So geht Mitarbeitertraining heute
Besonders technikaffine Ingenieure profitieren von der virtuellen Weiterbildung, die bislang eher nur in großen Unternehmen praktiziert wird.
Laptoprucksack schultern, VR-Brille aufsetzen, Controller in die Hand nehmen – und schon taucht man mit Kollegen in die virtuelle Werkstatt des Audi Production Lab ein. Der Job: Das Cockpit des Audi Q2 nach Fehlern absuchen, diese mit dem Controller farblich markieren und, wenn nötig, einen Kommentar schreiben.
Das Ganze fühlt sich ein wenig nach Game an, zumal sich andere Fehlersucher um einen herum im virtuellen Raum bewegen und in diesen diverse Anmerkungen kritzeln. Die handelsübliche Brille lässt binnen kürzester Zeit vergessen, dass man in der virtuellen Welt unterwegs ist, in der sich nach Belieben zeigt, was hinter Verkleidungen steckt, ohne auch nur einen Schraubendreher anfassen zu müssen. Hier verbirgt sich das Hauptsteuergerät, dort der gefaltete Beifahrerairbag und weiter hinten stecken Teile der Klimaanlage.
Noch werden die Datenbrillen im Audi Production Lab erprobt. „Doch wir wollen die Technik nach und nach in die Praxis bringen“, sagt Henning Löser, Leiter des Labs. Hier werden die Innovationen von morgen ausgetüftelt und auf der methodischen Seite das VR/AR-Learning erprobt, das vor allem in technischen Berufen als zukunftsweisend gilt.
Im Ingolstädter Autowerk wie auch weit über die Branchengrenzen hinaus, nehmen VR-/AR-Anwendungen Fahrt auf. Sei es in der Forschung und Entwicklung, der Qualitätssicherung oder im Mitarbeitertraining. Der Trend erscheint fast zwingend, nachdem nicht nur Autos immer komplexer werden und herkömmliche Anleitungen auf Papier langsam an ihre Grenzen stoßen.
Ganz zu schweigen von der Mitarbeiterschulung: Monteure und Reparateure können sich schwerlich anhand von Zeichnungen und Diagrammen einen praxisnahen Überblick verschaffen – und wer kann es sich schon leisten, am lebenden Objekt etliche Reparaturschritte durchzuexerzieren?
Ihre Stärken spielen AR- und VR-Anwendungen im Mitarbeitertraining vor allem dann aus, wenn komplexe Sachverhalte verständlich gemacht werden sollen. Zudem können an unterschiedlichen Orten arbeitende Ingenieure gemeinsam trainiert oder auf ein neues Projekt vorbereitet werden, zumal interaktive Schulungen an realen und wirklichkeitsgetreuen virtuellen Objekten möglich werden. Damit erfüllt sich die in der Ingenieuraus-und -weiterbildung immer wieder erhobene Forderung nach „authentischen Lernumgebungen“. Und: Virtuelle Mitarbeiterschulungen, argumentieren Trainer, vermindern in der Praxis Fehler und drücken nebenbei die Kosten für Vor-Ort-Trainings sowie Meetings. Spätestens an dieser Stelle werden Budgetverantwortliche in der Personalabteilung hellhörig. Zwar sind täuschend echte 3-D-Simulationen längst nicht Standard in der Aus- und Weiterbildung, doch es bewegt sich etwas. Das geht aus der KPMG-Studie „Neue Dimensionen der Realität“ hervor, für die 250 VR- und AR-Beispiele aus der Praxis untersucht wurden.
Fazit: Viele Branchen nutzen virtuelle Realität schon heute – vom Maschinenbau über die Autoindustrie bis zum Handel. Allerdings werde das volle Potenzial der Technik längst nicht ausgeschöpft: „Virtual/Augmented Reality ist keine kurzfristige Modeerscheinung“, so Angelika Huber-Straßer, KPMG-Bereichsvorstand Corporates. „Vielmehr sehen wir großes Potenzial für die gesamte Wirtschaft, da Prozesse entlang der Wertschöpfungskette im Detail simuliert werden können.“ Neben den Kosten- und Zeitersparnissen etwa in Forschung und Entwicklung profitiere besonders der Ausbildungs- und Trainingsbereich.
So sieht man das auch bei Audi. Löser und sein Team erproben daher diverse Brillentechnologien. Derzeit wird Assisted Reality in der Motorenmontage getestet, wo im ungarischen Györ Monteure und Ingenieure von Google-Glass-Brillen unterstützt werden. Per Bild-Text-Darstellung werden ihnen Montageschritte für die jeweilige Motorvariante über dem rechten Auge eingespiegelt. „Mit Sprachbefehlen oder über den berührungsempfindlichen Rahmen der Datenbrille kann der Mitarbeiter die Arbeitsschritte durchgehen und bestätigen oder auch Detailinformationen, etwa ein Trainingsvideo, abrufen“, erklärt Löser.
Für Vielreisende, Führungskräfte und Budgetverantwortliche könnte VR auch in anderer Hinsicht verlockend sein: „Im Schnitt verursacht ein Mitarbeiter auf Geschäftsreisen in Deutschland 1100 € Reisekosten pro Jahr”, weiß KPMG-Zukunftsforscher Heiko von der Gracht. „Virtuelle Meetings könnten den Aufwand nicht nur signifikant senken, sondern deren Anlass komplett überflüssig machen: Wer virtuell mit allen Sinnen erlebt, braucht keine realen Meetings mehr“, sagt er und frohlockt: „Das wäre eine Revolution des Entscheidungsprozesses im Management.“
Bei Audi dürfen sich die Mitarbeiter jedenfalls schon mal auf die ersten VR-Meetings einstellen. Löser vom Audi Production Lab denkt sogar noch einen Schritt weiter: „Künftig sollen zudem die Gesichter der Teilnehmer in der Simulation zu sehen sein.“