„Die Professur verliert an Attraktivität“
Um Praktiker für die Wissenschaft zu gewinnen, braucht es neue Anreize, meint Nicolai Müller-Bromley, Chef des Hochschullehrerbundes.
VDI nachrichten: Bundesbildungsministerin Wanka findet den Bewerbermangel für FH-Professuren „alarmierend“. Obwohl Bildung Ländersache ist: Hat die gesamte Politik geschlafen?
Müller-Bromley: Ich glaube schon. Das Aufgabenspektrum der Professoren wird immer größer. Die Arbeitsbedingungen haben mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Insbesondere die Höhe der Lehrverpflichtung ist mit 18 Semesterwochenstunden bei gleichzeitiger Aufgabenhäufung unverändert hoch. Der Grad an Selbstständigkeit, der früher für eine Professur charakterisierend war, ist dadurch sehr reduziert worden. In der Industrie ist hingegen der entgegengesetzte Trend größerer Flexibilität in den Führungspositionen spürbar. Die Professur verliert im Vergleich dazu an Attraktivität.
Was motiviert Menschen, die im Arbeitsleben stehen, sich an Fachhochschulen zu engagieren?
Spannend ist der Mix aus Forschung und Lehre. Forschen ohne den Kontakt zu Studierenden bleibt fade. Die Arbeit an Hochschulen lebt schließlich von jugendlicher Neugierde, von Beweglichkeit, Wissensdurst und vom wissenschaftlichen Diskurs. Die Weitergabe der eigenen Erfahrungswerte zieht Bewerber im ersten Moment an.
Im ersten Moment? Und dann?
Hören die Bewerber im Berufungsverfahren von den konkreten Bedingungen, von Pflichten, Aufgaben und vom Grundgehalt, schwindet schnell das Interesse. Viele Interessenten unterschätzen zudem die extrem hohen Anforderungen, die an FH-Professoren gestellt werden. Das schränkt den Bewerberkreis zwangsläufig ein. Aber wir schenken Kandidaten lieber reinen Wein ein, als sie mit falschen Versprechen anzulocken.
Wissenschaftler an Universitäten wissen wenig über die Karrierewege zur FH-Professur. Wäre es nicht sinnvoll, hier Wege aufzuzeigen? Das würde den Stau im universitären Mittelbau reduzieren.
Ich halte das für keine gute Lösung. Wir wollen ja nicht die zweite Garnitur der Universitäten, sondern unser Profil betont die Berufspraxis unserer wissenschaftlichen Ausbildung. Das können nur Personen gewährleisten, die wirklich in der Berufspraxis sind oder waren.
Würden mehr Gastdozenturen das Personalproblem mildern?
Das ist einer der klassischen Wege, der qualitativ geeignet ist, der aber zu schmal ist, um unseren hohen Bedarf quantitativ zu decken.
An der FH Münster hat eine Bauingenieurin innerhalb eines dreijährigen Schnellverfahrens eine Professur erlangt. Sollten solche Ausnahmeregelungen in Mangelfächern wie den Ingenieurwissenschaften möglich sein?
Ich halte das im Einzelfall für praktikabel. Eine Dauerlösung ist das nicht. Die Bewerber erfahren in einem von der Hochschule vermittelten Eilverfahren keine „echte“ Berufspraxis. Das würde das Profil der Fachhochschulen flächendeckend verwässern.
Befürchten Sie, dass es angesichts des vor allem in Ostdeutschland zu erwartenden Generationswechsels an den Fachhochschulen zu einer Verschärfung der personellen Lage kommt?
Ja. Wir müssen in den kommenden Jahren etwa 700 Professuren pro Jahr neu besetzen. Momentan sind es „nur“ 300. Schon jetzt haben wir große Schwierigkeiten, Kandidaten zu finden. Hier kann die Politik nicht tatenlos zuschauen.
Wo sehen Sie den wichtigsten Hebel, um das Personalproblem an Fachhochschulen zu lösen?
Jede Hochschule muss den finanziellen und rechtlichen Rahmen bekommen, ihre Probleme auf die für sie geeignete Art zu lösen: ob das Schnellverfahren wie in Münster sind, intensive Kooperationen mit Universitäten, Gender-Förderprogramme oder mehr wissenschaftliche Mitarbeiter. Denkbar wäre, dass Hochschulen dazu Konzepte entwickeln, die je nach Qualität, Realisierbarkeit und Vorbildcharakter aus einem Bund-Länder-Programm finanziert würden.