Warum Ingenieure sich mit Philosophie beschäftigen sollten
Ohne dass Ingenieure sich dessen bewusst sind, werden sie täglich mit philosophischen Problemen konfrontiert, schreibt der Cottbuser Emeritus Klaus Kornwachs in seinem neuen Buch. Nicole C. Karafyllis, die an der TU Braunschweig Technikphilosophie lehrt, hat das Buch für die VDI nachrichten rezensiert.
Es gibt Bücher, auf die hat man schon lange gewartet. Ein solches Buch ist „Philosophie für Ingenieure“, geschrieben von dem verdienten Technikphilosophen und Physiker Klaus Kornwachs. Es ist keine Philosophie der Technik, sondern ein sanfter Appell an Ingenieurinnen und Ingenieure, sich für Philosophie zu interessieren. Der Grund liegt nicht darin, Ingenieure zu besseren oder gebildeteren Menschen machen zu wollen, auch wenn sich das Buch streckenweise so liest; der Grund liegt vielmehr darin, dass Ingenieure in ihrer täglichen Arbeit philosophische Fragen bearbeiten, ohne dies aber zu wissen.
Neben dem regelgeleiteten Rechnen und Machen erinnert Kornwachs an das eigene Fragen: Wie gehe ich mit Zufall und Komplexität um? Inwieweit kann ich Simulationen trauen? Welche Aussagekraft hat ein Modell und wo sind seine Grenzen? Wie bedingen sich Technik und Organisation gegenseitig? Und wo war der Diesel-Motor, bevor er erfunden wurde?
Diesen und noch viel mehr Fragen geht Kornwachs nach. Er tut dies auf unterhaltsame Weise und sogar unter Rückgriff auf illustrierende Cartoons. Quasi nebenbei bekommt man ein Bildungsangebot: Philosophen wie Platon, Leibniz und Kant sind als Motivatoren des Denkprozesses eingebaut und machen Lust, auch mal das Original in die Hand zu nehmen. Philosophische Teildisziplinen wie Erkenntnistheorie, Ethik und Anthropologie werden an Beispielen aus dem technischen Alltag verständlich aufbereitet, z. B. in der Frage, welches Menschenbild wohl die Nutzeroberfläche von Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn offenbart. In jedem der 14 kurzen Kapitel gibt es kleine Übungsfragen, um die grauen Zellen in Bewegung zu halten. Kornwachs empfiehlt die Beratschlagung mit Freunden, eingedenk des antiken Mottos, dass sich Philosophie im kritischen Dialog offenbart. Von daher ist das Buch auch gut für die Lehre geeignet.
Ohne es zu betonen, hilft der Autor den Technikwissenschaften beim Sondieren der Bedingungen für ein Theoriefundament im strengen Sinne, was bis heute ein Desiderat ist. Für das Tagesgeschäft reicht es aus, das eigene Handeln Begründungen zu unterziehen und da empfiehlt sich das Prinzip der Bedingungserhaltung als Maßstab. Kornwachs kennt die Zwänge ingenieurwissenschaftlicher Arbeitssituationen, aber auch manche Unzufriedenheit der Nutzer technischer Produkte.
Das Buch steigert sich mit zunehmender Seitenzahl wie ein musikalisches Crescendo. So ist das letzte Kapitel „Dienstleister oder Mitgestalter?“ zur gegenwärtigen Rolle des Ingenieurs hochaktuell und auch für Nicht-Ingenieure relevant. Das Standesbewusstsein und wie ernsthaft es sich auf Verantwortungsfragen bezieht, ist hier Thema. Es ist erfreulich, dass der Autor dieses heiße Eisen anpackt und daran erinnert, dass Ingenieure eine gesellschaftliche Verantwortung tragen, d. h. letztlich politisch handeln. Dafür müssten sie aber, im übertragenen Sinne, Werkzeuge an die Hand bekommen und Freiheitsgrade haben. Dass Kornwachs hier aus dem persönlichen Umgang mit Kollegen schöpft, statt sich auf aktuelle Studien zum durchaus fragilen Selbstverständnis der Ingenieure zu beziehen, offenbaren Beispiele, Diktion und Literaturverzeichnis. Die wenige Monate zuvor erschienene, instruktive Studie von L. Hieber und H.-U. Kammeyer, „Verantwortung von Ingenieurinnen und Ingenieuren“ (Springer 2014), hat es verständlicherweise nicht mehr in den Text geschafft.
So bleibt das einzig schwerwiegende Monitum an den Verlag zu richten, der offenbar – wie leider immer öfter zu lesen – ein professionelles Lektorat gescheut hat. Aber Verantwortung von Verlagen in Zeiten der beschleunigten und kosteneffizienten Drucklegung ist ein anderes Thema und es ist nicht auszuschließen, dass dieses auch mit einer Philosophie für Ingenieure zu tun hat. Bis hier eine sozial verträgliche Lösung unter dem Prinzip des Bedingungserhalts von Schriftsprache, ihren Regeln und ihrer Schönheit erzielt ist, heißt es: Weitermachen, Weiterlesen und Weiterfragen. Denn wie schreibt Kornwachs so treffend unter dem Stichwortn über Kommunikationsformen genau in den Kommunikationsformen, wir reden über Gestaltung von Datenbanken und benutzen sie gleichzeitig. Das mag paradox erscheinen und ist es auch.“