Roboterhersteller Estun kommt nach Europa
Seit August ist der chinesische Roboterhersteller Estun Robot mit einer eigenen Tochter in Europa vertreten. Wie das Unternehmen Marktanteile gewinnen will, beschreibt CEO Gerald Mies, der Erfahrungen von Kuka und Fanuc mitbringt.

Foto: ESTUN Robot Europe
Inhaltsverzeichnis
Erstmals in seiner Historie wird der chinesische Roboterhersteller Estun außerhalb von China aktiv und hat eine Tochter in Europa gegründet. Unklar war aber bisher, ob es auch eine Produktion in Europa geben wird und wie sich das Unternehmen gegen etablierte Hersteller wie ABB, Kuka und Fanuc im Markt durchsetzen will. Wir haben nachgefragt.
VDI nachrichten: Wo befindet sich der Sitz von Estun Robot Europe und was war für die Auswahl entscheidend?
Mies: Die Firma hat ihren Sitz in Baar im Kanton Zug. Da wir ganz Europa versorgen wollen, haben wir uns wegen der zentralen Lage für die Schweiz entschieden.
Wird das ein reiner Vertriebsstandort sein oder ist auch Produktion geplant?
Für die Produktion haben wir schon eine Fabrik in Polen im Bau. Es wird also auch eine Roboterproduktion in Europa geben. Das läuft parallel über die Produktionsleute aus China. Wir sind in die Planung eingebunden und auf einem guten Weg. Im nächsten Frühjahr wird alles fertig sein.

Wie kam denn Ihr Kontakt mit Estun zustande?
Der besteht schon länger. Erste Gespräche gab es bereits 2016. Damals war ich Geschäftsführer bei der Carl Cloos Schweisstechnik. 2019 hat Estun das Unternehmen übernommen. Mich hat fasziniert, wie schnell das Unternehmen gewachsen ist. Estun ist erst 2011 in die Robotik eingestiegen und hat 2023 in China auf einen Schlag Wettbewerber wie Kuka, Yaskawa und ABB überholt. Weil mein Herz für Roboter schlägt, sind wir uns schnell einig geworden.
Bisher war Estun als Roboterhersteller nur in China aktiv
Wie läuft die Zusammenarbeit in ihrer neuen Funktion als Geschäftsführer für Europa mit den Kollegen in China? Welche Freiheiten haben Sie und Ihr Team?
Man kann es gar nicht glauben, Estun hat bis jetzt nur in China gearbeitet. Insofern ist unsere Erfahrung und Marktkenntnis gefragt. Wir wollen schnell starten und genießen dabei das volle Vertrauen. Zugute kommt uns dabei, dass Estun in privater Hand ist und vom Gründer und dessen Sohn geführt wird. Dadurch sind die Entscheidungswege sehr kurz und die Kommunikation exzellent. Bob Wu, der heute Vorstandsvorsitzender von Estun ist, spricht zudem hervorragend englisch.
Bevor wir auf die die technische Kompetenz von Estun eingehen: Was sind für Sie aktuell die wichtigsten Trends in der Robotik?
Die Programmierung ist ganz klar der Dreh und Angelpunkt. Cobots sind aus meiner Sicht nur deshalb für Anwender interessant, weil mit den Cobots auch die einfache, intuitive Programmierung entwickelt wurde. Es geht in der Industrie ja selten darum, tatsächlich Menschen mit dem Roboter zusammenarbeiten zu lassen. Das macht den Menschen meistens auch keinen Spaß. Im Kern geht es vor allem darum, den Roboter möglichst einfach programmieren zu können. Denn technisch sind Cobots nicht so leistungsstark wie Industrieroboter und ob sie hinsichtlich Qualität und Zuverlässigkeit auf längere Zeit mithalten können, muss sich erst noch herausstellen.
Hersteller müssen wegen des Fachkräftemangels in Programmiertechnik investieren. Man findet heute kaum noch Programmierer und in jedem Systemhaus – in jedem Unternehmen – sind die Programmierer der Engpassfaktor. Das verhindert die notwendige Automation.
Programmierung von Robotern wird zum Differenzierungsmerkmal für Hersteller
Deshalb gibt es inzwischen auch Anbieter ohne eigene Roboter, die dafür Lösungen entwickeln, wie Siemens und Intrinsic. Wie bewerten Sie das?
Die großen Roboterhersteller werden das alles in der eigenen Hand behalten. Das ist schließlich ein wesentliches Differenzierungsmerkmal für das Produkt. Deshalb glaube ich nicht, dass die großen Hersteller in nennenswerter Zahl auf solche Plattformen gehen und damit ihre eigene Position schwächen – schon gar nicht die Hersteller aus Japan.
Estun hat im Unterschied zu den anderen großen Herstellern aber auch eine offene Steuerung. Wir lassen damit zu, dass zum Beispiel ein Systemintegrator in die Steuerung eingreift und dort Dinge implementiert, die kein anderer hat. Damit lässt sich das eigene Know-how schützen.
Nvidia und Intrinsic erhöhen Tempo beim Einsatz von Robotern
Ich hatte Sie bei den Trends unterbrochen. Ist die vieldiskutierte KI für Sie ein Thema?
Ja, die KI ist natürlich ein Thema. Sie sorgt dafür, dass der Roboter in immer mehr Einsatzfeldern eingesetzt werden kann und sich seine Leistungsfähigkeit verbessert. KI ist in der Robotik aber nicht neu. Entsprechende Algorithmen werden schon seit 15 bis 20 Jahren in der Robotik genutzt. Deswegen sieht man das in der Branche ziemlich entspannt. Es ist aber eine sehr wichtige Entwicklungsrichtung.
Ich erwarte nicht, dass sich Menschen in absehbarer Zeit vor den Roboter stellen und ihm erklären können, was er zu tun hat. KI ist aber der Schlüssel dazu, noch mehr Anwendungsgebiete zu erschließen und die Effizienz beim Einsatz weiter zu erhöhen. Das betrifft beispielsweise auch die Sicherheitstechnik. Denn einerseits ist die Sicherheitstechnik ein Muss beim Roboter. Auf der anderen Seite kann sie die Abläufe in einer Fertigung komplexer machen. Wenn der Roboter sein Umfeld mit KI-Unterstützung also selbst zuverlässig überwachen und dadurch auf Schutzzäune verzichtet werden kann, profitieren davon viele Anwendungsgebiete.
Ist das etwas, was Sie bei Estun aus Europa vorantreiben möchten, oder kommen aus der Richtung schon konkrete Ansätze aus China?
Die Kollegen in China haben eher einen Blick auf die Produktion und Europa als auf die reine Sicherheitstechnik. Aber je besser wir die sichere Interaktion des Roboters mit anderen Maschinen oder anderen Elementen in der Fabrik hinbekommen, umso mehr Roboter kann man auch einbinden. Das ist in weiten Teilen ein Markt, der noch nicht erschlossen ist.
Mit dem Bau von Spezialrobotern hat sich Estun in der Batterieproduktion einen Namen gemacht
Nun begeben Sie sich mit Estun in Europa in einen Markt, wo es sehr viele große, etablierte Wettbewerber gibt. Wie wollen Sie sich da durchsetzen?
Zum einen hat Estun mit über 70 unterschiedlichen Modellen eine breite, wettbewerbsfähige Produktrange. Zum anderen hat sich Estun in China in vielen Bereichen mit dem Bau von Spezialrobotern eine Marktführerschaft geschaffen. Eine der Hauptkunden ist der Batteriehersteller CATL. Beim Handling von großen Batteriemodulen werden Knickarmroboter eingesetzt. Letztendlich ist das wenig effektiv. Estun hat deshalb speziell für diese Anwendung einen Scara-Roboter mit 50 kg Traglast gebaut.
Wir sind auch ganz stark bei Biegerobotern, die an Pressen eingesetzt werden. Dazu wurden Roboter mit einer eigenen Kinematik gebaut. Damit hat sich Estun bereits viele Marktzugänge geschaffen. Und gerade der Batteriemarkt ist ein Markt, wo wir in den nächsten Jahren die meisten Investitionen erwarten. Weil wir da bei Weltmarktführern gesetzt sind, macht das unsere Produkte auch für europäische Anwender interessant.
Kann man auch sagen, dass sie mit Unternehmen wie CATL oder chinesischen Automobilherstellern zusammen nach Europa gehen, so wie es Deutsche und europäische Automobilhersteller früher auch in China gemacht haben?
Das ist zwar noch nicht passiert, aber das ist ein Plan. Unser zweiter Hauptkunde BYD bringt natürlich am liebsten Anlagentechnik mit, die er kennt.
Aber noch mal zurück zu den Anfängen mit CATL. Die hatten zunächst nicht daran geglaubt, dass Estun die Leistungsfähigkeit bieten kann wie andere internationale Roboterhersteller. Dann hat Estun gesagt: Okay, dann bauen wir die ganze Linie. Erst dann hat der Batteriehersteller anerkannt, dass die Robotertechnik auf dem gleichen Niveau ist wie bei anderen großen Herstellern. Die langjährige Kompetenz von Estun in der Automatisierungstechnik war damit die Eintrittskarte für die Roboter in die Batteriefertigung.
Ähnlich sieht es in der Photovoltaik aus. Die spielt in Europa produktionsseitig allerdings nicht mehr so eine Rolle. Für Estun ist das aber auch ein wichtiger Markt.
Viele europäische Firmen kennen Estun inzwischen von ihren chinesischen Auslandsgesellschaften.
Gerald Mies
Estun Robot Europe AG
Bei der Übernahme von Kuka durch den chinesischen Konzern gab es anfangs große Bedenken, dass gerade europäische Kunden das Vertrauen in den Roboterhersteller verlieren könnten. Was bedeutet das für den Markteinstieg von Estun?
Da profitieren wir heute davon, dass Kunden am Beispiel Kuka gesehen haben, dass es für sie eher ein Vorteil gewesen ist, dass das Unternehmen chinesisch geworden ist. Sonst hätte sich Kuka nicht so gut weiterentwickelt. Die Qualität ist auch nicht schlechter geworden.
Viele europäische Firmen kennen Estun zudem inzwischen von ihren chinesischen Auslandsgesellschaften und wissen, dass es da technisch kaum noch Unterschiede gibt. Wir sind auch in einer anderen Situation, als es damals beispielsweise Fanuc war. Das japanische Unternehmen war im Jahr 2000 ein Exot im europäischen Markt. Die engen Verknüpfungen deutscher Unternehmen nach China machen es uns heute einfacher. Die kennen uns bereits.
Hochautomatisierte Produktion der Roboter bringt Preisvorteile
Bitte geben Sie uns einen kurzen Ausblick, mit wie vielen Arbeitsplätzen sie in den kommenden Jahren in Europa planen.
Der erste Schritt wird es sein, dass wir flächendeckend in Europa mit Service, Training und Ersatzteilen vertreten sind. Dazu wird das Werk in Polen ein Highlight sein, wo wir eine hochautomatisierte Fertigung aufbauen und unsere Kompetenz in der Automatisierungstechnik zeigen wollen. Wir haben in China bereits eine vollautomatisierte Zerspannung und eine automatisierte Montage. So können wir die Roboter zu sehr attraktiven Preisen anbieten.
Haben Sie konkrete Zahlen zum geplanten Mitarbeiteraufbau und Absatzerwartungen?
Dafür ist es jetzt zu früh. Wenn wir die Leute bekommen, dann haben wir natürlich sehr ambitionierte Ziele. Bis Ende des Jahres wollen wir die erste Einstellungswelle abgeschlossen haben und zunächst mit etwa 50 Leuten in das Jahr 2025 starten. Mit Erfolg werden wir weiter wachsen.
Es heißt, dass Sie mit einer „bekannten Mannschaft“ in Europa starten. Können sie das bitte ein bisschen genauer einordnen?
Ja, ich freue mich, dass Marco Delaini mit an Bord ist. Er war viele Jahre Manager bei Fanuc, erst als CFO in Italien, dann über zehn Jahre CEO in Russland, später hat er Osteuropa von Budapest aus geleitet und war zuletzt CEO in Italien. Er wird sich um Italien, Frankreich und auch südeuropäische Länder kümmern.
Zum Team gehört auch Konrad Grohs, ein weiterer ehemaliger Geschäftsführer von Fanuc, der in Polen und später viele Jahre im europäischen Hauptquartier in Luxemburg für Marketing und Vertrieb verantwortlich gewesen ist. Er wird die Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn betreuen. Das sind in unserer Strategie wichtige Länder für die Robotik in Europa – und weil er in Luxemburg lebt, wird er auch Benelux betreuen. Die anderen beiden Kandidaten möchte ich noch nicht nennen, weil sie erst noch ihre Verträge erfüllen müssen. Sie sind aber schon bisher auf vergleichbaren Ebenen tätig.