BUCH 22. Apr 2016 Evdoxia Tsakiridou Lesezeit: ca. 2 Minuten

Die Kunst, Vorgesetzte zu lenken

„Der neue Chef ist ein Problem, das sich mit strukturbedingter Typizität laufend wiederholt, eines der wenigen Organisationsprobleme, dem mit Recht universelle Bedeutung beigemessen werden kann“, schrieb Niklas Luhmann. Der bedeutendste deutschsprachige Vertreter der soziologischen Systemtheorie nahm sich eines Themas an, das er als wenig erforscht erachtete: den Personalwechsel in einer Führungsposition.

Prototyp des miesen Chefs: Der mobbende und fiese Stromberg (gespielt von Christoph Maria Herbst) aus der gleichnamigen TV-Serie bereitete Probleme, hatte aber auch welche.
Foto: dpa/Brainpool/Willi Weber

Zwar hat der Soziologe dazu keine Theorie ausgearbeitet, aber sich in Aufsätzen und Reden mit dem Thema auseinandergesetzt. Nun hat der Suhrkamp-Verlag sich seiner Betrachtungen angenommen und diese erstmals im Buch „Der neue Chef“ veröffentlicht.

Der Jurist Niklas Luhmann war vor seiner wissenschaftlichen Karriere acht Jahre Beamter am Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. Der Kosmos der Beamtenstuben ist dementsprechend der Ausgangspunkt seiner empirischen Ministudie. Aus der Distanz und mit wissenschaftlicher Präzision beschreibt er beim Wechsel des Chefs Vorgänge (Gerüchte breiten sich aus) und Befindlichkeiten (Aufregung und Nervosität) – die sich in jeder anderen Organisation ebenfalls finden. Er weist auf die „sozialen Ordnungen“ hin, in die jede Person mit ihren verschiedenen Rollen eingebunden ist: „Ein Konzernpräsident kann verheiratet oder unverheiratet, Tänzer oder Nichttänzer, Kirchenmitglied, Jäger usw. sein (…). Jede Nachfolge in der Rolle bringt daher neue Kombinationen und neue Probleme mit sich (…). Man muss sich nicht nur an neue Menschen gewöhnen; auch die sozialen Zusammenhänge, die durch Personen vermittelt werden, ändern sich bei jedem Wechsel.“

Wie soll man also mit ihm/ihr umgehen? Luhmanns Beobachtung: „Es gilt, die richtige Mischung von Respekt und Offenherzigkeit, von Bescheidenheit und selbstverständlicher Erfahrungssicherheit, von Angebot und Zurückhaltung zu finden.“ Der Soziologe verweist aber auch auf die Anfangsschwierigkeiten der neuen Führungskraft: „Auf ihn dringt eine Fülle von neuen Mitarbeitern ein, die noch keine persönlichen Gesichter haben, und deren Hintergedanken er nur vermuten, nicht erraten kann. Dazu kommt, dass die konzentrierte Aufmerksamkeit seiner Umgebung, ihr Interesse an Hinweisen für die Bildung fester Erwartungen, die Bedeutung erster Fehler vergrößert.“

Das Werk ist in drei Gebiete aufgeteilt. Im ersten Teil führt der Autor in das Themengebiet ein, definiert Begriffe und weist darauf hin, dass sowohl formale als auch informale Erwartungshaltungen sowie Rollendefinitionen wichtige Funktionen in einer Organisation haben. Ebenso spielen Kommunikationsstrategien und unterschiedliche Wertvorstellungen eine entscheidende Rolle. Im zweiten Teil untersucht er alte (Individuum versus Kollektiv) und neue Strömungen der Arbeitsorganisation und deren Motivationstheorien.

Den Höhepunkt bildet das dritte Kapitel: „Unterwachung oder die Kunst, Vorgesetzte zu lenken“, lautet die Überschrift. Denn „Vorgesetzte sind für Untergebene nicht nur Schutz und Trost. Vielmehr sind sie ein wichtiges Werkzeug bei der Durchsetzung von Plänen und Absichten“, hat der Soziologe festgestellt. Sein stärkstes Motiv bei der Ausarbeitung dieses Themas ist, eine gewisse (Waffen-)Gleichheit herzustellen: „Ich finde es einfach ungerecht, dass man Vorgesetzte, die durch ihre Stellung ohnehin schon privilegiert sind, auch noch von der Forschung her stützt, mit Kursen über Menschenführung beglückt und mit entsprechenden Techniken ausrüstet (…). Dabei ist der Umgang mit Vorgesetzten gewiss nicht einfacher als der mit Untergebenen.“

Luhmann analysiert das Machtgefüge zwischen Chefs und Untergebenen

So befragt er einen fiktiven Untergebenen nach seinen Zielen. Dann analysiert er das Machtgefüge zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und zeigt wechselseitige Abhängigkeiten auf. Letzterer ist gar nicht so machtlos, wie er immer geglaubt hat, betont Luhmann, und beschreibt einige subtile Taktiken der Unterwachung. Er sieht auch kein Problem mit der Linientreue, das Problem liegt vielmehr „im analytischen Aufschließen komplexer Sachverhalte“.

Der Untergebene sollte eher seine diagnostischen Fähigkeiten verbessern, seine Beobachtungen sammeln und Regeln des Erfolgs ableiten, die dann Ansatzpunkte für oben erwähnte Taktiken bieten – mit der Gefahr, dass das System ihn dann zum neuen Chef befördert.

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