Studie: Aufweichung von Arbeitszeitvorschriften gefährdet Gesundheit
Wenn Schutzvorschriften zur Begrenzung der täglichen Arbeitszeit geschwächt werden, wie im Sondierungspapier für eine Ampelkoalition skizziert, dürfte das für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzliche Belastungen bringen, warnt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung.
Die Hans-Böckler-Stiftung bezieht sich auf die Formulierung im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP, in der es heißt, dass eine „Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit“ über Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen geschaffen werden soll. Zu den negativen Folgen der Aufweichung von Schutzvorschriften zählt die Hans-Böckler-Stiftung, dass sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch mehr Überstunden verschlechtere statt verbessere. Die für die Gesundheit dringend notwendige Erholung werde weiter erschwert – schon jetzt habe rund die Hälfte der Erwerbstätigen Schwierigkeiten, von der Arbeit abzuschalten. Auch machen Beschäftigte im Homeoffice aktuell fast doppelt so viele Überstunden, wenn die Arbeitszeit nicht aufgezeichnet wird. Das ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Gesundheitsgefährdung bei Projektarbeit höher
Besonders betroffen von mangelnder Erholung sind Beschäftigte, deren Arbeit „flexibel“ über Projekte oder Deadlines organisiert wird, oder in Betrieben mit dünner Personaldecke. Bei ausreichend Personal leisten Vollzeitbeschäftigte danach im Durchschnitt zwei Überstunden pro Woche. Bei Personalengpässen sind es durchschnittlich 3,5 Überstunden. Beschäftigte, deren Arbeit über zeitlich enge Deadlines gesteuert wird, arbeiten wöchentlich im Durchschnitt 3,5 Stunden mehr, Beschäftigte ohne Deadlines machen drei Überstunden. Ohne Teamprojektarbeit leisten Vollzeitbeschäftigte im Durchschnitt 2,5 Überstunden pro Woche. Arbeiten sie in Projekten oder Teams, sind es durchschnittlich 3,5 Überstunden.
„Statt Abweichungen von den täglichen Erholungszeiten zu begünstigen, wäre es wichtig, die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) schon vor gut zwei Jahren eingeforderte betriebliche Arbeitszeiterfassung gesetzlich umzusetzen, insbesondere bei mobiler Arbeit“, fordert die Stiftung. Gerade angesichts von verbreitetem Multitasking, „agilem“ und mobilem Arbeiten, von internationaler Vernetzung und umfassender digitaler Erreichbarkeit werde deutlich: „Eine vereinbarkeits- und gesundheitsförderliche Flexibilisierung der Arbeitszeit hängt sowohl von einem starken Arbeitszeitgesetz und Arbeitsschutzgesetz, als auch von einer transparenten und im Betrieb verbindlich geregelten Arbeitszeiterfassung ab“, resümieren die WSI-Forscherinnen Yvonne Lott und Elke Ahlers.
„Interessierte Selbstgefährdung der Gesundheit“
Dass solche modernen und zunehmend verbreiteten Arbeitsformen oft mit deutlich längeren tatsächlichen Arbeitszeiten verbunden sind, habe allenfalls vordergründig mit freiwilligem Engagement zu tun, betonen die Wissenschaftlerinnen. Oft seien vom Arbeitgeber zu hoch angesetzte Ziele die wahren Gründe. „In solchen Fällen entscheiden sich Beschäftigte zwar dafür, Überstunden am Abend und am Wochenende zu leisten, aber nicht etwa aus Begeisterung für ihre Arbeit, sondern um ihr Arbeitspensum zu schaffen“, und weil sie sich für den Erfolg von Projekten und die Einhaltung von Fristen verantwortlich fühlen, so die Forscherinnen. In der Wissenschaft ist in diesem Zusammenhang auch von „interessierter Selbstgefährdung“ die Rede.
- Die Studie gibt es hier: www.wsi.de