FAMILIE UND BERUF 20. Dez 2018 Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 6 Minuten

Papa passt nicht in die Planung

Nicht jedes Unternehmen, das sich als „familienfreundlich“ ausgibt, ist es auch. Besonders Väter sehen sich Hürden gegenüber.

Da kommt Freude auf. Väter, die sich viel Zeit für ihren Nachwuchs nehmen, profitieren nachhaltig durch ein enges Verhältnis zu ihren Kindern.
Foto: panthermedia.net/markcarper

Projektleiter Roland M. war es leid, seiner kleinen Rebecca nur noch einen Gutenachtkuss geben zu können. Er wollte dabei sein, wenn seine Tochter heranwächst. Also verlangte der Maschinenbauingenieur von seinem Arbeitgeber das, was ihm rechtlich zusteht: zwei Monate Elternzeit. Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens schien Roland M. gut genug, eine Weile auf ihn verzichten zu können.

Elterngeld für maximal 14 Monate

Seit mehr als zehn Jahren können Mütter und Väter in Deutschland für die Dauer von maximal 14 Monaten rund 65 % ihres Einkommens beziehen, wenn sie nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbsarbeit unterbrechen.

Diese 14 Monate werden allerdings nur gewährt, wenn jedes Elternteil zumindest für zwei Monate von diesen Regelungen Gebrauch macht. ws

Quelle: WZB

Was aber, wenn die angekündigte Umstrukturierung im Zuge der neuen Digitalstrategie den Ingenieur links liegen ließe? Roland M. bekam das große Flattern. Er trage schließlich doppelte Verantwortung, sagte sich der 37-Jährige: als Führungskraft und Haupternährer seiner kleinen Familie. Also dann doch lieber zu einem späteren Zeitpunkt noch mal vorsichtig nachfragen, ob eine berufliche Pause möglich ist.

Roland M. ist kein Einzelfall. Viele Männer verdrängen den Wunsch, näher und länger bei ihren Kindern sein zu wollen, weil sie Repressalien und damit Karriereeinbrüche befürchten. „Zwar bezeichnen sich viele Organisationen als familienfreundliche Unternehmen, in Wirklichkeit sind sie es aber gar nicht“, hat Annette von Alemann bei ihren Forschungen ermittelt. „Unausgesprochene Erwartungen und verborgene Regeln widersprechen offiziellen Bekundungen“, so die Soziologin der Universität Paderborn.

Väter: Keine Angst vor beruflichen Nachteilen

Mütter werden oft erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Wenn sie einen Job haben, erzielen sie niedrigere Löhne und werden seltener befördert als Männer oder kinderlose Frauen. Auf Männer hingegen scheint Elternschaft keine negativen Auswirkungen zu haben. Im Durchschnitt erzielen Väter sogar höhere Gehälter und haben bessere Aufstiegschancen als kinderlose Männer. Das haben Studien des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung ergeben.

Demnach werden Väter genauso häufig zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, auch wenn sie zwölf und nicht nur zwei Monate in Elternzeit gegangen sind.

Die Angst von Vätern, aufgrund einer längeren Elternzeit berufliche Nachteile zu erfahren, scheint unbegründet zu sein. Fast 90 % der Väter, die für ihr jüngstes Kind Elternzeit nahmen, sagten im Nachhinein, dass ihnen die Auszeit beruflich nicht geschadet habe.

In vielen Unternehmen werde vor allem von Männern erwartet, dass sie über ihre Arbeitszeit hinaus für das Unternehmen verfügbar sind – besonders dann, wenn sie Führungspositionen anstreben oder bekleiden. Stillschweigend werde davon ausgegangen, dass Männer ihre Arbeitsleistung durchgehend zur Verfügung stellen, ohne die sogenannten „Vätermonate“ in Anspruch zu nehmen. Papas, die ihre Arbeitszeit reduzieren, gelten als weniger engagiert und karriereorientiert. Letztlich führe dieses Denken zur Zementierung traditioneller Rollenmuster.

Insbesondere in Firmen, bei denen Umstrukturierungen anstünden, sei die Angst der Männer vor beruflichen Nachteilen durch Arbeitsreduzierung groß – siehe Roland M. Grundsätzlich seien Väter an dieser Stelle verwundbarer als Mütter, da sich viele auch heute noch als Ernährer ihrer Familie verstünden, weiß von Alemann.

Öffentliche Diskussionen hätten die Unternehmen in den vergangenen Jahren dazu gedrängt, sich des unliebsamen Väterthemas anzunehmen. Mit Herzblut verfolgten längst nicht alle Arbeitgeber diese öffentliche Order, vor allem wenn sie unter dem Druck ständig wechselnder und dynamischer Marktbedingungen stehen. Und auch viele Kollegen knirschten mit den Zähnen, wenn auf eine Ersatzkraft verzichtet und die zusätzliche Arbeit auf ihren Schultern abgeladen wird.

Annette von Alemann rät Überzeugungstätern unter den Arbeitgebern, nicht allein mit dem Siegel „familienfreundlich“ zu winken, sondern Mitarbeitern explizit die Erlaubnis auszusprechen, Vereinbarkeitsangebote wahrnehmen zu können. Das Zertifikat signalisiere häufig nicht mehr als die Vermittlung eines Kitaplatzes oder eines Babysitters. „Das kommt den Vätern familienfreundlich vor, obwohl sie de facto daran gehindert werden, selbst Zeit mit der Familie zu verbringen. Sie übersehen dabei, dass es oft gar nicht möglich ist, mit Kindern Karriere zu machen.“ Manche, die das doch registrieren, wechseln den Arbeitgeber – mit dem Wissen, dass ihr Marktwert Alternativen eröffnet. Ingenieuren kommt zugute, dass viele Firmen und Branchen um sie buhlen und ihrem Wunsch nach Elternzeit nachkommen.

Im Idealfall erleben Mitarbeiter ihre beruflichen Auszeiten ohne negative Folgen für die Karriere. Am besten sei, so von Alemann, wenn Chefs das vorlebten und sich als vorbildliche, weil präsente Väter zeigten. Erst wenn die Hemmschwelle für Väterzeiten tief liege, könne man definitiv von „familienfreundlich“ reden.

In Unternehmen, die eine fest verwurzelte Tradition der Mitbestimmung und einen starken Betriebsrat haben, sei Väterfreundlichkeit ausgeprägter als in anderen Betrieben, weiß von Alemann. Was hierzulande selten ist, sei in Skandinavien die Regel. „Die Möglichkeit, berufliche Auszeiten zu nehmen und für die Familie nutzen zu können, wird dort regelrecht erwartet.“ Im Notfall hätten Arbeitnehmer keine Scheu, vor Gericht zu ziehen. Der Widerstand skandinavischer Arbeitgeber beim Thema Elternzeit sei gering, weil ansonsten der Ruf des Unternehmens leide. „In Deutschland ist es umgekehrt. Klagende Arbeitnehmer sind in der Branche verbrannt und gelten als Querulanten.“

Bei der Bertelsmann Stiftung, die das Qualitätssiegel „Familienfreundlicher Arbeitgeber“ vergibt, kann man die Klagen der Wissenschaftlerin nachvollziehen. „Uns ist bewusst, dass es auf der einen Seite die Unternehmenstheorie und auf der anderen Seite die Unternehmensrealität gibt“, sagt Stiftungssprecher Jochen Lange. Fast jeder Arbeitgeber verkaufe sich als familienfreundlich, indem er auf verschiedene Arbeitszeitmodelle verweise sowie auf die zahlreichen Mütter und Väter, die Elternzeit wahrnähmen. Die vielfältigen Arbeitszeitmodelle entpuppten sich aber in der Regel als unterschiedliche Wochenarbeitsstunden. Und gesetzlich vorgesehene Elternzeiten als Verdienst der Unternehmen zu bezeichnen, gehe am Thema vorbei.

Die Bertelsmann Stiftung habe es sich zum Ziel gesetzt, solche „Mogelpackungen“ zu entlarven und lediglich solche Betriebe auszuzeichnen, die ernsthaft das Wohl ihrer Mitarbeiter im Blick haben. Zur höchstmöglichen Objektivität trage der Fragebogen bei, der nicht nur dem Arbeitgeber sondern der gesamten Belegschaft vorliege. Außerdem achte man darauf, dass die ausgezeichneten Unternehmen die Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit auch tatsächlich umsetzen.

Wenn es um die Auszeichnung familienfreundlicher Unternehmen geht, zieht das Audit der berufundfamilie Service GmbH weite öffentliche Kreise. Die Einrichtung, die auf Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung zurückgeht, hat sich zum Ziel gesetzt, die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben in Firmenkulturen zu verankern.

Dabei stößt berufundfamilie nicht nur bei den Arbeitgebern, sondern auch bei Beschäftigten auf Blockaden. Zwar berichteten Personalverantwortliche von einer gestiegenen Nachfrage nach familiären Auszeiten, der Wunsch der Männer, sich stärker im Privatleben zu engagieren, sei in der betrieblichen Praxis aber nicht immer eindeutig zu verorten, weiß Sprecherin Silke Güttler. Der Grund für dieses „versteckte Vereinbarkeitsproblem“ liege in den widersprüchlichen Erwartungen, die an die traditionelle Männerrolle und die Rolle des in der Familie engagierten Vaters gestellt werden. „Der Versuch von Männern, beiden Rollenerwartungen uneingeschränkt gerecht zu werden, führt über kurz oder lang zur Überforderung und zu Konflikten bei der Arbeit und im Privaten; mit negativen Folgen für die Zufriedenheit, Leistungsfähigkeit, Einsatzbereitschaft und Motivation.“

Unternehmen, die Personalpolitik als strategischen Erfolgsfaktor begreifen, seien gefordert, ihren männlichen Mitarbeitern bei der Auflösung dieses Widerspruchs zu helfen. „Dazu bedarf es eines kulturellen Wandels im Unternehmen genauso wie eines Wandels betrieblicher Lernprozesse. Es geht darum, Vereinbarkeit als offen ansprechbares Thema zu etablieren und einen Austausch zwischen Beschäftigten und Führungskräften zu fördern“, sagt Güttler. Im Audit spielen Vorgesetzte eine zentrale Rolle. „Eben deshalb wird gezielt darauf hingearbeitet, dass Führungskräfte die familien- und lebensphasenbewussten Angebote nicht nur kennen, sondern auch aktiv an Beschäftigte herantragen. Idealerweise gestalten sie diese mit den Mitarbeitern passgenau aus und leben Vereinbarkeit selber vor.“

Hans-Georg Nelles sieht die Akzeptanz familienfreundlicher Auszeiten im Aufwind. „Es ist in den vergangenen Jahren eine Menge passiert.“ Der Sozialwissenschaftler leitet das Projekt „Väter & Karriere“, das Führungskräften den Nutzen von aktiver Vaterschaft für das Unternehmen näher bringen will. Galten Männer, die den Schreibtisch für einige Monate mit dem Wickeltisch tauschen wollten, Anfang der Jahrtausendwende noch als Exoten, sei das Thema mit Einführung des Elterngeldes 2007 auch bei Arbeitgebern angekommen. „In diesen Unternehmen registriert man, dass Bewerber immer häufiger Fragen dazu stellen.“ Mit einer Hinhaltetaktik nach dem Motto „Schau‘n wir mal, was wir für Sie tun können“ begnügten sich die Kandidaten nicht. Kleine „Machtspielchen“, bei denen Unternehmen Bewerber von ihren Väterplänen abbringen wollten, liefen häufig ins Leere. Dann wendeten sich die Verprellten lieber einem anderen Unternehmen zu.

Nelles beobachtet, dass Väter unabhängig von der Branche und vermehrt in größeren Unternehmen Elternzeit nehmen, weil dort eher eine passende Vertretung zu organisieren ist. „Es hängt auch stark von den jeweiligen Personalern und Vorgesetzten ab.“ Und von wirtschaftlichen Alternativen. „Wenn die Partnerin einen gut bezahlten Job hat, treten die Männer mit ihrem Anliegen viel selbstbewusster auf.“

Das können sie auch. Denn weder im öffentlichen Dienst noch in der Privatwirtschaft ist Elternzeit für Väter – im Gegensatz zur Teilzeit – mittel- bis langfristig mit Lohneinbußen verbunden, unabhängig davon, ob sie nur die beiden für sie reservierten Partnermonate oder eine längere Elternzeit in Anspruch nehmen. Das hat das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) im Jahr 2016 ermittelt.

Von einer Aufbruchstimmung in deutschen Unternehmen könne aber nicht die Rede sein, meint Angelika Kümmerling vom Institut Arbeit und Qualifikation. „Zwar scheinen die familienpolitischen Maßnahmen wie Kita-Ausbau und Elternzeit Wirkung zu zeigen. Allerdings wird hier alleine an der ,Schraube‘ Frau/Mutter gedreht, die bestehende Rollenverteilung wird kaum angegriffen.“ Auf Seiten der Männer habe sich kaum etwas getan. Eine Ursache sieht Kümmerling im Ehegattensplitting, das im Widerspruch zur Familienpolitik stehe.

Mittlerweile nimmt jeder dritte Vater in Deutschland Elternzeit wahr, wie eine aktuelle Studie des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung belegt. Das habe langfristige Auswirkungen auf die Vater-Kind-Beziehung. Männer wenden laut der Essener Forscher dauerhaft mehr Zeit auf, um mit ihren Kindern zusammen zu sein und Aufgaben im Haushalt zu erledigen.

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