Die digitale Fabrik: Ein Unternehmen setzt Umweltmaßstäbe
Den Umzug in einen Neubau nutzte die Blechwarenfabrik Limburg, um ihre Produktion prozessoptimiert und konsequent digitalisiert aufzusetzen. Ein Rundgang durchs Werk.
Merkur lädt im Akkord: Gerade muss der Gabelstapler etwa 2000 Weißblechtafeln aus dem Rohstofflager zur Drucklackieranlage bringen. Ein vertrautes Bild, wie man es aus vielen Fertigungsanlagen kennt. Doch an dem mit leisem Summen hin- und herflitzenden Gefährt ist kein Fahrersitz und schon gar kein Fahrer zu erkennen. Und seinen Auftrag hat es weder vom Produktionsleiter, noch vom Hallenmeister oder Vorarbeiter erhalten.
Hier im Neubau der Blechwarenfabrik Limburg (BL) weiß das Material gewissermaßen selbst, wann es genau wo im Produktionsprozess gebraucht wird. Über die digitale Lagerverwaltung, das Warehouse Management System (WMS), interagiert es sowohl mit dem vollautomatischen Hochregal als auch mit den fahrerlosen Transportsystemen und letztlich mit der gesamten Produktion und Logistik.
Die Verzahnung sämtlicher Instrumente von Industrie 4.0
In Anlehnung an den Begriff Industrie 4.0 hört das integrierte Gesamtsystem in Limburg auf den Namen „BL 4.0“. Da diesem Status und Ort sämtlicher Materialien zu jedem Zeitpunkt transparent sind, existieren keine undefinierten Lagerbestände mehr. In enger Verzahnung mit den Aufträgen aus den Systemen für Enterprise Resource Planning (ERP) und Produktionssteuerung (PPS) hilft das, Lieferengpässe oder teure Überbestände zu vermeiden
EnMS – Energiemanagementsystem: Softwarelösung für Planung und Betrieb von energietechnischen Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten.
ERP – Enterprise Resource Planning System: Softwarelösung, die Ressourcen wie Kapital, Personal, Betriebsmittel, Material und Informations- und Kommunikationstechnik im Sinne des Unternehmenszwecks rechtzeitig und bedarfsgerecht planen und steuern soll.
MES – Manufacturing Execution System, auch Produktionsleitsystem: prozessnah operierende Ebene eines mehrschichtigen Fertigungsmanagementsystems.
PMS – Predictive Maintenance System, auch prädiktive Instandhaltung: Softwarelösung, die aus von historischen und gegebenenfalls in Echtzeit verfügbaren instandhaltungsrelevanten Daten lernt und so die Prognose von künftigen Wartungsvorfällen ermöglicht.
PPS: Produktionsplanungs- und Steuerungssystem: Computerprogramm, das den Anwender bei der Produktionsplanung und -steuerung unterstützt und die damit verbundene Datenverwaltung übernimmt.
WMS – Warehouse Management System: softwarebasierte Systeme für die unternehmerische Verwaltung von Warenlagern und Distributionszentren.
ERP steht dabei für eine Softwarelösung, über die sämtliche Ressourcen im Unternehmen – vom Kapital über das Personal bis hin zu Betriebsmitteln und Material – bedarfsgerecht gesteuert werden. PPS wiederum bezeichnet ein System, das bei der Produktionssteuerung einspringt und sämtliche hierbei wichtigen Daten verwaltet. Für Hugo Sebastian Trappmann, CEO der Blechwarenfabrik Limburg, war der bereits im Jahr 2014 angedachte Umzug der ideale Zeitpunkt, um sämtliche Instrumente einer digitalen Fabrik in einer neuen Anlage zusammenzuführen.
Ein paar Meter weiter drehen sich „Erde“, „Saturn“ und „Mars“ mit verblüffend hoher Geschwindigkeit ballettartig umeinander. Obwohl schwer beladen, manövrieren die autonomen Fahrzeuge leise und präzise ihre Fracht durch die Halle, ohne auf Kollisionskurs zu geraten. „Mit den fahrerlosen Transportsystemen erzielen wir nicht nur größere Durchsätze und Geschwindigkeiten sowie höhere Präzision, sondern auch geringere Handlingschäden, als es früher bei von Menschenhand gesteuerten Transporten der Fall war“, sagt Trappmann. In Summe gehe es dabei keineswegs um Kleinigkeiten: Allein der optimierte Materialtransport könne künftig Verluste von bis zu 100 t Weißblech pro Jahr vermeiden helfen, ist der Geschäftsführer überzeugt.
Umzug auf die grüne Wiese machte den Schritt zur konsequenten Digitalisierung möglich
Gern erzählt er, wie es überhaupt zur Optimierung und digitalen Vernetzung sämtlicher Prozesse kam: „Der über 120 Jahre nahe der Limburger Innenstadt gewachsene Fabrikstandort war am Ende der räumlichen Möglichkeiten angelangt bzw. erforderte individuelle Lösungen, um dem Platzangebot Rechnung zu tragen.“
Eine Zielvorgabe für den großzügigen Neubau in Limburg/Offheim war es, konsequent Standardlösungen einzusetzen. Dafür wurden insgesamt rund 30 Mio. € in die neue Fabrik gesteckt. Diese Investitionen aufzuschlüsseln sei nicht ganz einfach, denn die „Hardware“ in Form der automatisierten Systeme sei für den sinnvollen Einsatz der Software unabdingbar. Schlussendlich habe man eine große integrierte Maschine gebaut, die vom Gebäude kaum zu trennen sei. „Unabhängig vom Investitionsvolumen kann man aber sagen, dass es in unserem Projekt mehr um Bits und Bytes geht als um Stahl und Stein“, sagt Trappmann.
Neu entwickelte Maschinen und Werkzeuge helfen den Energieverbrauch zu senken
Zu den Neuerungen in Limburg zählen auch optimierte Verfahren und neue Anlagenteile – neben weitestmöglicher Digitalisierung und Automatisierung. Zu den Neuanschaffungen gehören eine Drucklackier- und eine Kaschieranlage, denen sich Trappmann nähert. Gerade versehen sie die Oberfläche der Blechtafeln mit den vom Auftraggeber gewünschten Logos und Beschriftungen, bevor die Bleche zum Endprodukt geformt werden. So kann die Oberfläche trocknen, bevor sie weiterverarbeitet wird, was die Abläufe wesentlich effizienter macht. Konkret bedeutet das, dass man im neuen Werk auf einen zweiten Ofen verzichten konnte, der am alten Standort noch gebraucht wurde – was natürlich mit einem geringeren Energieverbrauch einhergeht.
Mit einem deutlichen Fauchen macht sich der Ofen gerade bemerkbar. Ein ausgeklügeltes Abwärmesystem sorgt dafür, dass der mit Erdgas betriebene Ofen nicht nur lackierte Bleche mit über 200 °C heißer Luft trocknet, sondern zudem die Wärmeenergie für den gesamten Standort liefert. Die Abluft der Trocknung strömt bei Bedarf über Lüftungsrohe in die Produktionshallen und heizt diese.
Die Abgase der Gasbrenner hingegen erhitzen über einen Wärmeübertrager Wasser und stellen so die Warmwasserversorgung im Verwaltungs- und Sanitärtrakt sicher. Über eine Absorptionskälteanlage wird überdies Kühlwasser für die Fertigungslinien erzeugt. Produktion, Verteilung und Verbrauch von Gas und Strom sowie von Druckluft werden von einem Energiemanagementsystem (EnMS) überwacht.
Die Endfertigungslinie der Blechdosen nebenan benötigt Druckluft und Elektrizität für den Schweißvorgang und die Pulverbeschichtung. Im genau benötigten Umfang stellt das EnMS sie bereit. Sinken bei einem der Medien die Messwerte unter die errechneten Schwellen, wird sofort ein menschlicher Techniker alarmiert. Mit einem Tablet navigierend macht er sich auf die Suche nach etwaigen Leckagen, heiß laufenden Motoren oder defekten Relais.
Viele der 320 Mitarbeiter haben die Projekte mit vorangetrieben
Woher aber stammen eigentlich die im neuen Werk integrierten Teilsysteme für Business Intelligence, Warehouse Management (WMS), ERP, PPS, MES, EnMS, SPS sowie das Predictive Maintenance System? „Nicht alle Lieferanten haben sich im Projektverlauf mit Ruhm bekleckert, weshalb wir diese nicht nennen möchten“, zeigt sich der CEO diplomatisch. „Vieles, wie beispielsweise die technische Gebäudeausrüstung, wurde von uns auch ganz in Eigenleistung umgesetzt.“
Gab es bei der Integration einen das Projekt steuernden Hersteller oder einen Systemintegrator? „Alle Gewerke sind in Einzelvergabe gelaufen“, sagt Trappmann. Die Systeme ERP, PPS, MES und SPS waren bereits im Bestand und wurden auf die neue Aufgabe abgestimmt. Die Systeme BI, WMS, EnMS und PMS wurden in den letzten Jahren einzeln ausgewählt und installiert. „Wir haben inhouse viele Mitarbeiter, die sich mit Herzblut in die Thematiken eingearbeitet haben und ihre Projekte vorangetrieben haben.“
Um mehr als eine schöne neue Technikwelt gehe es bei der digitalen Fabrik schon, meint Trappmann. Schlussendlich komme es nicht nur auf die technischen Maßnahmen an, sondern darauf, dass alle – sowohl das Individuum wie auch das Team – die Herausforderungen annähmen, sich selbst und die Arbeitswelt weiterzuentwickeln und diese aktiv zu gestalten. „Nur als Team ist es uns möglich, unsere Effizienzziele zu erreichen und unsere Arbeitsplätze zu sichern!“