Der vernachlässigte Gewinnhebel
Die Preispolitik wird in vielen Unternehmen als Mittel zur Gewinnsteigerung unterschätzt.
Pricing ist der Gewinnhebel Nummer eins – mit zwei Facetten im Industriegütergeschäft: einerseits auf Produktebene, andererseits auf Kundenebene. Und beide Aspekte sollten 2018 gleichwertig auf der Agenda der Unternehmensentscheider stehen. Beim Pricing auf Produktebene kommt insbesondere die strategische Komponente zum Tragen. Denn hier geht es darum, Listenpreise mittels einer wertorientierten Logik zu gestalten. Preisimage und Preispositionierung spielen dabei eine wichtige Rolle.
Die Verfasser gehören zur Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners mit Sitz in Bonn. Sie ist auf auf Wachstumsstrategien und Preisfindung spezialisiert und mit über 1100 Mitarbeitern in 34 Büros weltweit vertreten.
Thomas Beducker ist Partner und Global Head im Competence Center Technology & Industrials.
Grigori Bokeria ist Partner im Competence Center Technology & Industrials.
Benny Tang ist Director im Competence Center Technology & Industrials.
Das häufig in der Branche praktizierte „Cost-plus“-Pricing ist wenig zielführend, da es mit einem starren Aufschlagsfaktor nicht die Wertigkeit der Produkte berücksichtigt und somit die Zahlungsbereitschaft des Kunden nicht optimal abschöpfen kann. Gleichzeitig geben Unternehmen damit die hart erarbeiteten Kostensenkungen direkt an den Kunden weiter.
Viele Unternehmen in der Branche praktizieren schon über Jahre hinweg eine pauschale Preiserhöhung – z. B. 3 % über alle Produkte. Das mag zwar einfach und pragmatisch sein, führt aber auch dazu, dass das suboptimale „Cost-plus“-Pricing immer weiter fortgesetzt wird und damit einzelne Produkte zu stark, andere wiederum zu schwach angepasst werden: Mengen- oder Gewinnverluste sind das Resultat.
Um zu einem wertorientierteren Pricing auf Produktebene und weg vom reinen Cost-plus- Pricing zu kommen, müssen die verantwortlichen Manager Werttreiber definieren, die eine entsprechende Listenpreislogik bilden. Spezielle Tools helfen dabei. Zum Beispiel die von Simon-Kucher entwickelte Cloud-basierte „Price Map App“. Sie ermöglicht es, große Produktportfolios über einen Werttreiberansatz zu bepreisen und dessen Auswirkungen detailliert und visuell über ein Dashboard auszuwerten. So soll der Wert- bzw. Preistreiber aus Kundensicht identifiziert werden, sprich: Für welches Produkt besitzt der Kunde welche Zahlungsbereitschaft?
Dank solch einer strukturellen Überarbeitung der Listenpreise können Unternehmen der Industriebranche jährliche Preiserhöhungen differenziert vornehmen: Das „Pipettenprinzip“ löst die „Gießkannentaktik“ ab. Die Vorteile: Zum einen nutzen Unternehmen Spielräume nach oben besser aus. Zum anderen können dagegen Produkte, die im Wettbewerbsvergleich abfallen, durchaus auch im Preis gesenkt werden, um wieder eine konsistente Preis-Leistungspositionierung zu haben. Eine differenzierte jährliche Preisanpassung hilft also dabei, Preispositionierung und Preisimage des Unternehmens zu pflegen.
Das Pricing auf Kundenebene beschäftigt sich mit der taktischen Frage, wie man die bestmögliche Preisdurchsetzung beim Kunden erzielt. Vor allem das Industriegütergeschäft ist geprägt von einer hohen Komplexität in Sachen Preisentscheidung: Es herrscht eine Vielfalt an Kunden, Regionen, Vertriebswegen und unterschiedlicher Produkte, zum Teil standardisiert, zum Teil maßgeschneidert für Kunden.
Dazu kommt: Die häufig historisch gewachsenen Pricing-Strukturen sind meist veraltet. Die Vertriebsmitarbeiter haben die Entscheidungsbefugnis zwischen dem Listenpreis und dem Maximalrabatt. Häufig liegen dazwischen 50 Prozentpunkte Rabatt – über die der Außendienst oft nach Bauchgefühl entscheidet. Eine solche „statische“ Preissteuerung ist nicht optimal, da Maximalrabatte in der Regel als Orientierungsanker wirken. Die Folge: Die Zahlungsbereitschaft der Kunden wird erneut nicht optimal abschöpft.
Für die Industriebranche ist jetzt der richtige Zeitpunkt, ihr Pricing auf ein neues Professionalitätslevel zu heben. Im sogenannten Peer-Pricing-Ansatz werden Rabatte situationsspezifisch und individuell vergeben, statt pauschal den Maximalrabatt anzusetzen.
Und dank der Möglichkeiten der Digitalisierung kann dieser Ansatz noch weiterentwickelt werden: Mithilfe von „Machine Learning“ können Unternehmen Preisdifferenzierungen noch präziser und dynamischer gestalten, etwa durch die dynamische Festlegung der Peer Groups und der entsprechenden Rabattspielräume, die sich in den jeweiligen Gruppen ergeben. Ebenso sind Prognosen zur Gewinnwahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Preis möglich.
Erfolgreiches Pricing hat große Auswirkungen auf den Gewinn und auf den Unternehmenswert. Doch bislang war es schwierig, den direkten Zusammenhang zu belegen – und Shareholdern & Co. zu kommunizieren. Eine Analyse von Geschäftsberichten in der Branche zeigt: Viele Industrieunternehmen nutzen Pricing aktuell nicht aktiv zum Gewinn- und Wachstumsmanagement. Es findet kaum Erwähnung. Im Vergleich: Industriegüterhersteller aus DAX 30 und MDAX thematisieren „Kosten“ im Durchschnitt acht Mal häufiger als „Pricing“, haben unsere Recherchen ergeben.
Eine Möglichkeit, der Unternehmensführung die Hebelwirkung von Pricing demonstrieren, ist das sogenannte „Enterprise Value of Pricing“ (EVP). Die von den Experten von Simon-Kucher entwickelte Formel weist nach, dass oftmals ein großer Teil der Wachstumserwartungen der Finanzmärkte bereits durch zielgerichtete Pricing- und Monetarisierungsmaßnahmen realisiert werden kann.
Doch, Stand heute, nutzt kaum ein Unternehmen das Potenzial des Unternehmenswerts. Ihnen fehlt die Equity Story, also der ganzheitliche Blick auf ihr Unternehmen – und zwar aufgebaut um das Thema Pricing herum. Die Folge: Oftmals unterschätzen sie ihre wahre Preismacht. 2018 sollten die Unternehmensentscheider der Industriebranche also auch beim Pricing ansetzen, um den Wert ihres Unternehmens zu steigern.