MEDIZINTECHNIK 28. Jun 2019 Bernd Müller Lesezeit: ca. 5 Minuten

Ein 3-D-Druck für Tiere

Schnäbel, Panzer, Füße ... Veterinäre nutzen die additive Fertigung zugunsten der Fauna.

Papagei „Gigi“ wurde von Wilderern misshandelt. Spezialisten der Tierschutzgruppe „Animal Avengers“ retteten ihn – mit Ingenieurskunst und Fingerfertigkeit.
Foto: Animal Avengers

Wenn Katzen nach einem Bänderriss lahmen oder Hunde nach einem Unfall ein neues Bein brauchen, fahren Frauchen oder Herrchen häufig nach Frankenthal in der Pfalz. Dort betreibt Dieter Pfaff seine Praxis. Er ist einer von wenigen Orthopädietechnikern in Deutschland, die sich auf Tiere spezialisiert haben.

Silikon für Meerestiere

Auch Meeresbewohnern haben Tierfreunde schon Prothesen verpasst.

Ein Beispiel ist das Delfinweibchen „Winter“, das seine Schwanzflosse nahe Cape Canaveral in einem Bojenseil verheddert und verloren hatte. 2008 erhielt es im Clearwater Marine Aquarium eine Silikonprothese über ihren Stummelschwanz – und überlebte.

Schon einige Jahre zuvor hatte der große Tümmler „Fuji“ im Okinawa Churaumi Aquarium eine Gummiprothese bekommen. Er litt an Nekrose, einer rätselhaften Krankheit, bei der massenhaft Zellen und ganze Gliedmaßen absterben. Viele Tests und zehn Prototypen waren nötig, bis Silikonmischung, Kohlefaserverstärkungen und Steckmechaniken ihren Zweck erfüllten.

Ein Youtube-Hit ist das Video eines US-amerikanischen Aquarianers, der seinem Goldfisch eine Art Geschirr gebastelt hat. Das hängt an einem Faden, der mit einer kleinen Boje an der Wasseroberfläche verbunden ist. Der Grund: Der Fisch kann nicht richtig tarieren, also Auf- und Abtrieb regulieren. Die Boje hilft, dass der goldige Fisch nicht am Boden liegen muss.  bm

goo.gl/BrMexP

Pfaff ist Meister seines Faches – qua Ausbildung und Praxis. In aufwendiger Handarbeit stellt er Prothesen oder Orthesen her. Prothesen ersetzen fehlende Gliedmaßen. Orthesen stützen geschwächte Körperteile, etwa bei Arthrose. Außerdem bekommen Tierbesitzer in Frankenthal viele weitere Hilfsmittel für ihren Liebling, beispielsweise einen Kopfschutz oder einen Rollwagen. In letzteren werden Hund oder Katze eingeschnallt, um wieder laufen zu können.

Pinguin „Bagpipes“ hatte ein einschneidendes Erlebnis mit einer Angelschnur: Er verlor einen Fuß. Wissenschaftler druckten ihm jetzt eine Prothese aus Kunststoff.
Foto: University of Canterbury, New Zealand

Seinen ungewöhnlichsten Einsatz hatte Pfaff vor sieben Jahren. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) hatte einen Storch gerettet, der in einer Hochspannungsleitung ein Bein verloren hatte. Die Tierfreunde brachten das verletzte Tier nach Frankenthal. Für Meister Adebar war das die Rettung – dank einer eigens angepassten Prothese kann der lädierte Vogel wieder durch Sümpfe schreiten und Frösche fressen.

Tierorthopädie ist laut Pfaff klassisches Handwerk. Dennoch habe sich bei Materialien und Herstellungsverfahren in den letzten 30 Jahren viel verändert. „Vor allem bei den Werkstoffen gibt es einen enormen Fortschritt.“ So setzt der Tierorthopäde für seine Prothesen und Orthesen Materialien ein, die man früher nur aus der Automobilindustrie oder dem Flugzeugbau kannte: Kohlefaser, Glasfaser und Kevlar. Wie bei Leichtbauteilen in der Industrie werden auch in der Orthopädie die Fasern mit einem Acrylharz laminiert. Dazu fertigt Pfaff ein Gipsmodell an und überzieht es mit den Fasermatten samt Harz, eingebettet zwischen zwei Folien. Eine Vakuumpumpe zieht die Luft aus der Folie, die Fasern legen sich um die Gipsform und härten aus. Sämtliche Vorrichtungen hat Pfaff in seiner Praxis, alle Arbeitsschritte macht er selbst.

Auch Frank Höhner, Kleintierorthopäde in Wiesbaden, setzt aktuell noch auf Handarbeit. Er hat einmal den Panzer einer Schildkröte ersetzt, die den Zähnen eines Hundes zu nahe gekommen war. Aus Knete bereitete der Experte ein Negativ des Panzers vor und füllte dieses mit einem Kunststoffkleber. Verankert wurde der Panzer schließlich mit Metallhaken.

Die Zukunft sieht Höhner aber im 3-D-Druck, vor allem bei individuell angepassten Einzelstücken. „3-D-Druck erlaubt endlich erschwingliche Maßanfertigungen.“

Ein auffallend schönes Beispiel dafür liefert die hellblau-gelb gefiederte Papageiendame „Gigi“. Ihr rettete die additive Fertigung Anfang des Jahres das Leben. Sie litt an schweren Missbildungen ihres Schnabels. Schuld daran waren Wilderer, die sie in Brasilien gefangen und wenig artgerecht gehalten hatten. Zwar wurde der Vogel von der örtlichen Polizei befreit, drohte aber zu verhungern – ohne richtigen Schnabel war dem Tier eine selbstständige Nahrungsaufnahme nämlich nicht möglich.

Rettung brachten die „Animal Avengers“ (dt.: Rächer). Zu dem Team gehört Tierarzt Roberto Feccio, Zahnmedizinforensiker Paulo Miamoto sowie Cicero Moraes, 3-D-Designer und Spezialist für Gesichtsrekonstruktion. Sie gelten als Vorreiter bei der Verwendung von 3-D-Drucktechnologien, um verletzten Tieren das Überleben zu ermöglichen.

Gigis Schnabel wurde auf einem Drucker aus Deutschland gefertigt: einem Mlab cusing R von Concept Laser. Die Maschine der Bayern dient in der Industrie vor allem dazu, filigrane Teile mit hoher Oberflächengüte herzustellen – also genau richtig für den tierischen Einsatz. Im konkreten Fall kam als Material Titan zum Einsatz. Es ist nicht nur biokompatibel, relativ leicht und korrosionsbeständig. Es ist vor allem auch extrem hart. Das ist wichtig. Denn Aras benutzen ihre Schnäbel, um Samen zu öffnen und harte Schalen zu brechen.

Die Operation fand am 18. Februar nahe Sao Paulo statt. Die Prothese wurde von den Spezialisten mit Knochenzement und orthopädischen Schrauben befestigt. Schon 48 Stunden nach dem Eingriff konnte Gigi ihren Schnabel ausprobieren.

Gigi war nicht der erste Einsatz der Avengers. Auch Schildkröte „Freddy“ verdankt den selbstlosen Tierfreunden ihr Leben. Bei einem Waldbrand hatte er seinen Panzer verloren. Aus rund 40 Fotos von dem verletzen Reptil erstellten die Helfer ein 3-D-Modell des Panzers, der dann aus Polyactid, einem häufig verwendeten Polymer für den 3-D-Druck, ausgegeben wurde. Weil der Panzer sehr groß war, wurde das Modell aus vier Teilstücken zusammengesetzt. Alleine das Ausdrucken des größten Stücks dauerte etwa 50 Stunden.

Die Avengers sind nicht nur hingebungsvolle Tierretter, sondern auch Ästheten: Freddys neuen Panzer ließen sie vom brasilianischen Künstler Yuri Caldera bemalen. Und die bunten Schrauben in Gigis Schnabel erinnern an Strasssteine.

Etwas mehr Farbe stünde Tukan „Grecia“ derweil gut zu Gesicht. Die künstliche Schnabelhälfte des gefiederten Costa Ricaners ist zwar funktional, aber gegenüber dem Original doch sehr blass geraten. Den Vogel selbst stört das wahrscheinlich nicht. Nach dem, was er durchgemacht hat, kann er den optischen Makel sicher verschmerzen: Seine Prothese wurde deshalb nötig, weil eine Gruppe Jugendlicher mit Stöcken auf ihn eingedroschen hatte. Ein schwerer Schlag für den Vogel: Er konnte nicht mehr fressen, nur noch sehr eingeschränkt Körperwärme abführen und büßte einen Teil seines Gleichgewichtssinns ein.

Nachdem lokale Zeitungen über dieses Schicksal berichtet hatten, schlossen sich vier Technologiefirmen zusammen, um zu helfen. Erster Schritt auf dem Weg zum neuen Mundwerkzeug war das Ausmessen des verbliebenen Stumpfes. Auch dabei kam Hightech zum Einsatz: ein Artec-3-D-Scanner. Mit ihm wurden feinste Details des Schnabelrudiments digital abgebildet. Anhand der Daten konnte im zweiten Schritt ein exakt passender und funktionaler Lückenfüller entworfen und später aus Nylon ausgedruckt werden. Befestigt wurde er abschließend mit Klebstoff.

Nicht geklebt, sondern aufgesteckt – und derzeit noch mit Kabelbinder fixiert – ist die additiv gefertigte Fußprothese von Zwergpinguin „Bagpipes“ (dt: Dudelsack). Der kleine Neuseeländer hat ebenfalls eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Verursacher auch hier: Menschen. Ihm musste bereits 2007 ein Teil seines linken Beins amputiert werden, weil er sich in einer Angelschnur verheddert hatte – ein übelst einschneidendes Erlebnis.

Im Juni diesen Jahres kam Hilfe in Person von Don Clucas, Dozent für Konstruktionslehre und Mechanik an der Universität von Canterbury. „Wir haben einen Drucker, der sowohl feste als auch gummiartige Strukturen erzeugen kann“, so der Ingenieur. So sei es möglich gewesen, Knochen und Schwimmhäute nachzubilden. Als Designgrundlage für die Form habe der verbliebene Fuß gedient. Er sei eingescannt und anschließend virtuell gespiegelt worden. Nur 30 Stunden habe die anschließende Entwicklung in Anspruch genommen. Für Bagpipes aber öffnet sie die Tür in ein neues Leben – und er macht große Fortschritte.

Seinen ungewöhnlichen Namen verdankt der Pinguin seinem Finder, einem Schotten. Dieser wollte ihn wegen seiner damaligen Verletzung ursprünglich „Haggis“ nennen. So heißt eine Spezialität der schottischen Küche, die im Wesentlichen aus Innereien besteht. Das erschien seinen heutigen Betreuern, Mitarbeitern des Internationalen Antarctic Centers in Christchurch, aber letztlich doch unpassend.

Gigi, Freddy, Grecia und Bagpipes – sie alle hatten großes Glück im Unglück. Ohne das uneigennützige Engagement von Tierfreunden und Technologiefirmen wären sie zugrunde gegangen. Die Kosten für ihre Rettung hätten private Tierbesitzer jedenfalls kaum tragen können. Die Avengers haben ihre Einsätze bisher weitgehend aus eigener Tasche bezahlt. Und es sieht nicht so aus, als würde sich daran schnell etwas ändern: Bei einem Crowdfunding auf der Plattform „Generosity by Indiegogo“ sammelten die Helfer in den vergangenen fünf Monaten gerade einmal 100 $ ein.

Zum Vergleich: Eine einfache Beinprothese für einen Hund kostet zwischen 800 € und 1200 €. Eine künstliche Hüfte schlägt bereist mit rund 1700 € zu Buche, exklusive OP. Hintergrund der hohen Preise: Die Implantate sind wegen der sehr unterschiedlich großen Hunde kaum standardisierbar.

Helfen könnte auch hier der 3-D-Druck. Die Technologie bringt laut Kleintierorthopäde Höhner vor allem bei zementfreien Implantaten große Vorteile. Diese werden in den Knochen geschlagen und halten dort sehr fest – wenn sie denn den natürlichen Gegebenheiten genau angepasst sind.

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