lernt aus der Praxis.“ In der Natur der Sache liege es, dass man sich viel abstimmen müsse, und zwar auf Arbeits-, Professoren- wie auch Dekanatsebene. Durch die verschiedenen Studiengänge gebe es unterschiedliche Biografien und Prüfungsverläufe, sodass man keinen „Idealverlauf“ des Masters festlegen könne. Abzustimmen, welche Leistungen anerkannt, welche Module an welcher Stelle im Bachelor platziert werden können, sei ein permanenter Prozess: „Es gibt immer noch Baustellen.“
Die Belek-Koordinatoren kennen die anderen vier Hochschulverbünde aus NRW von gemeinsamen Veranstaltungen. Ansonsten bestünde wenig Austausch, meint Thelen. „Wir wissen, was die anderen anbieten: Das ist wichtig.“
Der TH-Standort Gummersbach sei näher an der Universität Wuppertal als an der RWTH Aachen. Interessenten könnten sich auch in Wuppertal um den M.Ed.-Studiengang bewerben. „Sie können allerdings nicht die Kooperationsvorteile wie Zweithörerschaft und eine klare Anerkennungsregelung nutzen. Über den Masterverlauf können wir nicht konkret beraten, aber er wird schon ähnlich sein.“
Mit dem M.Ed. in der Tasche ist man noch kein fertiger Lehrer. Es folgen 18 Monate Referendariat bzw. Vorbereitungsdienst. Davor ist noch ein Jahr in einer fachpraktischen Tätigkeit nachzuweisen. Robin Balk etwa konnte seine Mechatronikerausbildung als solche anrechnen lassen und tritt demnächst direkt in den Vorbereitungsdienst ein. Erfahrungen an einem Berufskolleg und an einem Berufsgymnasium hat er bereits gesammelt: „Es ist ganz anders, selbst vorne zu stehen. Aber es hat mir gut gefallen.“ ws