PERSONALFÜHRUNG 06. Dez 2018 Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 4 Minuten

Mehr als nur ein Kicker

Wie ein traditionsreiches Unternehmen die Digitalisierung und den damit verbundenen Transformationsprozess in den Griff bekommt, beschreibt Andreas Grieger von Weidmüller.

Weidmüller-Technologien verbinden Maschinen. Ihr Digitalwissen wollen die Westfalen auch für neue Arbeitsprozesse nutzen.
Foto: Weidmüller

VDI nachrichten: Zurzeit geht der Begriff „New Work“ um. Handelt es sich um eine neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird, oder steckt mehr dahinter als nur eine Modewelle?

Andreas Grieger: „Wir befinden uns mit der Digitalisierung in einer Revolution – in der Industrie und bei der Arbeit.“ Foto: Moritz Götte

Grieger: Vor lauter „agil“ und „4.0“ wird man schon mal nachlässig, auf die Inhalte zu schauen. Aber wir befinden uns mit der Digitalisierung tatsächlich in einer Revolution – in der Industrie und bei der Arbeit. „New Work“ hat daher sicherlich Substanz. Sie hat unseren Arbeitsalltag bereits verändert und wird es weiterhin tun. Auf der anderen Seite leben auch viele seriöse und weniger seriöse Berater gut von dem Hype.

Hat der strukturelle und kulturelle Wandel Weidmüller auf den Kopf gestellt?

Es handelt sich bei uns keinesfalls um einen Big Bang, sondern um einen schleichenden Prozess. Wir drücken schließlich nicht auf einen Knopf und sind ab sofort digital. Der Prozess beruht zunächst einmal auf normaler Businessplanung unter Berücksichtigung der jeweils möglichen Technologie und auf den Bedürfnissen der Kunden. Weidmüller hat gegenüber vielen anderen Unternehmen den Vorteil, digitalisierte Produkte für die Produktion unserer Kunden herzustellen. Dieses Wissen können wir sehr gut für interne Prozesse nutzen.

Welche Maßnahmen prägen den Transformationsprozess?

Wir sind sicherlich nicht so flexibel wie ein Berliner Hinterhof-Start-up, aber wir stellen auch nicht einfach einen Tischkicker hin und das war’s dann. Uns geht es darum, den Mitarbeitern – und zwar allen, nicht nur einem speziellen Klientel – mehr Freiräume als bislang zu geben. Das bedeutet, dass die Führungskraft ein Stück weit zurücktritt und den Mitarbeiterin mehr Verantwortung überträgt und mehr Vertrauen schenkt, um ihre Stärken oder die des Teams besser auszuspielen. Ein Softwareentwickler soll merken, dass er nahe am Produkt und am Kunden ist und mitentscheiden kann, ohne dass er permanent von einer Führungskraft „verbessert“ wird.

Wie weit ist Weidmüller in der digitalen Entwicklung, sodass Sie sagen könnten: Die Ängste der Mitarbeiter vor Arbeitsplatzverlust sind unberechtigt, zum Teil berechtigt oder sehr berechtigt?

Wir stecken noch mitten im Prozess. Unsere Strategie ist, die Menschen zu Beteiligten zu machen, Mitarbeiter und Betriebsrat mitzunehmen. Wir können die tollste Technologie haben – wenn die Menschen sie nicht bedienen und nicht nutzbringend einsetzen können oder ihr gar ablehnend gegenüberstehen, bringt uns das unter dem Strich nichts. Wir haben deshalb beispielsweise mit der IG Metall ein Projekt gestartet, in dem wir die Zukunft der Arbeit und die Bedürfnisse aller Beteiligten genau in den Blick nehmen.

Wie sieht es aus, wenn Weidmüller seine Mitarbeiter mitnimmt? Ein Beispiel bitte.

Zweimal im Jahr gibt es einen Innovationstag, an dem sich Mitarbeiter über den neuesten Stand informieren und in Diskussionen ihre Vorstellungen einbringen können. Das motiviert und nimmt Ängste. Daneben informieren wir umfangreich auf Betriebsversammlungen, über unsere internen Kommunikationsmedien und suchen auch das persönliche Gespräch.

Mussten im Zuge des Transformationsprozesses Leute entlassen werden?

Nein.

Wie ist Weidmüller den Digitalisierungsprozess angegangen?

Wir haben das Thema von Anfang an in unserer Unternehmensspitze verankert, um allen Kollegen die große Bedeutung für externe und interne Prozesse zu verdeutlichen. Extern, indem wir unsere Produkte noch digitaler aufstellen und das auch den Kunden signalisieren; intern, indem wir nicht nur sagen: Wir kaufen eine coole neue digitale Maschine, die Prozesse steuert und sich die Daten aus der Cloud zieht. Wir haben die Belegschaft mit vielen kleinen Pilotprojekten statt eines Riesen-Mega-Transformationsprozesses auf den Wandel eingestimmt und viele Ressourcen umgesetzt.

Wie wichtig sind gute Weiterbildungsmöglichkeiten bei der Standortfrage?

Sie werden mehr und mehr zum Standortvorteil, wie sich auch an unserer Weiterbildungsakademie zeigt. Aber auch andere Standortkriterien sprechen für uns: Wer kann sich schon die Lebenshaltungskosten, Mieten und Hauspreise in Metropolen wie München leisten. In Ostwestfalen ist das Leben noch bezahlbar.

Reicht die Attraktivität aus, um geeignete Fach- und Führungskräfte in ausreichender Zahl für den digitalen Wandel zu bekommen?

Im Führungskräftebereich merken wir den Fachkräftemangel noch nicht ganz so extrem wie bei Azubis und Hochschulabsolventen. Bei Softwareingenieuren und Elektrotechnikern mit IT-Ausrichtung stehen wir in enger Konkurrenz zu anderen Firmen der Region, etwa Phoenix Contact, Harting und Wago, aber auch zu überregionalen Riesen wie SAP, Bosch und den Autoherstellern. Das ist nicht einfach, den Wettbewerb nehmen wir aber gerne an. Mit attraktiver und flexibler Arbeit können wir dagegenhalten.

Zurück zu New Work. Ist eine neue Arbeitskultur mit den alteingesessenen Mitarbeitern möglich?

Da gilt genau die gleiche Antwort wie bei den Maschinen. Man schnippt nicht einfach mit den Fingern und steht plötzlich vor jungen kreativen Wissensarbeitern. Unser neues Customer & Technology Center in Detmold ist mit seiner offenen Arbeitsplatzgestaltung für 450 Mitarbeiter Baustein einer neuen Kultur, aber eben nur einer. Zudem werden wir unsere Führungskräftetrainings komplett überarbeiten, indem wir die Themen Führungs- und Feedbackkultur stärker von der Personalseite betrachten. Das werden wir auch mit den Mitarbeitern schaffen, die bereits lange im Unternehmen sind. Wir werden nicht alles über den Haufen werfen, schließlich ist ja nicht alles schlecht, was schon in der Vergangenheit geklappt hat. Wichtig ist, dass allen Kollegen der Nutzen von Veränderungen deutlich wird.

Weidmüller ist in 80 Ländern unterwegs. Ist die Vereinheitlichung technischer und kultureller Entwicklungen ein großes Problem?

Das ist ein dickes Brett, das man da bohren muss. Andererseits sind die Niederlassungen in anderen Ländern viel kleiner strukturiert. Eine Vertriebsgesellschaft hat zwischen 30 und 40 Mitarbeiter, die familiärer und flacher aufgestellt sind als die Zentrale in Detmold mit rund 2000 Mitarbeitern. Ein großer Tanker ist immer schwieriger zu bewegen als kleine Schnellboote.

Weidmüller hat 2017 einen Rekordumsatz erzielt. Führen Sie das auch auf die neue Digitalisierungsstrategie zurück?

Der erfreuliche Umsatz ist getragen vom guten Marktwachstum, aber auch von unseren neuen Produkten. Wir haben eine Division, die sich um Produkte für die Automatisierung und Digitalisierung kümmert. Da haben wir im vergangenen Jahr mit plus 25 % starkes Wachstum verzeichnet. Es lässt sich kaum nachhalten, aber vermutlich trägt auch die positive Resonanz der Mitarbeiter auf die Digitalisierungsstrategie zum Erfolg bei.

Was sich kaum verändert, ist die geschlechtliche Eindimensionalität, mit der sich Firmenkultur entwickelt. Fehlt es Ihnen in diesen Prozessen an Weiblichkeit?

Ja, leider haben wir darauf nur geringen Einfluss. Bei Weidmüller arbeiten Produktmanagerinnen und Entwicklerinnen, aber viel zu wenige. Es fehlt schlicht an Absolventinnen und damit an Bewerberinnen. Diversität ist ein positiver Faktor. Ein Männerteam verändert sofort seine Arbeitskultur, wenn eine Frau dazustößt. Das wäre ganz in unserem Sinne.

Andreas Grieger und Weidmüller

Andreas Grieger leitet seit Sommer 2017 als „Executive Vice President Human Resources Global“ den Personalbereich der Weidmüller Gruppe

Das 1850 gegründete Unternehmen mit Sitz im westfälischen Detmold ist Spezialist für elektrische Verbindungstechnik.

Die Unternehmensgruppe hat Produktionsstätten, Vertriebsgesellschaften und Vertretungen in mehr als 80 Ländern.

Im Geschäftsjahr 2017 erzielte Weidmüller einen Umsatz von 740 Mio. €. Für das Unternehmen arbeiten rund 4700 Mitarbeiter. ws

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