Sprungbrett für Praktiker
2009 hat die Kultusministerkonferenz den Zugang zum Hochschulstudium für Praktiker geöffnet. Sogar ein MBA-Studium ist ohne Bachelor möglich. Auch andere Karrierewege führen zum Ziel. So ist der technische Betriebswirt ein Titel, mit dem so mancher auf gleiche Position wie ein Ingenieur kommt.
Lackierstraßen für die Automobilindustrie entwickeln, herstellen und in Betrieb nehmen. Das ist künftig der Job von Roland Bruhn. Der 33-jährige Schwabe startet demnächst als Projektleiter beim Lackieranlagenspezialisten Dürr in Bietigheim-Bissingen.
Den neuen Job hat sich der gelernte Instandhaltungsmechaniker mit viel Fleiß verdient. Denn künftig arbeitet der gebürtige Nördlinger auf Augenhöhe mit Diplom-Ingenieuren, obwohl er bislang nicht an einer Hochschule studiert hat. Stattdessen wählte er den zweiten Bildungsweg für seine Karriere – mit der Option, demnächst womöglich noch einen MBA zu starten.
Doch der Reihe nach: „Von den Noten her hätte ich gut aufs Gymnasium gehen können“, erinnert sich Bruhn im Rückblick. Stattdessen wählte er den Weg des Praktikers. Schloss die Realschule mit der Mittleren Reife ab und ging nach der Lehre zum Elektroniker zur Bundeswehr. Danach absolvierte der junge Mann eine Vollzeitschule, die er mit dem Techniker abschloss und entdeckte in diesen Jahren seine Leidenschaft fürs Programmieren. „Das habe ich dann auch acht Jahre lang gemacht“, sagt Bruhn. Er hat Maschinen und Anlagen programmiert und das Ganze in Betrieb genommen.
September 2012 trifft der Berufserfahrene dann eine Entscheidung. Er meldet sich zu einer berufsbegleitenden Weiterbildung an und strebt binnen eines Jahres einen IHK-Abschluss zum Technischen Betriebswirt an. Dieses nebenberufliche Engagement gefiel der Dürr-Personalabteilung offensichtlich so gut, dass sie Bruhn gleich als Projektleiter einstellte. Eine Position, die ansonsten nur Ingenieure mit Diplom oder Bachelor respektive Master ergattern. Eine Praktiker-Karriere aus dem Bilderbuch also.
Für Jochen Stargardt nichts Ungewöhnliches. Er kennt Bruhn. Der künftige Projektverantwortliche von Dürr war Teilnehmer an Stargardts Schneller-schlau-Schule. „Roland Bruhn hat sich bei uns wie viele Praktiker auf den technischen Betriebswirt vorbereitet“, sagt Stargardt. Dabei beobachtet der Weiterbildungsanbieter seit ein paar Jahren, dass sich immer mehr Elektriker, Mechatroniker, Maschinenschlosser oder Werkzeugmechaniker kaufmännisches Wissen aneignen. Entweder, um im Job eine Führungsposition zu übernehmen oder um zu studieren.
Denn seit 2009, als die Kultusministerkonferenz den Zugang zum Hochschulstudium für Praktiker geöffnet hat, ist Studieren ohne die bislang notwendigen Schulabschlüsse möglich. „Sogar ein MBA-Studium ist ohne Bachelor drin“, verdeutlicht Stargardt.
Allerdings nehmen im Moment gerade einmal 5 % diese Chance wahr, schätzt der Waiblinger Weiterbildungsunternehmer. Die Tendenz ist zwar steigend, doch die Tücke liege im Detail. Immerhin sei ein MBA, wie ihn etwa die Hamburger Fernhochschule oder die Donau-Universität Krems speziell für Techniker anbieten, kein Pappenstil. Um dem Unterricht in Englisch folgen zu können und um bei Finanz- und Rechtsthemen nicht bei null anfangen zu müssen, sei eine fundierte Vorbildung und Einsatzbereitschaft notwendig, so der Bildungsexperte.
Aufpassen müssten künftige MBA-Teilnehmer bei der Anbieterwahl auf die Qualität. „Zunächst sollten die Suchenden prüfen, ob der Träger akkreditiert ist“, verdeutlicht Stargardt. Denn nur dann sei der MBA-Abschluss überhaupt möglich. Wer als Techniker direkt, ohne nochmals ein Bachelor-Studium abschließen zu müssen, einen MBA-Studiengang absolvieren will, kann das an der Donau-Universität Krems. Technische Betriebswirte machen eine Aufnahmeprüfung und könnten sofort loslegen, weiß Stargardt.
Sie können dort unter Anrechnung ihrer bisherigen Leistungen beim Praxisstudium mit IHK-Abschluss ein akademisches Studium mit dem international anerkannten Abschluss Master of Science aufnehmen. Es wird in sechs verschiedenen Fächern angeboten: Strategie, Technologie und Management, Supply Chain Management, IT-Consulting, Industrial Engineering und Information Security Management.
MICHAEL SUDAHL