Produktion 02. Okt 2015 STEFAN ASCHE Lesezeit: ca. 4 Minuten

Entwickler müssen additiv denken

René Gurka, CEO von BigRep, präsentiert einen großen FDM-Drucker zum kleinen Preis. Der „BigRep One“ bietet einen Bauraum von 1,3 m3 und kostet 36 000 €.
Foto: U. Zillmann

Man muss schon sehr genau hinschauen. Und genau hinfühlen. Sonst ist nicht zu erkennen, dass der vermeintliche Akkuschrauber nur ein funktionsloses Designmodell ist. Der Griff hat die Haptik von Gummi, das Gehäuse fasst sich an, als wäre es aus dem üblicherweise verwendeten Kunststoff. Tatsächlich aber ist alles das Ergebnis eines einzigen Herstellungsprozesses. Und es ist aus einem einzigen Stück. Denn es kommt aus einem 3-D-Drucker, dem Objet260 Connex3 aus dem Hause Stratasys.

HP will bisherige Technologien in den Schatten stellen

„HP schreibt die Gesetze des 3-D-Drucks neu“, orakelt Terry Wohlers, Marktbeobachter im Bereich Additive Fertigung und Chef von Wohlers Associates, einem Beratungs- und Analystenhaus aus Colorado, USA. Bisherige Leistungsgrenzen würden aufgehoben. Die angekündigte „Multi Jet Fusion Technologie“ erlaube schnelles und zugleich höchst präzises Drucken von sehr festen Strukturen mit variablen Eigenschaften – und das in allen erdenklichen Farben.

Im ersten Schritt fährt ein Materialschlitten waagerecht von oben nach unten über den Produktionsraum und legt ein Pulver aus.

Im zweiten Schritt fährt ein Serviceschlitten von rechts nach links. Im vorderen Teil des Kopfes ist eine Infrarot-Lampe zum Vorwärmen des Materials installiert. Nachgeordnet sind große Felder von Druckdüsen. Sie bringen Fusionskatalysatoren dorthin, wo festes Material entstehen soll. Zugleich bringen sie ein spezielles Mittel in die Grenzbereiche des zu festigendes Materials aus. Es dient dazu, den Fusionsprozess örtlich höchst präzise steuern bzw. stoppen zu können. Am Ende des Druckkopfes ist die Fusionslampe angebracht.

Beide Schlitten arbeiten auch auf ihren jeweiligen Rückwegen. Der Produktionsprozess ist laut HP dadurch insgesamt zehn Mal schneller als bei herkömmlichen Verfahren der additiven Fertigung. Die Oberflächen der Werkstücke seien exakter definiert und glatter.

Die Druckdüsenfelder erlauben zusätzlich das Auftragen von Farbe und weiterer Funktionskatalysatoren. Jeder volumetrische Tropfen (Voxel) kann theoretisch unterschiedlich coloriert und mit individuellen Eigenschaften versehen werden. Ein und dasselbe Werkstück kann so harte und weiche Bereiche enthalten. Oder etwa leitfähige und isolierende.

Wettbewerber schauen gespannt auf die Entwicklung. In Schockstarre verfällt aber niemand. René Gurka, Gründer des Berliner Jungunternehmens BigRep.

„Der Drucker kann verschiedenste Kunststoffe simulieren“, erklärt Michael Junghanß, CEO von Alphacam, dem größten Reseller für Stratasys-Produkte in der DACH-Region. Möglich wird das durch drei verschiedene Grundmaterialien. Sie werden in Kartuschen dem Drucker zugeführt. Die Kunststoffe lassen sich unterschiedlich colorieren und miteinander vermischen. „So erreichen wir variable Shore-Härten des Materials innerhalb einer wählbaren Farbskala.“ Eine vierte Kartusche enthält auswaschbares Stützmaterial für Überhänge in der Z-Achse. Die minimale Schichtdicke beträgt 0,016 mm.

Genutzt werden soll der Multimaterialdrucker für die Produktion von Einzelstücken und Kleinserien. „Einer unserer Kunden fertigt etwa Inspektionstauchroboter für Kernkraftwerke“, so Junghanß. „Die Gehäuse werden in einem Stück gedruckt, inklusive der beweglichen Teile. Nichts muss mit Nieten und Splinten gesichert werden.“ So könne die Technologie ihr Potenzial voll entfalten – Stichwort: Baugruppen mit unverlierbaren Teilen. „Wir müssen lernen, additiv zu denken und zu konstruieren. Dann kann man auch sinnvoll additiv produzieren. Ingenieure stehen vor neuen Aufgaben – und ungeahnten Möglichkeiten. Insbesondere im Hinblick auf die Serienfertigung.“

Stratasys bietet nicht nur 3-D-Druck auf Basis von flüssigen Materialien. Das Unternehmen gilt als Mutter des FDM-Verfahrens (Fused Deposition Modeling). Dabei wird ein Werkstück schichtweise aus einem schmelzfähigen Kunststoff aufgebaut. Junghanß behauptet, mit der firmeneigenen „Fortus“-Reihe genauer reproduzieren zu können, als jeder Wettbewerber. „Unsere Teile sind immer gleich – egal, auf welcher Maschine und an welchem Ort gefertigt wird. Der Toleranzbereich liegt unter 0,2 mm. Möglich macht das u. a. unser beheizter Bauraum. Er gewährleistet, dass die Werkstücke spannungsfrei sind.“ In jedem neuen Airbus A 350 XW seien bereits rund 1000 Teile verbaut, die auf Stratasys-Maschinen gedruckt wurden.

Das Flaggschiff der Fortus-Reihe hat einen Bauraum von 0,9 m3. Das Berliner Start-up BigRep hält mit 1,3 m3 dagegen – laut CEO René Gurka ein Rekordwert im FDM-Bereich. Dabei kostet der „BigRep One“ nur 36 000 € – etwa ein 25tel des „Fortus 900“. „Zugegeben, die Genauigkeit von Stratasys erreichen wir nur zu 85 %“, so Gurka. „Mehr wollen wir aber gar nicht. Wir wollen eine günstige Alternative bieten. Und das nicht nur in der Anschaffung, sondern auch im Betrieb: Unser Drucker verarbeitet Filamente von der Rolle. Das Kilo kostet 35 €. Bei den Kartuschensystemen der großen Wettbewerber ist der Preis zehnmal höher.“

Ganz fair ist der Kostenvergleich freilich nicht. Gurka erläutert: „Unser Kunststoff PLA hat einen Schmelzpunkt bei rund 55 °C. Die großen Wertbewerber können temperaturbeständigeres Material verarbeiten, etwa ABS.“ In vielen Anwendungsbereichen sei das aber gar nicht nötig. „Der australische Bushersteller Bustech nutzt unseren Drucker beispielsweise, um Formen für die Fahrzeugfront zu drucken. Der Formenbau dauerte so nur 48 h, nicht mehr vier Wochen.“

Für die Zukunft haben Gurka und sein 40-köpfiges Team große Pläne. „2016 kommt BigRep 2. Er wird Polycarbonat drucken können. Oder sogar das Hochleistungsmaterial PEEK. Wir können es bereits extrudieren. Beim Drucken brauchen wir dann allerdings einen beheizten Bauraum. Daran arbeiten wir gerade – ohne die Patente von Stratasys zu verletzen. Im großvolumigen Baubereich wollen wir aber bleiben.“

Handlicher sind die Abmessungen der Inkjet-Drucker vom japanischen Hersteller Kyence. „Sie passen durch jede Bürotür“, erläutert Lars Müller, Teamleiter Vertrieb. „Unsere Maschinen zielen ab auf Produktentwickler. Mit einer minimalen Schichtstärke von 0,015 mm erlauben sie die Herstellung besonders hoch aufgelöster Bauteile.“ Eine weitere Besonderheit sei das Stützmaterial. „Es besteht u. a. aus einer Polypropylen-Glykol-Verbindung – genau wie viele Seifen. Dadurch löst es sich in Wasser auf. Es sind also weder Chemikalien noch mechanische Krafteinwirkungen nötig. Das fertige Bauteil reinigt sich im Wasserbad von ganz alleine. Das Risiko von Beschädigungen ist dadurch minimal – auch im Falle von besonders feinen Strukturen.“

Das Top-Modell aus der „Agilista“-Serie von Keyence kostet gut 50 000 €. „Es kann hitzebeständiges Material drucken. Die Ergebnisse sind formstabil bis 100 °C“, erklärt Müller. „Das ist einmalig im Bereich Inkjet.“

Einmalig ist laut Hersteller auch die geringe Sprödigkeit des gedruckten Erzeugnisses. „Wir können dauerhaft flexible Produkte herstellen, etwa Rastnasen“, so Müller. Das Geheimnis läge in der Wasserresistenz des Materials. „Es hat eine Absorptionsrate von nur 0,35 %.“ Andere Kunststoffe lägen bei 1 % bis 1,5 %. „Möglich macht das eine Mixtur aus Acryl und Urethan.“

Der 3-D-Druck wird die klassische Fertigung auf absehbare Zeit nicht ersetzen. Aber er wird sie verbessern. Das erläutert Dirk Dombert, Geschäftsführer vom Branchenriesen und 3-D-Druck-Wegbereiter 3D Systems. Die Metalldrucker des Unternehmens erlauben die Herstellung von Spritzgussformen mit konturnahen Kühlkanälen. „So können wir die Zykluszeiten um bis zu 30 % verringern.“

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