Puzzle und Co. boomen – Spannende Aufgaben für Ingenieure und Ingenieurinnen
Essen ist noch bis Sonntag das Mekka für Brettspielefans. 1000 analoge Neuheiten werden dort auf der Messe Spiel ‘21 vorgestellt. Für Ingenieurinnen und Ingenieure kann die Branche eine ernste Angelegenheit sein, denn sie bietet neben Spaß auch Arbeit in Verlagen und in der Produktion.
Axel Kaldenhoven, Geschäftsführer von Schmidt Spiele in Berlin, hat eine klare Meinung: „Brett- und Kartenspiele rufen Interaktionen und Emotionen hervor, wobei das Miteinander und die Kommunikation mit den Mitspielern und Gegnern im Fokus stehen. Damit sind Brettspiele in gewisser Weise ein Gegentrend zur Digitalisierung, die uns alle erreicht, von der wir uns aber immer öfter eine Auszeit suchen.“ Schmidt Spiele ist die Heimat des Klassikers unter den Gesellschaftsspielen „Mensch ärgere Dich nicht“ und hat im vergangenen Jahr mit den traditionellen Spielen den Umsatz um rund 40 % auf 63 Mio. € gesteigert. Der Spieleverlag hat nach eigenen Angaben einen Anteil von 9,3 % am Spielemarkt in Deutschland sowie 15,4 % am Puzzlemarkt.
Auch Stefan Luther macht diese Entwicklung aus. „Die digitale Bewegung erzeugt eine Gegenbewegung“, sagt der Geschäftsführer von ASS Altenburger. Haptische Beschäftigungsmöglichkeiten wie Karten- und Brettspiele hätten in der Coronapandemie an Bedeutung gewonnen. Die Spielkartenfabrik Altenburg in der gleichnamigen Stadt in Thüringen gehört zur belgischen Cartamundi-Gruppe und ist somit Teil eines weltweiten Netzes. Hier werden eigene Spiele entwickelt, aber hier wird auch für andere Verlage wie den Kosmos Verlag produziert.
In Altenburg arbeitet der Ingenieur Sebastian Runge bei ASS Altenburger
In Altenburg arbeiten rund 313 Beschäftigte, davon sind 190 Personen in der Produktion tätig. Ingenieur Sebastian Runge ist dort Technical Product Developer. „Hier geht es nicht darum, ein Spielprinzip zu entwickeln, sondern um Spielzubehör oder Spielkomponenten, welche sich auf unseren Maschinen produzieren lassen“, erklärt er. Dazu gehören auch Packmittel und Packhilfsmittel. Die Abteilung bilde eine wichtige Schnittstelle zwischen Vertrieb, Einkauf, Arbeitsvorbereitung und Produktion. Runge hat an der HTWK in Leipzig studiert und ist Diplom-Ingenieur (FH) für Verpackungstechnik. Sein Weg führte ihn 2013 eher zufällig zur Spielkartenfabrik. Daraus wurde eine Leidenschaft. „Wenn man einmal in der Spielebranche ist, dann ist es schwer, ihr den Rücken zu kehren“, sagt er.
Der Boom der Traditionsspiele und Puzzles begann schon vor Corona
Dazu besteht auch kein Anlass. Die traditionellen Spiele boomen, eine Entwicklung, die auch schon vor Corona an Zahlen ablesbar war, aber durch die diversen Lockdowns natürlich noch einen Boost erfahren hat. Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach spielen rund 33 Mio. Deutsche zumindest ab und zu Gesellschaftsspiele, rund 5,6 Mio. regelmäßig, Tendenz steigend. „Je mehr die Menschen spielen, desto mehr Lust bekommen sie“, meint Branchenvertreter Hermann Hutter. Viele hätten die Freude am Spielen entdeckt und sich daran gewöhnt, ist der Vorsitzende des Branchenverbands Spieleverlage e. V. zuversichtlich.
Traditionsunternehmen Ravensburger verkaufte im vergangenen Jahr 32 % mehr Puzzles
Auch das Traditionsunternehmen Ravensburger freut sich über ein Plus. Rund 22 % mehr Spiele (25 Mio. Spiele weltweit) verkaufte das Unternehmen im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr, bei den Puzzles waren es 32 % (28 Mio. Puzzles). Mit etwa 90 % fertigt Ravensburger den weit überwiegenden Teil der Produkte am Stammsitz in Ravensburg und in Policka in Tschechien. Ravensburger beschäftigt 2304 Personen in Deutschland, am Standort Ravensburg sind es 1290 Mitarbeitende. Darunter sind rund 30 Ingenieurinnen und Ingenieure aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Sie sind vorwiegend in der Technischen Produktentwicklung (TPE) tätig, in der Supply Chain und im Innovationsteam. Ein Beispiel für Ingenieurarbeit ist die Verfahrensentwicklung zur Herstellung der Original-Ravensburger 3-D-Puzzles. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben gemeinsam mit einem Robotikunternehmen den mehrstufigen, automatisierten Prozess ausgetüftelt. Es ist ein patentiertes Verfahren, das aus Spritzguss, Bedrucken der gespritzten Teile, Sammeln der gespritzten und bedruckten Teile von verschiedenen Spritzgusszellen und anschließender Verpackung besteht. „Die Herausforderung ist: Die Teile werden an mehreren Stationen gleichzeitig gespritzt, durch den Drucker hindurchgefahren und bedruckt (auch wechselnde Motive), von den Robotern aus mehreren Zellen gesammelt und in Tütchen gefüllt. Es handelt sich um eine sehr aufwendige Anlage“, sagt PR-Managerin Heike Herd-Reppner. Die Digitalisierung habe vieles verändert und generell beim Thema Puzzle zu mehr Möglichkeiten geführt. So sei die Nachfrage nach individuell gefertigten Puzzles mit eigenen Fotomotiven der Kunden um das Vierfache gestiegen.
Der Ingenieur Anatol Dündar hat seinen Traumjob bei Schmidt Spiele in Berlin gefunden
In Berlin geht Anatol Dündar jeden Tag gern zur Arbeit. Er hat sich seinen Traum verwirklicht und ist Produktmanager und Redakteur für Familienspiele bei Schmidt Spiele. Dündar ist 44 Jahre alt und war viel in der Welt unterwegs – als Bauingenieur. Bis 2015 arbeitete er als Projektleiter bei einem Unternehmen in Stuttgart. Doch dann erhielt seine Frau ein interessantes Jobangebot in den USA und Dündar ging mit, kümmerte sich um die Familie und baute gleichzeitig etwas anderes auf: Er wurde Filialleiter bei „The Uncommons“ in New York City, dem ersten Spielecafé für Brettspiele in Manhattan. „Spiele boomen in den USA“, sagt Dündar. Zudem habe dort kaum jemand Platz für gesellige Spielerunden. Nach der Rückkehr nach Deutschland startete er die Karriere in Berlin. Es gibt Parallelen zum alten Beruf, Projekte leiten beispielsweise. Er begleitet neue Spiele und kümmert sich auch um ein Facelift bei den klassischen Verkaufsschlagern wie „Kniffel“, das im nächsten Jahr 50 Jahre alt wird. Zudem testet er Spiele. Dafür brauche man Gespür. Es dürfe nicht langweilig sein und müsse sich an der Zielgruppe orientieren. Der Familienvater spielt seit seiner Jugend selbst gern. Und Dündar hat bei seinem alten Arbeitgeber in der Bauindustrie in der Mittagspause das Spielen eingeführt. „Ich glaube, dass Mathematiker und Ingenieure, alle die mit Zahlen jonglieren, das gern machen, weil man doch optimieren möchte, und das ist bei fast jedem Spiel gefragt.“
„Eine spannende Herausforderung für Ingenieurinnen und Ingenieure“
Helle Köpfe sind generell gern gesehen in der Branche. Hutter betont, dass Menschen gefragt sind, die strukturiert arbeiten können und müssen, weil die Spielregeln gut durchdacht und ausbalanciert sein sollten. „Das ist sicher für einen Ingenieur oder eine Ingenieurin eine spannende Herausforderung“, sagt er. Bei Ravensburger sollten Ingenieurinnen und Ingenieure „das Kind im Erwachsenen agieren lassen“. Manche Entwickler sind bei Verlagen fest angestellt, andere sind Freiberufler.
Neben Reiner Knizia ist Ingenieur Michael Kiesling aus Bremen noch einer der ganz großen und erfolgreichen Spieleautoren. Der Geschäftsführer einer Softwarefirma in Bremen hat mehrfach den begehrten Titel „Spiel des Jahres“ mit seinen Werken eingeheimst. In kleinerem Maß erfolgreich ist Ingenieur Thomas Weber aus Essen, der im Hauptberuf Softwareentwickler ist. Er entwickelte zwei klassische Brett- und Holzspiele (Samsara und Kipp4) und hat sich damit am Markt einen Namen gemacht. Zurzeit baut er an einigen Prototypen. Branchensprecher Hutter weist darauf hin, dass die Spieleentwicklung oft ein Nebenberuf bleibt. „Aber wir haben in Deutschland überdurchschnittlich viele gute Leute, die es hauptberuflich schaffen.“
Das Thema Digitalisierung spielt in der Spieleverlagswelt eine Rolle
Natürlich spielt das Thema Digitalisierung auch in der Welt der analogen Spiele eine Rolle und eröffnet zahlreiche neue Möglichkeiten. Beim Kosmos Verlag (200 Beschäftigte) gibt es eine Erklär-App. Mit Sprachausgabe und Animationen werden die Spielregeln erklärt, außerdem gibt es für viele Spiele optionale Zusatzfunktionen wie Timer, FAQs und Punktezähler. Aber auch hier betont man: „Die App ist als zusätzliches Angebot zu verstehen – uns ist das analoge Spielerlebnis weiterhin sehr wichtig“, sagt Sprecherin Silke Ruoff.
In Jettingen-Scheppach in Bayern laufen seit Monaten die Maschinen heiß. Hier werden bei der Firma Ludo Fact bereits seit dem vergangenen Jahr die Produktionskapazitäten voll ausgeschöpft, auch Personal ist hinzugekommen. Ludo Fact ist ein echter Platzhirsch rund um die Herstellung von Brettspielen und Puzzles, um die 200 Spieleverlage weltweit geben laut Geschäftsführer Fabian Walz Aufträge an das Familienunternehmen. Seit Corona brummt das Geschäft noch mehr. Die Auftragsbücher sind bis Anfang 2022 voll. Am Hauptstandort werden rund 50 Mio. € Umsatz gemacht, in der Gruppe etwa 100 Mio. €. Die Gruppe hat 900 Mitarbeiter, der Anteil der Ingenieurinnen und Ingenieure liegt laut Walz bei unter 10 %. Pro Woche werden in Jettingen-Scheppach bis zu 350 000 Spiele und Puzzles in der Woche und bis zu 17 Mio. Einheiten im Jahr gefertigt. Vor anderthalb Jahren beschloss die Geschäftsführung, am Hauptstandort eine Abteilung Robotik und Automation aufzubauen. Das Thema Automation und die Erfahrungen damit sollen auch in die anderen Standorte übertragen werden. Ziel ist es, die Personalaufwandsquote zu verringern, sprich am Fließband werden dann weniger Menschen nötig sein, um die Spielelemente zusammenzustellen.
Ludo Fact ist ein Platzhirsch rund um die Herstellung von Brettspielen und Puzzles
Die Automation sei eine Herausforderung, sagt Walz, weil Ludo Fact nicht nur ein Puzzle in einer Größe produziere, sondern Hunderte verschiedene Schachtelgrößen mit Tausenden verschiedenen Komponenten und diese dann auch nicht in großen Losgrößen. Die wenigsten Aufträge im Jahr hätten sechsstellige Losgrößen, die Regel seien eher vierstellige Losgrößen pro Spiel oder Puzzle. „Wir können keine langfristigen Umrüstzeiten in Kauf nehmen“, erklärt Walz. Die Aufgabe sei daher kompliziert. Die Abteilung ist ganz frisch gestartet, sie soll Stück für Stück erweitert werden. Ob es immer Ingenieurinnen und Ingenieure sein werden, die eingestellt werden, sei nicht sicher. „Wir brauchen Leute, die die Anlagen nicht nur projektieren, sondern im Betrieb die Verfügbarkeit und die Wartung gewährleisten“, sagt Walz.
Nachhaltigkeit ist auch in der Spielebranche eine Herausforderung
Ein Thema treibt auch die Spieleverlagsbranche und ihre Produzenten um. Walz sieht den Nachhaltigkeitstrend als große Chance für sein Unternehmen. Verlage und Verbraucher würden zunehmend die Produktion in asiatischen Fertigungsstätten kritisch sehen und hinterfragen. Ludo Fact wolle in diesem Punkt Weltmarktführer werden, am Hauptstandort würde bereits Ende des Jahres der CO2-Abdruck kompensiert.
Walz plädiert dafür, dass auf Produkten der CO2-Fußabdruck ausgewiesen werden müsse. Er hofft, dass Europa hier vorangeht. Die bisherigen Nachhaltigkeitssiegel würden von Firmen oft zum Greenwashing genutzt. Ein in China produziertes Spiel mit FSC-Siegel sei schlechter für die Umwelt als ein nicht FSC-zertifiziertes, das in Deutschland produziert wurde. Kunststoffkomponenten für die Spiele kommen zurzeit meist noch aus Asien, doch das möchte Walz ändern. Auch bei Ravensburger sieht man die Produktion in Deutschland und der EU positiv: Kurze Transportwege würden für geringere Emissionen sorgen. Und darauf würden Konsumenten immer mehr achten, so Herd-Reppner.
Lesen Sie außerdem ein Interview mit dem renommierten Spielentwickler Reiner Knizia über seinen Werdegang und seine Motivation und den Prozess der Spieleentwicklung. Erfahren Sie zudem, wie analoge Spiele helfen, Innovationen zu ermöglichen und was das mit der VDI Richtlini 4521 zu tun hat. Und das alles lesen Sie im Fokus „Traditionsspiele im Trend“ im E-Paper der VDI nachrichten 27-28/2021.