„Narzisstische Personen schaden Unternehmen“
Unternehmenskultur: Die Wirtschaftsingenieurin Victoria Berg hat zum Thema Narzissmus in Führungsetagen geforscht. Sie rät Unternehmen bei Beförderungen zu mehr Wachsamkeit und gibt Tipps zum Umgang mit allzu selbstverliebten Kolleginnen, Kollegen und Führungskräften.
VDI nachrichten: Kürzlich haben wir gelesen, dass man narzisstische Menschen mit einer einfachen Frage entlarven kann, nämlich „Bist du ein Narzisst?“ Weil angeblich eine solche Person dazu tendiert, sich selber auf einer Skala als eher narzisstisch einzustufen, damit er oder sie was Besonderes ist und sich abhebt. Was hältst du von der These?
Victoria Berg: Laut Forschung ist das tatsächlich so. Und gleichzeitig kann ich noch gar nicht auf persönliche Erfahrung damit zurückgreifen. Wenn man sich anschaut, was in der Theorie eine Person mit Narzissmus ausmacht, kann es aber durchaus so sein. Die Person glaubt von sich, dass sie eben eine herausragende Persönlichkeit ist. zu Und wenn man was Besonderes sein kann, beispielsweise in Form von so einem Label sozusagen, kann das sehr schmeichelnd sein.
Was ist eigentlich Narzissmus und wer ist davon betroffen?
Es ist wichtig zu unterscheiden. Es gibt zwei unterschiedliche Arten. Man unterscheidet zwischen dem subklinischen Narzissmus und dem klinischen Narzissmus, der wirklich sehr tiefgreifend ist und krankheitsbedingt zu kategorisieren wäre. Ich fokussiere mich hier auf den subklinischen. Er ist hoch ausgeprägt, aber noch nicht krankhaft. Narzisstische Menschen sind Personen, die in einer ständigen Ambivalenz zwischen einer extrem unrealistischen und selbst wahrgenommenen Grandiosität leben und gleichzeitig einen extremen Minderwertigkeitskomplex aufweisen. Damit diese Minderwertigkeit übertrumpft oder ausgeglichen werden kann, braucht diese Person die Bühne, eine extrem hohe Aufmerksamkeit und Wertschätzung von außen. Eine extreme Selbstüberschätzung ist die Folge davon. Sie glaubt, dass ihr Macht und hohes Ansehen zustehen. Sie wird oft als selbstverliebt, arrogant oder gar egozentrisch wahrgenommen. Was das Ganze so gefährlich macht: Sie hat eine extrem geringe Empathiefähigkeit.
Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen
Betrifft Narzissmus Männer und Frauen gleichermaßen?
In unserer Studie, und das ist auch in anderen Forschungsstudien und Ergebnissen zu sehen, ist es tatsächlich nicht gleich verteilt. Über alle Altersstufen hinweg war es so, dass Männer signifikant narzisstischer waren oder sind als Frauen.
Gibts da eine Erklärung für? Also woran kann das liegen?
Ich könnte hier nur Mutmaßungen anstellen. Was wir aber zumindest im organisationalen Kontext häufig beobachten, ist diese Bevorzugung von überspitzt gesagt männlich dominanten Alpha Leadern. Sie werden immer noch oft als Nonplusultra gesehen. Das heißt: Wenn ich nach oben kommen möchte, dann muss ich männlich, dominant und am besten auch noch so ein Alphagehabe an den Tag legen. Damit gehen oft narzisstische Verhaltensweisen einher. Dadurch entstehen gefährliche Vorbilder, denn es wird suggeriert: „Wenn ich nach oben will, muss ich mich so verhalten.“ Deshalb gilt es meiner Meinung nach dringend, diese Vorbilder zu überdenken und für neue, gesunde Vorbilder zu sorgen. Es gibt bereits viele erfolgreiche Führungskräfte, Männer wie Frauen, die uns zeigen, dass man ohne das männlich-dominante Alphaverhalten nachhaltig erfolgreich sein kann.
Fehler eingestehen Fehlanzeige, Kritik annehmen Fehlanzeige
Gibt es klare Verhaltensweisen, die eine narzisstisch geprägte Person an den Tag legt?
Es gibt nicht das eine klare Zeichen, es ist eher eine Kombination aus vielen Indizien. Ich nenne ein paar, aber Achtung, nur weil eins dieser VerVerhalten auftritt, heißt das noch nicht, dass man es mit einer narzisstischen Person zu tun hat. Es könnte beispielsweise sein, dass jemand unfassbar unfähig ist, Kritik anzunehmen, sehr schnell an die Decke geht oder keine eigenen Fehler eingestehen kann. Dass jemand ständig anderen ins Wort fällt und so ein extremes Bedürfnis an Rede und Aufmerksamkeit hat, dass andere dadurch zurückstecken müssen. Die Person strebt so nach Status, Macht, Ansehen und muss immer im Mittelpunkt stehen. Die Person manipuliert, lässt andere Kolleginnen und Kollegen schlecht dastehen. Die Risikobereitschaft ist erhöht und eine allgemeine Tendenz zur Selbstverherrlichung tritt auf: Seht her, wie toll doch alles ist und was ich alles Tolles tue und mache.
Wer mit einer narzisstischen Person zu tun hat, sollte sich Unterstützung suchen
Wie kann ich denn mit diesen Personen am besten umgehen?
Das ist sehr schwierig zu beantworten, denn es gibt leider nicht DIE eine Lösung hierfür. Der erste Schritt ist zunächst einmal Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen und zu erkennen, dass man es mit einer narzisstischen Person zu tun hat. Es ist wichtig, den Fehler nicht bei sich selbst zu suchen. Das führt zu emotionaler Erschöpfung, Stress und kann bis hin zum Burn-out führen. Und dann ist es wichtig, auf konstruktive und nette Art Grenzen zu setzen. Es kann sehr hilfreich sein, sich Unterstützung aus dem Team zu holen und sich zu versichern, dass es einem nicht allein so geht. Auch Coaching kann eine sinnvolle Unterstützung sein.
Es gibt eine Studie, laut der die heute 25-Jährigen eher zum Narzissmus neigen als die 25-Jährigen zur Jahrtausendwende. Hängt das genau damit zusammen, dass man auch durch Social Media immer mehr dazu neigt, individuell aufzutreten, so einen Selbstoptimierungsdruck zu haben und Likes zu sammeln?
Das haben wir selbst in unseren Studien nicht untersucht. Aber die Begründung liegt oft genau in einer ständigen Selbstoptimierung und Selbstdarstellung, dem Wunsch nach Likes auf den sozialen Netzwerken.
Narzissten sind zu Beginn nicht zu erkennen, sie können charmant und charismatisch wirken
Warum ist Narzissmus eigentlich ein Problem?
Wenn wir uns in Organisationen umsehen, kann es sehr gefährlich werden, weil sich diese Personen nur mit Jasagern umgeben. Gleichzeitig sind die Personen mit dieser Form des Narzissmus sehr rücksichtslos. Sie beanspruchen beispielsweise Erfolge für sich, die eigentlich das Team geleistet hat. Das ist für eine Unternehmenskultur sehr schlecht. Diese Personen sind sehr manipulativ und dominant. Es kann sogar so weit gehen, dass durch das manipulative Verhalten der Person unterschiedliche Teammitglieder gegeneinander aufgehetzt werden. Studien zeigen, dass Unternehmen durch narzisstisches Verhalten in Führungsetagen finanzielle Verluste erleiden. Die Personen neigen oft zu extrem hoher Risikobereitschaft, das kann bis hin zu Betrug und Vertrauensmissbrauch führen. Das Ganze ist deshalb auch so brisant, weil Narzissten und Narzisstinnen in den ersten Jahren nicht selten nur sehr schwer zu erkennen sind. Sie können nämlich sich unfassbar gut verkaufen, sind auch sehr charmant, charismatisch, wirken auch oft sympathisch und können zumindest vermeintlich, und das ist wichtig, eine sehr gute Beziehung aufbauen, die dann zugegebenermaßen eher oberflächlich ist.
Studie: Narzissten werden eher Führungskraft als andere Personen
Du hast Narzissmus in Führungsetagen untersucht. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen so einem Karriereweg und so einer gewissen Neigung?
Ja, durchaus. In unserer Studie mit knapp 10 000 Deutschen haben wir herausgefunden und konnten sehen, dass die narzisstischen Tendenzen zunahmen, je höher man in der Hierarchie kommt. Wenn man da in die aktuelle Führungsforschung schaut, unterscheidet man da zwischen der sogenannten Leadership Emergence, also wie wahrscheinlich ist es, dass ich Führungskraft werde? Und Leadership Effectiveness, also wie effektiv, wie gut, wie nachhaltig führe ich denn, wie gut kann ich meine Leute entwickeln? Und Leadership Emergence korreliert tatsächlich positiv mit einem ausgeprägten narzisstischen Verhalten. Das ist erst mal erschreckend. Das sagt aus: Personen, die narzisstisches Verhalten an den Tag legen, werden erst mal eher Führungskraft als andere Personen. Jetzt wird es aber interessant. Wenn wir jetzt nämlich auf Leadership Effectiveness schauen, also wie gut bin ich überhaupt in meiner Führungsrolle, gibt es eine umgekehrte U-Kurve, das haben viele Studien gezeigt. Das heißt: Die Leadership Effectiveness steigt zunächst einmal mit einem gering narzisstischen Verhalten, dann gibt es aber einen Wendepunkt und dann sinkt auf einmal die Leadership Effectiveness wieder mit steigendem Narzissmus. Kurz gesagt: Eine minimale Ausprägung an narzisstischem Verhalten kann durchaus förderlich sein in Bezug auf Leadership Effectiveness, kippt aber sehr schnell ins Negative und dann wird es wirklich eher hinderlich bis hin zu toxisch.
„Gute und nachhaltige Führung will gelernt sein“
Was müsste denn in Unternehmen geschehen, damit gegengesteuert wird?
Wir haben herausgefunden in unseren Studien, dass es hier wirklich einen unfassbaren Handlungsbedarf gibt. Es ist wichtig zu überdenken, nach welchen Kriterien Beförderungen erfolgen. Deshalb wäre eine Möglichkeit, auf jeden Fall gesunde Führungsvorbilder zu entwickeln, zu promoten und vorzustellen. Flächendeckende und nachhaltige Führungskräfteentwicklung sowie individuelles Coaching sind hier sehr hilfreich. Gute und nachhaltige Führung will gelernt sein. Ein weiterer wichtiger Baustein ist Feedback: Feedbackinstrumente anwenden, damit nicht nur die Selbstwahrnehmung im Unternehmen besteht, sondern vor allem die Fremdwahrnehmung. Damit die narzisstische Person auch fairerweise die Chance bekommt, sich zu verändern oder ihr Verhalten anzupassen. Mir hat jemand in meiner Beratungspraxis auch erzählt, dass eine narzisstische Führungskraft die Firma verlassen hat, weil sie die Veränderung der Unternehmenskultur hin zu einer empathischen Ebene nicht mitmachen wollte. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie machtvoll auch allein die Kultur sein kann, um solches Verhalten zu unterbinden. Auch sollte bereits beim Einstellungsprozess besonders darauf geachtet werden, wen man sich überhaupt in die Organisation holt. Bereits hier kann man mit modernen Methoden der Personalauswahl früh auf das Thema aufmerksam machen und dahin gehend auswählen.
Können sich Menschen mit starken narzisstischer Ausprägung ändern?
Ich bin fest davon überzeugt, dass es grundsätzlich möglich ist. Es gibt jedoch eine wichtige Grundvoraussetzung: dass die Person erkennt, dass sie narzisstische Verhaltensweisen aufweist. Und genau diese Einsicht ist oft ehrlicherweise nicht gegeben. Deshalb macht es das auch so schwer, da eine Veränderung zu erzielen, weil Coaching oder sonstige Maßnahmen nicht helfen, solange die Person nicht selbst merkt und erkennt, hier müsste was verändert werden.
Hören Sie das komplette Gespräch mit Victoria Berg und den Moderatoren Peter Sieben und Claudia Burger im aktuellen Podcast „Prototyp“, dem Karrierepodcast von ingenieur.de in Kooperation mit den VDI nachrichten.