Die Müllabfuhr wird autonom
Ganz allmählich durchdringen Robotiklösungen auch den Entsorgungsmarkt.
Der Roboter kommt in der Nacht. Leise und diskret schnappt er sich die Mülltonne und fährt sie zum Lkw, wo sie geleert wird, ohne dass der Fahrer aussteigen muss. Das Projekt „Roar“ (Robot-based Autonomous Refuse handling) des schwedischen Autobauers Volvo in Kooperation mit dem Recyclingunternehmen Renova zeigt eine Vision, die durchaus Wirklichkeit werden könnte.
Schon vor zwei Jahren hatten schwedische Studenten für den Roboter eine Drohne entwickelt: Der Quadkopter steigt vom Mülllaster auf und erstellt eine digitale Karte von den Positionen der Tonnen an der Straße und von den aktuellen Verkehrsverhältnissen. Nun tritt „Roary“ in Aktion: Der Roboter, der den Job der tonnenrollenden Müllmänner übernimmt, ist bestückt mit Kamera, GPS-Navigation und jeder Menge Sensorik. Hindernissen weicht er aus – selbst wenn sie gerade aus der Kneipe torkeln.
Der Clou: Das Fahrzeug selbst ist autonom. Niemand muss aber befürchten, dass bald unbemannte Lkw durchs Viertel donnern. Das 2017 geänderte Straßenverkehrsgesetz (StVG) sieht für den Betrieb von hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen in Deutschland vor, dass mindestens eine Person anwesend ist, um das Fahrzeug unter Kontrolle zu halten. Beim Projekt Roar geht ein Kollege zu Fuß vor dem Müllwagen her, während er ihn fernsteuert – auch wenn es rückwärts in eine Stichstraße geht.
Die autonome Müllentsorgung ist ein Zukunftsprojekt. Der Müllmann hat also noch nicht ausgedient. Auch wenn ihm und seinen Kollegen aus der Stadtreinigung demnächst vielleicht technische Hilfe zur Seite steht. So haben Studenten im Labor für Mobile Robotik der TH Nürnberg „Simon“ geschaffen. Der Roboter soll in städtischen Grünanlagen Müll suchen und ihn später auch einmal einsammeln.
„Simon sucht mithilfe einer Multispektralkamera systematisch die Grünflächen ab“, erzählt Michael Schmidpeter, einer der Entwickler. Damit könne der Roboter verschiedene Materialien unterscheiden. Wärmebildkamera und Laserscanner erkennen rechtzeitig Personen und Hindernisse. Anhand des reflektierten Lichtspektrums ist Simon in der Lage, die aktuelle Verschmutzungssituation zu kartieren. Schon allein mit dieser Information könnte die Stadt Nürnberg zielgerichtet Mülleimer platzieren und Arbeitseinsätze optimieren.
Die Digitalisierung bietet viele Stellschrauben, um etwas Zug in die Entsorgungswirtschaft zu bringen. Und sie werde die Märkte für Umwelttechniken in den nächsten Jahren beleben, heißt es im neuen GreenTech-Atlas 2018, den die Unternehmensberatung Roland Berger fürs Bundesumweltministerium (BMU) erstellt hat. Bei der digitalen Transformation gehe es um Daten zur Optimierung von Geschäftsabläufen, die Automatisierung durch Drohnen und Roboter, aber auch um digitale Kundenzugänge für Produkte und Dienstleistungen.
Den Leitmarkt Kreislaufwirtschaft beziffert der GreenTech-Atlas mit einem Marktvolumen von voraussichtlich 32 Mrd. € im Jahr 2025. Davon werden 1,8 Mrd. € durch Effekte der Digitalisierung erzielt, zu denen die Vernetzung der einzelnen Recyclingschritte gehört. Dies wirke sich besonders auf Abfalltransport, -sammlung und -trennung sowie auf die stoffliche Verwertung aus.
Internetbasierte mobile Technologien nutzt die Abfallwirtschaft bereits, zum Beispiel in Form des elektronischen Lieferscheins. Und die Warenannahme verschiedener Abfallfraktionen und die Archivierung von Formularen wie Entsorgungsnachweis und Begleitschein lassen sich mit entsprechender Software direkt vom Mülllaster aus per Tablet erledigen.
Mit Navigationslösungen greift beispielsweise Infoware in Bonn der Abfallwirtschaft unter die Arme. Zusammen mit Entsorgungsdienstleistern hat das Unternehmen „MapTrip FollowMe“ entwickelt, ein spezielles Navigationssystem, das komplexe Touren für Müllfahrzeuge zusammenstellt und auch Strecken zu neuen Sammelpunkten problemlos aufnimmt. Das System weiß genau, auf welcher Straßenseite die Tonne steht und wo der Laster rückwärts einfahren muss.
Eine solche digitale Lösung für die kommunale Müllabfuhr wünscht sich auch Lars-Uwe Thiessen, bei der Firma Lobbe in Iserlohn im Geschäftsbereich Entsorgung für die Zentrallogistik zuständig. „Der Fahrer bekommt dann die Daten direkt auf seinen Müllwagen.“ So weiß er jederzeit, an welcher Stelle der vorher festgelegten Route er sich gerade befindet.
„Außerdem planen wir einen digitalen Workflow bei Anlieferung und Abholung der Kipper bei den gewerblichen Kunden“, erklärt Thiessen. Dafür werden die Leistungs- oder Lieferscheine digital gestaltet, damit der Kunde sie bei Aufnahme des Behälters direkt auf dem mobilen Gerät unterschreiben kann. Mit der Unterschrift gehen alle nötigen Daten automatisch per E-Mail an die Logistikzentrale sowie an die Abrechnungsstelle. Das spart Papier und unnötige Doppelarbeit beim Übertragen der Informationen.
Für den Logistikexperten von Lobbe ist das aber nur der erste Schritt: „Wir wollen hin zu einer digitalen Revierplanung bei der kommunalen Abholung.“ Straßenkarten sind dann digital hinterlegt, die Routen nicht mehr auf Papier aufgezeichnet, sondern direkt auf dem Telematiksystem im Fahrzeug abrufbar. Wenn ein neuer Fahrer die Route übernimmt, muss der nicht mehr mit Zetteln hantieren, sondern wird wie bei einem Navigationssystem geführt.
Auch der „Prozess des Stoffes“ in den Abfallbehandlungsanlagen soll digital darstellbar werden. Bei überwachungspflichtigem Sonderabfall zum Beispiel muss man exakt nachvollziehen können, welcher Behälter mit welchen Inhalten sich gerade wo im Werk befindet. Dafür werden die Container mit RFID-Transpondern ausgestattet. „Anhand der gefunkten Daten wissen wir auf Knopfdruck, ob ein Behälter auf dem Stapler sitzt, im Zwischenlager wartet oder bereits im Konditionierungsbecken ist, wo die Abfälle behandelt werden“, erzählt Thiessen.
Mit „twitternden Containern“ der etwas anderen Art arbeitet die kommunale RegioEntsorgung im Raum Aachen: 40 Depotcontainer für Wertstoffe wie E-Schrott und Altmetalle sind mit Sensoren ausgerüstet, die viermal täglich die Füllstände digital an die Zentrale melden. „Wir mieten die Sensoren für monatlich 15 €“, erklärte Uli Reuter von der RegioEntsorgung auf einer Tagung des AK Datenmanagement in der Umwelt- und Abfallwirtschaft, die von der Aachener Firma 4waste organisiert wurde.
Der Einsatz spart nutzlose Fahrten, denn erst wenn die Tonnen zu 70 % gefüllt sind, muss sich der Mülllaster auf den Weg machen. Hinter der Füllstandsüberwachung steht eine Software, die laufend das Geschehen analysiert und damit auch die Disposition des Unternehmens verbessert. Bei steigenden Wertstoffquoten habe sich das Modell bisher gelohnt, meinte Uli Reuter.
Auch solche Entwicklungen unterstreichen die Innovationsfähigkeit der deutschen Kreislaufwirtschaft. Der Markt für Umwelttechnik hat bereits aus einer Fülle guter Ideen hervorragende Technik entwickelt. Dennoch steht die Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft bei der Digitalisierung erst am Anfang. Bis sich eine echte Kreislaufwirtschaft etabliert hat ist also noch viel Luft nach oben.