Elektroingenieure entwickeln Software
Jeder zehnte Absolvent der Elektrotechnik arbeitet in der IT-Branche. Es ist vor allem ihr Systemverständnis, das die Ingenieure für die IT-Industrie interessant macht. Die Nachfrage wird steigen, weil immer mehr Software in Autos, Fabriken und Waschmaschinen steckt und die Geräte vernetzt werden. Das Internet der Dinge ist Topthema der Cebit, die am kommenden Montag beginnt.
Im Namen steckt schon die halbe Wahrheit. „Weil die Informationstechnik ein großes Teilgebiet der Elektrotechnik ist, hat man sich Mitte der 1990er-Jahre darauf geeinigt, das Studium der Elektrotechnik einheitlich Elektro- und Informationstechnik zu nennen“, sagt Michael Schanz, im Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) zuständig für das Fachgebiet Beruf, Gesellschaft und Technik. Dass die Mehrzahl der Hochschulen ihre Studiengänge weiterhin oder wieder ganz traditionell Elektrotechnik nennt, hat allerdings keine Auswirkungen auf die Studieninhalte: Ingenieure der Elektrotechnik kennen sich mit der Informationstechnik aus. Das macht sie für die IT-Branche als Mitarbeiter höchst interessant.
Informationstechnik (IT), das sind Rechner, Server, Netze und Datendienste. Und Elektroingenieure die begehrteste Gruppe am Arbeitsmarkt unter den Ingenieuren. Jedes dritte Stellenangebot an Ingenieure richtet sich an Absolventen dieser Disziplin, so die Dekra in ihrem Arbeitsmarktreport 2014. Dabei gibt es aber nur etwa 8000 Absolventen jährlich, um die viele buhlen. In der Elektroindustrie beginnen die meisten, so der VDE. Etwa jeder zehnte Absolvent der Elektrotechnik fängt in der IT-Branche an, viele davon in der hardwarenahen Programmierung. BMW, Bosch, Conti – das sind zwar alles keine IT-Unternehmen. Sie alle aber haben Tochterfirmen, die sich um IT, beispielsweise im Auto, kümmert, fast schon die Hälfte der Herstellungskosten an einem Fahrzeug entfallen auf Elektronik und Software. „Der aktuelle Mitarbeiterzuwachs in der Automobilbranche geht maßgeblich auf das Konto der Programmierung“, sagt Michael Schanz. Am besten dafür geeignet seien nicht etwa Informatiker, sondern Ingenieure der Elektro- und Informationstechnik.
Embedded Systems heißen die Systeme in Autos, Medizintechnik oder Waschmaschinen, die die Geräte steuern, überwachen, Daten und Signale verarbeiten. Eingebettete Systeme, in Hardware gegossene Software, sind eine Domäne von Elektroingenieuren. Eine andere ist die digitale Datenübertragung, sei es in drahtlosen Computernetzwerken oder via Smartphone.
Weltweit wurde das Studium der Elektrotechnik erstmals 1883 an der Technischen Hochschule Darmstadt angeboten. Erst 1969 folgte die Informatik an der Universität Karlsruhe. Dazwischen gab es aber schon Telefon und Computer. Darum kümmerten sich bis Mitte der 1990er-Jahre überwiegend Elektroingenieure. Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte im Hightech-Branchenverband Bitkom, schätzt deren Anzahl auf aktuell 45 000 bis 50 000 in der IT-Branche. „Die allermeisten arbeiten bei großen Unternehmen mit langer Historie – Telekom und Infinion sind zwei bekannte Beispiele.“ Bei IT-Mittelständlern sind Elektroingenieure seltener, in Start-ups bilden sie eine verschwindend kleine Gruppe. Der Anteil der Elektroingenieure in älteren Unternehmen sei so hoch, weil es früher keine Alternative zu Elektroingenieuren gegeben habe. Erst durch die Informatikstudiengänge habe sich dies verändert. Im Wintersemester 2014/2015 gab es 34 500 Studienanfänger in der Informatik und nur etwa halb so viele in der Elektrotechnik. Mitte der 1990er-Jahre wurde diese klassische Ingenieurausbildung von der jungen Disziplin überholt. Zahlenmäßig liegen die beiden Fachrichtungen zwar weit auseinander. „Die Kompetenzprofile sind aber sehr ähnlich“, sagt Pfisterer.
DER BITKOM SCHÄTZT DIE ANZAHL DER ELEKTROINGENIEURE IN DER IT-BRANCHE AUF 45 000—50 000
Er geht davon aus, dass Elektroingenieure für die IT-Branche wieder bedeutender werden durch Themen wie die digitale Fabrik oder intelligente Stromnetze. „Für deren Entwicklung und Betrieb braucht man Elektrotechniker mit Softwarekenntnissen an der Schnittstelle Fertigungstechnik – Informatik“, so Pfisterer. „Elektroingenieure haben ein solides Know-how und die allermeisten lernen im Studium die Grundlagen der Programmierung und das Arbeiten mit Softwaresystemen.“ Die IT-Branche hat einen jährlichen Bedarf von 25 000 Hochschulabsolventen. Die 700 bis 800 Absolventen der Elektrotechnik dient allerhöchstens als Ersatz für die aus Altersgründen ausscheidenden Elektroingenieure. Die Konkurrenz um sie wird also weiter zunehmen. „Die Chancen für IT-Ingenieure sind nach wie vor sehr, sehr gut. Insbesondere vor dem Hintergrund der sich etablierenden digitalen Wirtschaft mit Themen wie Industrie 4.0 werden immer mehr IT-Experten gebraucht, insbesondere im Bereich Security“, sagt VDI-Präsident Udo Ungeheuer.
In der IT-Branche haben Informatiker Elektroingenieuren quantitativ den Rang abgelaufen, „qualitativ aber sind sie nicht zu ersetzen, weil sie ein Gesamtverständnis von Systemen haben“, sagt Volker Schanz, Geschäftsführer der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE. So planen sie bei der Telekom Telekommunikationsnetze oder entwickeln Bezahlsysteme fürs Telefonieren.
Die Verteilung, ob ein Informatiker oder ein Elektroingenieur eingestellt wird, hängt nach Meinung von Schanz vom Unternehmen und der Aufgabe ab. Bei SAP gibt es kaum, bei der Telekom viele Elektroingenieure. „Der Unterschied zwischen Informatikern und Elektroingenieuren aber schmilzt, weil sich die Studiengänge annähern“, sagt Volker Schanz.
Viele Hochschulen unterscheiden organisatorisch nicht mehr zwischen den Disziplinen und haben sie in einer gemeinsamen Fakultät zusammengefasst. Diese Kombination macht gerade für Deutschland Sinn, weil es hier viele Arbeitsplätze in sogenannten Softwaresekundärindustrien gibt: Autos, Maschinen und Anlagen. Überall dort spielt Software eine immer wichtigere Rolle. Und gesteuert werden die Systeme mittels eingebetteter Software.