Warum ein Ingenieur sich als Reserveoffizier in der Bundeswehr engagiert
Joachim Fallert ist selbstständiger Ingenieur und Reserveoffizier. Wie sich Zivil- und Soldatenleben ergänzen, erzählt er im Interview.
Inhaltsverzeichnis
- Reservedienst: „Von der Unterhaltssicherung der Bundeswehr werde ich nicht reich.“
- Joachim Fallert: „Bei der Bundeswehr habe ich mehr fürs zivile Leben gelernt.“
- Die Überzeugung, dass Abschreckung wieder einmal nötig sein würde, hat Joachim Fallert bei der Bundeswehr gehalten
- Joachim Fallert bildet Ungediente für den Heimatschutz aus
VDI nachrichten: Herr Fallert, auf X beschreiben Sie sich so: „Familienvater, Inhaber Ingenieurbüro, Oberst d. R., Landesvorsitzender Reservistenverband BW“. Entspricht dies Ihren Prioritäten im Leben?
Fallert: Irgendwie schon, denn zu meinen Kameradinnen und Kameraden im Reservistenverband sage ich immer: „Zuerst kommt die Familie, dann kommt der Job, denn dort kommt schließlich das Geld her.“ Dann folgen Ehrenamt, Vereine, Hobbys. Mit dieser Einstellung unterscheide ich mich sicher nicht von der Masse der Menschen.
Was Sie von der Masse der Menschen unterscheidet, ist Ihr hoher Dienstgrad in der Bundeswehr. Gleichzeitig sind Sie Inhaber eines Ingenieurbüros. Wie schaffen Sie diese Parallelkarrieren?
Wahrscheinlich bedingte die eine die andere Karriere. Ich bin als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingetreten, ich hatte es als Chance zur Charakterschulung gesehen. Ich komme aus einem kleinen Dorf, da wollte ich einfach einmal etwas anderes sehen.
Über verschiedene Umwege bin ich Reserveoffizier geworden. In den 18 Jahren als Angestellter konnte ich mich zunächst nur bedingt bei der Bundeswehr engagieren, als Führungskraft wurde mir das fast unmöglich gemacht. Erst als Selbstständiger brauchte ich keine Vorgesetzten mehr zu fragen, ob sie mich für eine Reserveübung freistellen. Das bringt eben gewisse Freiheiten mit sich, es ist allein meine Entscheidung, ob ich am Nachmittag im Büro arbeite, auf den Golfplatz gehe oder mich für die Reserve der Bundeswehr engagiere.
Reservedienst: „Von der Unterhaltssicherung der Bundeswehr werde ich nicht reich.“
Als Selbstständiger können Sie während des Ehrenamts oder einer Reserveübung keinen Umsatz erwirtschaften. Wie bewältigen Sie diese Herausforderungen?
Ich habe mir nie in Stunden oder Minuten ausgerechnet, was mir durch das Ehrenamt im Reservistenverband an Umsatz verloren geht, weil es eben ein Ehrendienst ist. Dafür schreibe ich zwischendurch öfter einmal eine Mail oder führe ein Telefonat, wenn es der Job verlangt. Während meines Reservedienstes bekomme ich eine Unterhaltssicherung von der Bundeswehr. Aber davon werde ich nicht reich, das ist eher eine Aufwandsentschädigung.
Ihr Tagessatz im Zivilleben ist vermutlich wesentlich höher?
Ja, und den würde die Bundeswehr auch nicht bezahlen. Dann käme sie in den Bereich der Unwirtschaftlichkeit, und das wäre dem Steuerzahler nicht zuzumuten.
Wie viel Zeit im Jahr bringen Sie für Ihre Offizierskarriere auf und wie viel bleibt für die Freiberuflichkeit?
Das Bundeswehr-Engagement geschieht auf zwei Ebenen: Zum einen bekleide ich als Landesvorsitzender des Reservistenverbandes Baden-Württemberg ein Ehrenamt. Dafür verwende ich bestimmt zwei oder drei Stunden am Tag und viel Zeit am Abend und am Wochenende auf. Zum anderen bin ich bei der Bundeswehr auf einem sogenannten Beorderungsdienstposten Leiter des Verbindungskommandos zum Regierungsbezirk Karlsruhe. Es hält im Katastrophen- und Krisenfall den Kontakt zu zivilen Stellen. Beispiele sind die Flüchtlingskrise und die Coronapandemie. Für diese Aufgabe bringe ich zwischen 20 und 30 Tage im Jahr auf. Allerdings nicht am Stück, sondern typischerweise zwei bis drei Tage am Stück, gefolgt vom Wochenende. Natürlich muss man das wollen. Aber andere gehen zum Angeln oder fahren Motorrad. Für mich ist das Engagement in der Bundeswehr so ein geistiger Ausgleich, weil ich da Menschen mit anderen Ansichten treffe, die ich anders nie kennengelernt hätte.
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Inwieweit können Sie Ihre zivil erworbenen Kompetenzen bei der Bundeswehr nutzen?
Die technische Kompetenz habe ich bisher wenig benötigt, stattdessen andere Fähigkeiten, die ich im Studium und Arbeitsleben erworben habe. Dazu gehören Menschenführung und Teamarbeit. Die Bundeswehr profitierte davon, wenn Menschen mit ihrer Fach- und Lösungskompetenz von außen in die Truppe kommen, die sich wegen der Abschaffung der Wehrpflicht schon ein bisschen eingekapselt hat. Denn die Wehrpflichtigen haben mit ihren Sorgen, Nöten und Ideen die Bundeswehr letztendlich bereichert. Diese Aufgabe hat ein Stück weit die Reserve übernommen.
Können Sie ein Beispiel nennen, in dem die Bundeswehr positiv aus dem Zivilleben beeinflusst wurde?
Das schönste Beispiel ist für mich der Bereich, in dem ich selbst tätig bin, der sogenannten Verbindungsorganisation. Im Jahr 2007 hatte das Bundesverteidigungsministerium entschieden, in jedem Landkreis und in jedem Regierungsbezirk ein Verbindungskommando zu schaffen, das ausschließlich mit Reservistinnen und Reservisten besetzt wird.
Sie tragen in dieser Funktion Uniform, sind aber vor Ort auch als Bürgerinnen und Bürger bekannt. Weil sie sich etwa bei der Feuerwehr oder im Verein engagieren, sind ihre sozialen Kompetenzen geschätzt. Deshalb gibt es bei den zivilen Stellen keinerlei Berührungsängste, das hat die Zusammenarbeit etwa während der Pandemie auf ein neues NiveaGanz eindeutig habe ich bei der Bundeswehr mehr für das zivile Arbeitsleben gelernt. u gehoben.
Joachim Fallert: „Bei der Bundeswehr habe ich mehr fürs zivile Leben gelernt.“
Ganz eindeutig habe ich bei der Bundeswehr mehr für das zivile Arbeitsleben gelernt. Das war aber kein Plan von mir, lediglich die Abenteuerlust, die mich in meine Laufbahn getrieben hat. Menschen zu führen war aber schon immer mein Wunsch, und deshalb habe ich nach meinem Wehrdienst den Lehrgang für Reserveunteroffiziere gemacht und bin danach in die Laufbahn der Reserveoffiziere gewechselt.
Mit 25 Jahren war ich Leutnant und habe bis zu 50 Soldaten kommandiert. Die Bundeswehr lehrt einen auch Menschenführung, und da wird rasch klar, ob man das Talent hat, Menschen zu überzeugen und für Dinge zu begeistern. Auf diesen Erfahrungen habe ich meine zivile Karriere aufgebaut und dafür bin ich der Bundeswehr dankbar, auch wenn sie mich in vielerlei Hinsicht immer wieder enttäuscht.
Die Ausbildung bei der Bundeswehr ist darauf angelegt, die Menschen an ihre körperlichen und psychischen Grenzen zu führen und möglicherweise auch darüber hinaus. Können Sie ein Beispiel schildern, wie Sie damit umgegangen sind?
Das einschneidenste Erlebnis war ein Lehrgang an der Winterkampfschule der Bundeswehr in Mittenwald. Ich hatte mich als Reservist angemeldet, weil ich dachte, die eine Woche wäre eine schöne Abwechslung. Das war sie auch bis zur 36-Stunden-Übung als Abschluss. Wir wurden im Gelände ausgesetzt und mussten die 15 km zur Kaserne zurück selbstständig finden. Das ist keine große Entfernung, aber die Strecke durch den Wald in einer Hügellandschaft war doch sehr fordernd. Umso mehr, als wir von den Tagen zuvor schon körperlich ausgelaugt waren. Nach 36 Stunden inklusive einer ganz kurzen Nacht im regnerischen Wald war ich am nächsten Tag wirklich erschöpft, entsprechend unterzuckert und sehr schlecht gelaunt. Die Erkenntnis war bitter für mich, dass es nur ein paar Hügel sowie wenig Essen und Schlaf braucht, damit ich an meine Leistungsgrenze komme. Unterwegs hatte ich gedacht, wir könnten schneller marschieren, aber die Gebirgsjäger als Ausbilder haben gesagt: „Lieber gleichmäßig als schnell und mach ruhig die Uniform auf.“ Das kam mir ein bisschen unmilitärisch vor, aber letztendlich habe ich erkannt, dass es besser ist, eine Stunde später und einigermaßen leistungsfähig am Berg anzukommen. Wenn ich mit meiner Familie heute eine Wanderung mache, geht es nicht darum, zu einer bestimmten Uhrzeit an der Hütte anzukommen, sondern sie einigermaßen fit zu erreichen. Ein Fehltritt im Gebirge kann böse enden. Die Gefahr erhöht sich, wenn man zu wenig isst und trinkt und zu schnell geht.
Sie sind in die Bundeswehr eingetreten, als der Warschauer Pakt zusammenbrach. Danach ging es mit der Bundeswehr quantitativ jahrzehntelang bergab. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Als ich zur Truppe kam, hatten wir noch eine unheimlich starke Armee mit einer halben Million aktiven Soldaten und etwa einer Million Reservisten. Jahre später war ich im Publikum, als der stellvertretende Generalinspekteur erklärte, uns Reservisten brauche man nicht mehr. Wir wurden buchstäblich nach Hause geschickt, ich hatte jahrelang keinen Dienstposten mehr. Oft genug habe ich mir überlegt, mir ein anderes Hobby zu suchen und ein Motorrad zu kaufen.
Die Überzeugung, dass Abschreckung wieder einmal nötig sein würde, hat Joachim Fallert bei der Bundeswehr gehalten
Trotzdem sind Sie buchstäblich bei der Fahne geblieben. Was waren Ihre Gründe dafür?
Ich konnte mir in meiner Naivität oder vielleicht auch mit meinem Realismus einfach nicht vorstellen, dass wir wirklich im ewigen Frieden glücklich werden. Meine Überzeugung, dass der Bedarf an einer wirkungsvollen Abschreckung wieder einmal da sein wird, hat mich bei der Stange gehalten. Der Präsident des Reservistenverbandes Patrick Sensburg argumentiert gerne, dass niemand auf die Idee kommen würde, die Feuerwehr aufzulösen, nur weil es zwei Jahre nicht gebrannt hat.
Nur mit dem Heimatschutz haben wir es so gemacht und bauen ihn nun wieder mühsam auf. In der Nähe meines Wohnorts in Muggensturm war während des Kalten Krieges ein Depot mit der Ausstattung für zwei Bataillone des Heimatschutzes untergebracht: Dazu gehörten Waffen, Munition, Spaten, die ganze Ausrüstung. Ich erzähle davon gerne, um den Zuhörern zu verdeutlichen, dass die Reserve heutzutage außer ihrer Uniform nichts mehr besitzt.
Erst vor 15 Jahren hat man langsam angefangen, den Heimatschutz wieder aufzubauen. Mittlerweile ist die Stärke auf bescheidene 4000 Männer und Frauen angewachsen – ein Zehntel dessen, was im Kalten Krieg bereitstand. Das ist keine Abschreckung, aber immerhin der Anfang davon.
Joachim Fallert bildet Ungediente für den Heimatschutz aus
Sie bilden Ungediente für den Dienst in Heimatschutzeinheiten aus. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Früher hat die Bundeswehr ihren Nachwuchs zum großen Teil aus den Wehrdienstleistenden rekrutiert. Auch nach dem Ende der Wehrpflicht gibt es weiterhin Frauen und Männer, die sich für den Beruf des Soldaten interessieren. Seit 2018 bilden wir mit dem Landeskommando Baden-Württemberg Ungediente aus, aus dem einstigen Testballon wurde ein Erfolgsmodell. Menschen im Alter von 18 bis 58 Jahren melden sich, dazu zählen promovierte Rechtsanwälte wie Bäckereifachverkäuferinnen.
Wer vom Militär keine Ahnung hat und meint, das seien irgendwelche Durchgeknallten, die einmal mit dem Sturmgewehr schießen wollen, liegt völlig falsch. Der Anwalt etwa begründete sein Engagement so: „Es ist an der Zeit, dass ich was für die Gesellschaft tue.“ Aber diese Ausbildung wird nur getragen vom Willen Einzelner, es gibt keine Anweisungen aus dem Verteidigungsministerium dazu. Ich bin überzeugt, das Potenzial an Freiwilligen ist weit größer, als zurzeit ausgeschöpft wird.
Was bringen diese Freiwilligen an Stärken für den soldatischen Dienst mit und wo haben sie Defizite?
Sie alle besitzen eine unheimlich hohe Bereitschaft, sich zu engagieren und auf etwas Neues einzulassen. Ehemalige Wehrdienstleistende fragen immer wieder: „Die Grundausbildung dauerte schon immer drei Monate, was wollt ihr den Leuten in 17 Tagen beibringen?“ Aber faktisch können wir zu der Dauer des Moduls von 17 Tagen zehn weitere hinzuzählen, weil die Rekrutinnen und Rekruten nach Dienstschluss nicht einfach Feierabend machen, sondern weiterlernen wollen. Auf einem USB-Stick bekommen sie dafür die Informationen für die Ausbildung am nächsten Tag. Aber diese positive Einstellung im Kopf prallt manchmal zusammen mit der Leistungsfähigkeit des Körpers. Manche geraten schon in Schnappatmung, wenn sie auf dem Kasernengelände 3 km marschieren müssen – und das ohne Waffe und Gepäck. Da hilft nur, zwischen den Modulen an der Kondition zu arbeiten.
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Das klingt nicht so, als würden die Rekruten den Feierabend mit dem Kasten Bier auf der Stube verbringen.
Die Zustände, wie sie viele aus ihrer eigenen Wehrdienstzeit kennen, gibt es schon lange nicht mehr. Wer zur Bundeswehr geht, um sich jeden Abend drei Bier hinter die Binde zu kippen, ist dort falsch. Und das machen wir ihm sehr schnell sehr klar.