Schöne agile Arbeitswelt
Agile Working ist die Parole: Die Arbeit soll menschlicher, Arbeitszeiten bedarfsgerechter und Aufgaben projektbezogen gelöst werden. Aus Einzelkämpfern werden kommunikationsfreudige Teamplayer. Welche Trends gibt es in Unternehmen, welche Ausprägungen lässt die Modernisierung bereits erkennen? Antworten gab eine Tagung in Stuttgart.
Alles wird sich ändern. Angetrieben von Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung sind Veränderungen im Gange, die den Menschen und seine Arbeit bis ins Mark treffen. Neue Technologien befördern das: selbstfahrende Autos, vernetzte Häuser, Roboter, die bald alle unangenehmen Aufgaben in der Produktion oder in der Pflege übernehmen.
Agile Working: Ursprung in Softwareentwicklung
Ob ihm der Begriff „Agile Working“ am Schreibtisch oder unterwegs eingefallen ist, kann Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer IAO und Urheber des Mottos, nicht mehr genau sagen. Vermutlich, weil er selbst ein agiler Arbeiter ist. Das agile Prinzip kommt aus der Softwareentwicklung. Dort geht es um schnelle Prozesse, Projektorganisation und darum, komplexe Aufgaben zu strukturieren.
Der Ansatz gewinnt in vielen Bereichen an Bedeutung: in der Produktentwicklung, der Produktion, der Verwaltung. Die Herausforderung ist, auch Standardprozesse per „agile work“ zu beschleunigen. Für Bauer ist entscheidend, dass der bewegliche Arbeitsplatz gut ausgestattet ist. Das Wichtigste sind ihm Notebook und Smartphone. Das Fraunhofer IAO begleitet eine Vielzahl von Agile-Working-Projekten.
Der Wandel der Arbeitswelt kündigt sich an: Eigene Schreibtische sind abgeschafft, der neue Dresscode erlaubt lockere Kleidung ohne Krawatte. Aber die Veränderungen gehen tiefer. Denn Führungskräfte sind in der neuen Arbeitswelt keine unnahbaren Autoritäten mehr. Die Transformation überstehen wir nur, wenn wir beweglicher werden, so der Tenor der Arbeitswissenschaftler auf einem Kongress in Stuttgart. Schwerfällige Strukturen großer und mittlerer Unternehmen, der sogenannten Old Economy, sind dafür jedoch hinderlich.
Raus aus der Komfortzone, rein in neue Arbeitsweisen, lauten die Weckrufe. Gehört haben sie bereits Unternehmen wie Bosch, SAP, BMW und Siemens.
BMW baut sein Münchner Forschungs- und Innovationszentrum, kurz FIZ, um, das 20 000 Arbeitnehmer in der Fahrzeugentwicklung sowie im Controlling beherbergt und zum Vorzeigestandort werden soll. Alles wird auf Kooperation ausgerichtet. „Wir nehmen die Mitarbeiter bei der Umgestaltung der Arbeitsräume mit“, so Markus Baumgartner, Projektleiter des FIZ Future. Schließlich sei der Wunsch nach Beteiligung merklich gestiegen.
Olaf Bolduan ist Arbeitnehmervertreter bei Siemens. Er ist überzeugt, dass die Qualifizierung der Beschäftigten um Digitalisierungsinhalte erweitert werden muss. Ein Siemens-Projekt stellt nun zusammen, was in Ausbildung und Weiterbildung zu ändern ist, um mit der Arbeit der Zukunft kompatibel zu sein.
Agil sein will auch das weltweit tätige Technologieunternehmen Bosch. Aber die Beweglichkeit des Konzerns ist begrenzt. Er ist zentral organisiert, Entscheidungsprozesse laufen hierarchisch ab, alles beruht auf langfristiger Konzernplanung. Da fällt es schwer, kurzfristig auf Marktgeschehnisse zu reagieren. Deshalb gründete Bosch eine kleine dezentrale Einheit, die Robert Bosch Startup GmbH. Sie ist eigenständig, unabhängig finanziert und steht dennoch unter dem Schutz des Großunternehmens. Ihr Büro in Ludwigsburg ist kommunikationsfreudig: Viel Arbeit findet in Gruppen statt, es gibt flexible Arbeitszeiten und wenig Präsenz am Schreibtisch. Alles Tür an Tür mit einer Prototypenwerkstatt. Peter Guse, ein erfahrener Boschler, ist Geschäftsführer der Start-up-Plattform. „Wir lernen, wie man mit Unsicherheiten umgeht, wir erkunden neue Märkte und bauen ein neues Geschäft auf“, betonte er in Stuttgart. Das agile Team hat kurze Entscheidungswege, ganz ohne die komplexen Planungsrechnungen der Konzernmutter.
Der Softwareentwickler SAP gründete „Apphouse“, um von Routinen wegzukommen. Die Lagerhalle einer alten Tabakfabrik ist alles andere als ein typisches Büro. „Grundsätzliche Idee ist, gemeinsam mit unseren Kunden neue Softwarelösungen zu erarbeiten“, erklärte Daniel Markwig, der sich als „AppHausMeister“ vorstellte. Aufträge werden wie ein gemeinsamer Workshop gestaltet.
In der Praxis heißt das: Lässig gekleidet trifft Führungskraft auf Techniker. Das Apphaus blendet Hierarchien aus, die Werkstattatmosphäre soll Kreativität herauskitzeln und offene Gespräche möglich machen. „Zusammenarbeitsplatz“ nennt Markwig den loftigen Ort, an dem Möbel gerückt werden und jeder Wünsche, Bedenken oder Anregungen an die Wände schreiben darf.
Sascha Theißen von der Holtzbrinck Publishing Group beantwortete die Frage „Wie macht man eigentlich die Welt agil?“. Der Jurist und Informatiker machte aus den Einzelkämpfern in der Rechtsabteilung des Medienunternehmens ein Team, das sich gegenseitig unterstützt. Jeder im Team wählt in Absprache Themen und Aufgaben, statt dass der Chef sie zuteilt. Regelmäßiger Austausch mit den Tochtergesellschaften verbessert das Verständnis für deren Bedürfnisse, so Theißen. Verträge wurden schneller fertiggestellt, alle haben mehr Spaß bei der Arbeit und werden häufiger von Kollegen als Rechtsberater kontaktiert. Theißens Schlussfolgerung: Wenn die Rechtsabteilung agil sein könne, könne das der Rest des Unternehmens auch. Einen echten Mehrwert würde es erst geben, wenn andere Abteilungen ihre alten Arbeitsweisen aufgäben und die Zusammenarbeit der Bereiche flexibler würde.
In den Niederlanden sorgt seit Juli 2015 das Homeofficegesetz dafür, dass Arbeitnehmer ein Recht auf flexibles Arbeiten haben. Immerhin ein Anfang. Allerdings kann der Arbeitgeber den Antrag seiner Beschäftigten auf Homeofficezeiten begründet ablehnen. „Arbeit so gestalten, dass sie ins Leben passt“, schwärmte Linda Voortmann von den niederländischen Grünen, die das Gesetz mit initiiert hat. „Glückliche Arbeitnehmer machen auch ihre Arbeitgeber glücklich.“ Eine schöne Vorstellung.