Willkommen im Autoland Deutschland
Das Bonner Haus der Geschichte widmet dem Verhältnis der Deutschen zu ihren Autos eine inspirierende Schau.
Was wäre James Bond ohne seinen legendären Aston Martin? Warum wurde dem Opel Manta in dem Kultfilm „Manta, Manta“ ein Denkmal gesetzt? Wieso erinnert sich vermutlich jeder Deutsche an den Moment, als er den Führerschein in den Händen hielt und endlich losdüsen durfte? Und warum tut es so weh, wenn der „Lappen“ weg ist?
Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos. Bis 21. 1. 18, Haus der Geschichte, Museumsmeile, Willy-Brandt-Allee 14, Di–Fr 9 Uhr bis 19 Uhr, Sa+So: 10 Uhr bis 18 Uhr.
Autos faszinieren Menschen seit rund 130 Jahren wie kein anderes Massenprodukt. Sie sind mehr als ein Fortbewegungsmittel. Sie werden gehegt und gepflegt und avancieren zum Kultobjekt und Sammlerstück. Aber manche nennen sie auch Dreckschleuder oder lehnen sie ab, weil sie seit jeher auch in der Lage sind, dramatische Unfälle auszulösen oder die Umwelt zu verschmutzen. Das Bonner Haus der Geschichte gibt dem Langzeitphänomen Auto in der neuen Sonderausstellung mit dem Titel „Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“ eine Bühne und fordert zu einer gedanklichen und emotionalen Auseinandersetzung mit „des Deutschen liebstes Kind“ heraus. Die glänzenden Karosserien und originellen Designs in Nahaufnahme zu betrachten, versetzt nicht nur Autofreaks in Begeisterung. Doch die schönen und schnellen Objekte, die immer wieder Respekt vor der Ingenieur- und Designerleistung abverlangen, werfen auch Fragen auf. In dieser Ambivalenz liegt der Reiz dieser abwechslungsreichen Präsentation.
Einen Porsche als Schrottskulptur im Foyer aufzubauen, muss den Besucher verwirren und bleibt das Geheimnis der Ausstellungsmacher. Vielleicht soll der Gedanke, dass eines der schönsten Autos der Welt auch irgendwann nur ein unansehnliches Blechpäckchen ist, erden. Wenige Schritte weiter dann ein wahrer Gag. Die Besucher betreten die Ausstellung durch eine Waschanlage. Schwarz-rot-goldene mannshohe Bürsten, die in der Regel verdreckten Autos zu neuem Glanz verhelfen, drehen sich um sich selbst, sobald man einen roten Programmknopf drückt. Dann laufen hinter diesen Bürsten Bilderschauen, die den Titel der Ausstellung visualisieren, und stimmen auf die emotionale Fahrt durch die kulturhistorische Geschichte eines Fortbewegungsmittels ein, das als Konsumgut allgegenwärtig ist. Herzlich willkommen im Autoland Deutschland!
Die etwa 800 Exponate, darunter Fotos, Werbeplakate, Dokumente, Filmausschnitte, interaktive Medienstationen, Spielzeuge und natürlich echte Autos, verdeutlichen, dass unser Leben mit dem Automobil so eng verzahnt ist wie mit dem eigenen Kaffeebecher oder mit der Lieblingsjacke. „Ich liebe mein Auto“ und „Ich lasse ungern jemand anderen fahren“ sind Aussagen an einer interaktiven Medienstation zur Einstimmung in das Thema, die in Umfragen ermittelt wurden. „Für Deutschland steht“, sagen die Menschen, „nicht nur die Fußballnationalmannschaft“, nein, „steht auch der VW.“
Weil das Auto in den 1960er-Jahren als Massenprodukt erschwinglich wurde, erweiterte sich der Handlungsspielraum für Menschen. Es war toll, mit dem Auto in den Urlaub zu fahren und die individuelle Freiheit und Unabhängigkeit zu genießen. Der VW Bus war erst nur ein Nutzfahrzeug, wurde aber mit steigendem Wohlstand und dem wachsendem Tourismus für Campingurlaube eingesetzt. Autowerbung und Filme knüpften an die Versprechen von „Freiheit und Abenteuer“ an. So auch der Film „Manta, Manta“ aus dem Jahr 1991. Bertie alias Til Schweiger schwärmte damals: „Wenn du mit dem Schlitten durch die Stadt fährst, die Fenster auf und die Anlage voll aufgedreht bis zum Anschlag, das ist mehr als nur Auto fahren, das ist ein Gefühl von Freiheit, das ist total geil.“ Til Schweiger lockte mit seinem gelb-blauen Opel-Sportwagen – die Farben wurden extra für die Sonderanfertigung gemixt – rund 1,2 Mio. Menschen in die Kinos.
Viele Besucher werden sich an den Film erinnern, wenn sie das Originalfahrzeug mit dem Heck- und Frontspoiler und der Heckschürze in der Ausstellung bewundern. Der ADAC propagierte in den 1970er-Jahren „Freie Fahrt für freie Bürger“ und richtete sich mit dieser Kampagne gegen Tempolimits auf deutschen Autobahnen mit dem Ergebnis, dass nur ein unverbindliches Tempo von 130 km/h eingeführt wurde. Bis heute. Staus, verdeutlicht die Präsentation, gab es schon in den 1960er-Jahren. Heute kommen noch in den Ballungszentren und großen Städten Feinstaubbelastungen hinzu, für deren Reduzierung noch keine wirkliche Lösung in Sicht ist.
Originell ist nicht nur die Waschanlage als Entree, sondern auch die Idee, Kopien von Führerscheinen zu präsentieren, um die biografischen Erfahrungen der Besitzer mit der neuen „Fahrerlaubnis“ zu veranschaulichen. Eine Behinderte berichtet davon, dass ihr das Auto gesellschaftliche Teilhabe ermöglichte. Für Frauen hatte der Führerschein in den 1950er-Jahren eine besondere Bedeutung, weil sie die Erlaubnis des Mannes benötigten, um das heiß ersehnte Papier zu erwerben. Und Moderator Günter Jauch sieht seinen Führerschein in der Rückschau als „Vehikel in die Erwachsenenwelt“. Die Werbung hat sich die Emotionalisierung des Autos zunutze gemacht, als sie textete: „Es geht um mehr als um ein Auto. Es geht darum, wohin es dich führt.“ Marketing und Werbung müssen sich heute immer neue Slogans einfallen lassen, um das Image einer Marke zu transportieren und Unterscheidungen im Produkt sichtbar zu machen. Das Auto spricht alle Sinne an. Auch das berücksichtigen die Bonner Ausstellungsmacher mit ihrem Geruchslabor. Es lädt dazu ein, Autos auch zu riechen und Materialien anzufassen. Wer seine Nase ins Labor steckt, kann zum Beispiel Abgas, Öl oder Gummi schnuppern.
Das Auto ermöglicht Menschen nicht nur das unkomplizierte Reisen, es ist schon lange auch ein Symbol für Bedeutung und Macht. So kann der Besucher in der Ausstellung den Mercedes-Benz 600 Pullman, der häufig als Staatskarosse eingesetzt wurde, in Nahaufnahme bestaunen. Königin Elisabeth II. fuhr 1965 als Erste eine solche Limousine. Im Staatszeremoniell hat das Auto eine wichtige protokollarische Funktion. Tagesschau-Zuschauer erleben es regelmäßig. Autos repräsentieren. Die Wahl der Staatskarosse signalisiert über alle politischen Systeme hinweg den Status des Politikers.
Dem Alltag davonfahren, einen Rausch erleben. Der Faszination von Geschwindigkeit ist ein eigener Ausstellungsbereich gewidmet. Die Freude an der Geschwindigkeit macht für viele lange Zeit den Reiz des Fahrens aus. In den 1990ern bekannte sich jeder zweite Mann und jede dritte Frau in einer Umfrage zu der Aussage: „Es macht mir Spaß, einen Wagen voll auszufahren.“ Motorentechnik, Design und Ausstattung der Autos spiegeln das Leitbild Schnelligkeit. Neben der Seifenkiste aus dem Jahr 1904 vom ersten Kinderautorennen bietet ein Fahrsimulator die Gelegenheit, richtig Gas zu geben. Hier erwarten die Ausstellungsmacher lange Schlangen. Das Beruhigende an dem Spaß ist, dass das Scheitern auf der virtuellen Straße ohne schlimme Folgen bleibt. Im Gegensatz zur Realität. Noch immer sterben viele Menschen auf der Straße, das verschweigt die Ausstellung nicht, auch wenn die Zahl der Verkehrstoten enorm gesunken ist. 1970 gab es rund 21 000 Tote, 2016 waren es 3200. Ein wesentlicher Grund für diesen Rückgang sind auch die Ingenieurleistungen, die die Autos immer sicherer machten. Faszinierende Schnelligkeit dank leistungsstarker Motoren ruft die Kritiker immer wieder auf den Plan. Sie stellen die Frage, was PS-starke Fahrzeuge im Stadtverkehr zu suchen haben? Sie seien schlicht und ergreifend überdimensioniert.
Auch wenn Historiker eigentlich nur zurückblicken, kann beim Thema Auto die Zukunft nicht ausgespart werden. Im letzten Raum, über dem die Filmmusik von James Bond schwebt, geht es um Mobilitätskonzepte, alternative Antriebe, autonomes Fahren und Schadstoffreduktion. „Die Zukunft des Automobils liegt vor dem Hintergrund der technologischen Weiterentwicklungen und veränderter Kundenbedürfnisse nicht mehr nur in der Herstellung von Blech, Glas und Plastik als tonnenschweres Produkt der alten Industrie“, so der Projektleiter Ulrich Op de Hipt. Er verweist auf neue Konzepte für umweltfreundliches Fahren. Denn wer mobil bleiben will, muss ein Auto nicht unbedingt besitzen. Carsharing betreiben Menschen, die sich genauso für Autos begeistern können wie Besitzer der Karossen. Automatisierten und vernetzten Fahrzeugen gehört die Zukunft. Diese revolutionären Innovationen werden wohl auch weiterhin dafür sorgen, dass die Geschichte des Autos als Langzeitphänomen fortgeschrieben wird.