Die eigenen größten Talente erkennen
Die Diplom-Psychologin Madeleine Leitner befreit Ingenieurinnen und Ingenieure von „Betriebsblindheit“.
VDI nachrichten: Frau Leitner, Sie sagen, dass die meisten Menschen ihre Stärken gar nicht kennen. Wie kann das sein?
Leitner: Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Menschen sind gerade für ihre größten Talente auch am blindesten, was natürlich fatal ist. Ihre größten Talente fallen ihnen ja per Definition so leicht, dass sie oft noch nicht einmal merken, dass sie überhaupt etwas tun. Wenn man sie erstaunt fragt, wie sie irgendetwas gemacht haben, reagieren sie mit Erstaunen und meinen, dass das rein „intuitiv“ war. Dieser Begriff ist eigentlich nur ein anderes Wort für das, was ich als die „unbewusste Kompetenz“ bezeichne.
Wie kann ein Ingenieur oder eine Ingenieurin denn diese unbewussten Kompetenzen herausfinden und für sich nutzen?
Es ist gar nicht so einfach, die eigenen Talente herauszufinden. In der psychologischen Eignungsdiagnostik gibt es nur wenige wissenschaftlich fundierte und gute Tests, mit denen man Talente herausfinden kann. Und selbst beim besten Verfahren sind die Ergebnisse für die Betroffenen selbst oft nicht nachvollziehbar. Ein Test oder ein Urteil von Experten ist ja immer ein Fremdbeurteilungsverfahren aus der Außensicht. Viele Menschen können das aber nicht mit sich verbinden. Das gilt erst recht für die größten Talente, für die Menschen ja besonders blind sind.
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Mit der Geschichtentechnik zum Erfolg
Wie gehen Sie dann vor?
Ich arbeite mit der „Geschichtentechnik“. Meine Klienten schreiben Geschichten auf über irgendetwas, das ihnen irgendwann einmal in ihrem Leben Freude gemacht hat. Methodisch gesehen sind diese Episoden wie Stichproben aus ihrem Leben. Diese werden anschließend gemeinsam auf die darin enthaltenen Fähigkeiten analysiert. Die Herausforderung besteht darin, die Talente zu entdecken, die die Betroffenen selbst nicht erkannt haben – mit der Hypothese, dass das ihre größten Fähigkeiten sind.
Karriere machen: Die Codes der Erfolgreichen
Ich stelle daher viele Fragen und gebe Feedback mit Belegen, an welcher Stelle der Geschichte ich welches Talent erkannt habe. Es handelt sich ja nicht um wilde Spekulation, sondern um ein evidenzbasiertes Verfahren: Die Fähigkeiten sind a in der „Stichprobe“ – der Geschichte – auch tatsächlich vorhanden. Die meisten Klienten sind anfangs sehr überrascht über das Feedback, weil sie sich diese Fähigkeiten selbst nie zugeordnet hätten.