Mühsames Tauziehen um junge Frauen im Ingenieurberuf
Seit Jahren wird versucht, mehr Frauen für Mathe und Technik zu begeistern. Die Zahlen aber bleiben trotz stetiger Verbesserungen bescheiden. Einige Frauen erzählen, was sie hemmt und wieso die Statistik manchmal täuscht.
„Ich hatte nie den Eindruck, dass ich benachteiligt gewesen wäre und dass ich besondere Hilfe gebraucht hätte“, sagt Franziska Dietel. Die heute 29-Jährige studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Bergakademie Freiberg in Sachsen und arbeitet im Technischen Vertrieb bei Schaeffler. Ihre Aufgabe: Kunden zu Beschichtungsmöglichkeiten beraten. Dietel ist ein Rollenvorbild für den weiblichen Ingenieurnachwuchs: „Es ist wichtig, dass man Frauen motiviert und sie ermutigt, sich für Technik zu begeistern“, ist die junge Frau überzeugt.
Neu ist diese Forderung nicht. Doch sie scheint noch immer berechtigt zu sein. Nach aktuellen Erhebungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) sind zum Stichjahr 2013 von den insgesamt 1,726 Mio. erwerbstätigen Ingenieuren in Deutschland gerade mal 311 000 Frauen. Das entspricht zwar einer gewissen Steigerung gegenüber 2005, macht aber noch keine 20 % aus. Und in einigen Fachbereichen sieht es noch düsterer aus.
Schlusslicht unter den von Frauen gewählten Fachrichtungen etwa ist mit einem Anteil von 7,2 % der Bereich Elektrizität, Energie und Elektrotechnik. Noch immer arbeiten sehr wenige Ingenieurinnen in dieser Branche (s. Grafik). Die Spitzenplätze belegen Architektur/Städteplanung sowie Umwelt- und Naturschutz, Umwelttechnik, Abfallwirtschaft, gefolgt von Chemie- und Bauingenieurwesen.
„Frauen geben Technik neue Impulse“ hieß es 1999, als sich Ingenieurinnen vieler Verbände zum gleichnamigen Verein zusammenschlossen, um auf sich aufmerksam zu machen. Ihr wichtiges Ziel: angesichts der damals beginnenden „Technisierung der Lebenswelten in Alltag und Beruf“ die weibliche Perspektive einzubinden und selbstbewusst auf Frauen-Netzwerke zu setzen. 2005 hat sich der Verein umbenannt in „Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit“. Dessen Vorsitzende Barbara Schwarze gibt angesichts des niedrigen Frauenanteils umumwunden zu: „Ich würde mir 30 % bis 35 % wünschen.“ Burghilde Wieneke-Toutaoui, Präsidentin der Technischen Hochschule Brandenburg und stellvertretende Vorsitzende des VDI-Netzwerks Frauen im Ingenieurberuf, fügt hinzu: „Wir arbeiten uns langsam nach vorne, aber es geschieht viel langsamer, als ich jemals dachte.“
Immerhin: „Der Frauenanteil unter den Mint-Beschäftigten liegt bei nur 15 %, ist aber langsam steigend“, sagt Schwarze. Insbesondere in den jüngeren Altersgruppen holen die Frauen auf. Ein Viertel der unter 35-jährigen Mint-Akademiker sind inzwischen Frauen. Damit liegt, so heißt es im Herbstreport 2014 des IW Köln, der Frauenanteil in dieser Altersgruppe um mehr als zehn Prozentpunkte höher als bei den über 55-Jährigen. Es sind zaghafte, aber immerhin messbare Erfolge.
Zurückzuführen sind sie u. a. auf die jahrelangen Anstrengungen, Mädchen und jungen Frauen Technik schmackhaft zu machen. Rund 260 Initiativen gibt es bundesweit, heißt es im 2013 veröffentlichten VDI-Report. Ob Klassiker wie der Girls‘Day, spezielle Coachings für Frauen, Karrierekongresse, bundesweite Netzwerkinitiativen oder Mint-Slams, bei denen Ingenieurinnen auf unterhaltsame Weise ihren Beruf präsentieren. Es wird viel geworben und doch steigen die Zahlen nicht wie erhofft. Schwarze macht einen Drehtüreffekt mitverantwortlich. Zwar seien Frauen „zunehmend nach dem Ingenieurstudium in einem technischen Umfeld tätig. Doch sie wechseln häufig wieder heraus in Bereiche, in denen die Geschlechter stärker gemischt sind oder sie wechseln in frauentypische Bereiche.“
Ingenieurinnen sind nicht karriereaffiner als Frauen anderer Berufsgruppen
Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung zeigt: Nicht nur im Beruf, sondern auch im Ingenieurstudium gibt es immer mehr Frauen. So verzeichnete das Studienjahr 2014 so viele Mint-Studienanfängerinnen und -absolventinnen wie noch nie.
Gerade in die klassischen Ingenieurwissenschaften wie Maschinenbau/Verfahrenstechnik (21 %), Elektrotechnik (14 %), aber auch Informatik, schreiben sich immer mehr Frauen ein. „Hier zeichnet sich eine positive Entwicklung ab“, konstatiert Schwarze. Entscheidend seien jedoch die absoluten Zahlen: Im Jahr 2014 studierten mehr als doppelt so viele Frauen ein Mint-Studienfach wie 2000, nämlich 105 449. Allein in den Ingenieurwissenschaften stieg der Frauenanteil in diesem Zeitraum um 182 % an.
Claudia Leffler hat sich für Elektrotechnik entschieden. Gerade schreibt sie an der Universität Erlangen-Nürnberg ihre Masterarbeit über Glasfaseranwendungen. Zwar habe auch sie zu Beginn ihres Studiums von Kommilitonen hören müssen, als Frau schaffe sie es nicht. Doch die 27-Jährige machte ihr Ding, wollte sich in kein Klischee pressen lassen. „Als ich mich das erste Mal bewiesen hatte, hatte ich es von da an leichter.“ Durch ein firmenweites Mentoringprogramm habe sie zudem gelernt, sich nicht „unter Wert zu verkaufen“.
Frauen, die sich für ein Technikstudium entschieden, möchten aber noch lange nicht alle Karriere machen. Der „intrinsisch orientierten“ Arbeitseinstellung vieler Ingenieurinnen stehe ein Zuwenig an entsprechenden Karrieremöglichkeiten gegenüber, bemängelt Wieneke-Toutaoui. Sie beobachtet außerdem einen „Rollback“. Frauen schüfen sich nicht unbedingt eine „Basis als unabhängige Selbstversorgerin“, so die fib-Frau. „Sie wollen in der Familie Geborgenheit aufbauen und verzichten zu oft auf eine stabile Berufstätigkeit.“
Für Agnes Hellmuth gehört die Familie ohne Wenn und Aber zu ihrem Leben dazu. In ihrem Bekannten- und Freundeskreis lege jede Frau Wert darauf, Familie zu haben. Die 25-Jährige studiert Angewandte Chemie an der TH Nürnberg und schreibt gerade an ihrer Masterarbeit in Beschichtungstechnik. Obwohl sie das Zeug dazu hätte, will sie nicht promovieren, die zahlreichen Initiativen, die Frauen fördern, kennt sie kaum. „Angebote für Frauen sind sicherlich hilfreich, aber sie schrecken auch ab, wenn es speziell etwas für Frauen ist.“ Die Masterstudentin möchte sich auch ohne frauentypische Angebote gleichgestellt wissen.
Anders Leffler. Sie belegte ein Seminar zum Thema Business-Knigge, das sie selbst finanziert hat. „In unserer Zeit ist die Außenwirkung entscheidend“, sagt sie und weiß auch schon, was sie definitiv nicht tun wird als Frau: „Arbeiten, Kinder bekommen und dann vom Arbeitsmarkt verschwinden.“