Künstliche Intelligenz in der Automatisierung etablieren 10. Jan 2020 Von Martin Ciupek Lesezeit: ca. 5 Minuten

Festo-Chef Jung setzt auf KI

Seit etwa einem Jahr ist Oliver Jung Vorstandsvorsitzender beim Automatisierer Festo in Esslingen. Er setzt auf persönliche Kommunikation und Künstliche Intelligenz.

Oliver Jung: Der promovierte Maschinenbauingenieur und begeisterte Motorradfahrer treibt seit einem Jahr Festo voran.
Foto:Festo AG & Co. KG

Was ist in Ihrem Büro besonders und worauf könnten Sie verzichten?

Ich habe ein Modell unserer vierflügligen Roboterlibelle. Diese Highend-Technologie aus der Bionik, die Festo schon seit Jahren betreibt, fasziniert mich sehr.

Ansonsten ist mein Büro sehr sachlich. Ein Tisch, ein Stuhl, mein Besprechungstisch und ein Whiteboard für Präsentationen, darauf lässt sich nicht wirklich verzichten.

Sie sind jetzt seit etwas mehr als einem Jahr Vorstandsvorsitzender von Festo. Welches Erlebnis aus dieser Zeit ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

In Erinnerung sind mir die vielen Events geblieben, bei denen ich mich mit Kolleginnen und Kollegen unterhalten habe – im Stammhaus in Esslingen, in Deutschland sowie China oder den USA. Solche Gesprächssituationen schätze ich sehr.

Wie beschreiben sie Ihren Führungsstil?

Ich würde meinen Führungsstil als offen und direkt bezeichnen.

Wie wichtig ist Ihnen Agilität?

Agilität hat ja etwas mit der Organisationsform zu tun. Ich arbeite gerne in agilen Umgebungen und bilde mir ein, sehr gut zuzuhören, wenn mir jemand etwas zu sagen hat. So kann ich auch entsprechend agil agieren.

Bevor sie Vorstandsvorsitzender wurden, gab es einige Wechsel an der Festo-Spitze. Es wirkte fast etwas unruhig. Wie haben Sie wieder Ruhe in das Unternehmen gebracht?

Ich hatte damals nicht Eindruck, dass ich in ein unruhiges Unternehmen komme. Das gebührt sicher meinem Vorgänger Alfred Goll, der das Unternehmen gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen gut zwei Jahre interimsweise geführt hat.

Wie ist Ihnen der Einstieg schließlich gelungen?

Das lag besonders an der Möglichkeit, dass ich mich mit vielen Kolleginnen und Kollegen unterhalten konnte. So konnte ich verstehen, was die Situation im Unternehmen ist und wo der Schuh drückt. Meine Erfahrungen haben mir geholfen die Situationen einzuschätzen und mir ein Bild zu machen. So konnte ich entsprechend agieren und mit den Menschen in meiner Umgebung kommunizieren.

Nach mehreren sehr guten Jahren erlebt die Automatisierungsbranche nun wieder sinkende Auftragseingänge. Wie sehr trifft das Festo und wie groß ist Ihre Abhängigkeit von der Automobilindustrie?

Das geht natürlich auch an Festo nicht spurlos vorbei. Wir erleben auch ein gedämpftes Geschäft. Aufgrund unseres breiten Portfolios haben wir allerdings eine hohe Stabilität. Wir liefern an sehr viele Branchen und eben nicht nur an die Automobilindustrie. Das wirkt stabilisierend. Insofern sind wir in einer vergleichsweise guten Situation. Natürlich müssen wir uns in unserer Kostenstruktur auch an die aktuellen Gegebenheiten anpassen und tun das auch.

Wie groß ist der Anteil des Automotivegeschäfts am Gesamtumsatz?

Der liegt in der Größenordnung von etwa 15 % .

Der Anteil an elektrischer Automatisierungstechnik bei Festo wächst stetig. Ist das ein genereller Wechsel weg vom bisherigen Kerngeschäft der Pneumatik?

Es ist ein strategischer Schritt, dass sich Festo auch den elektrischen Automatisierungskomponenten zuwendet. Das wurde schon vor einigen Jahren entschieden und begonnen. Auf der Messe SPS in Nürnberg konnte ich mich gerade davon überzeugen, dass wir als ernstzunehmender Anbieter in diesem hartumkämpften Markt wahrgenommen werden. Wir sind da bereits an einer guten Position angekommen, wollen das aber weiter ausbauen und wachsen da auch sehr ordentlich.

Gleichzeitig glaube ich weiterhin an die Pneumatik. Sie hat in hohem Maße Berechtigung, weil es viele Applikationen gibt, wo die Pneumatik weiterhin unschlagbar ist. Das ist eine sehr einfache und robuste Technologie. Sie passt sehr gut zu den Attributen und Applikationen unserer Kunden mit dem Ziel, eine sehr hohe Gesamtanlageneffektivität OEE zu erzielen. Weiter gedacht, geht es da um einfache, robuste Produkte in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz. Da habe ich noch viel Fantasie und denke, dass wir da noch einige Innovationen erzeugen können.

Zurück zur elektrischen Antriebstechnik: Entwickeln sie Ihre Komponenten selbst oder kaufen Sie Antriebe hinzu?

Im Moment entwickeln wir alles komplett selbst. Ich möchte in Zukunft aber einen Zukauf nicht ausschließen. Bisher wachsen wir hier organisch und bauen das Geschäft aus eigener Kraft auf.

Nach Industrie 4.0 ist Künstliche Intelligenz nun das nächste große Schlagwort. Ist das für sie ein neues Thema oder eine konsequente Fortsetzung?

Künstliche Intelligenz gibt es ja schon gut 25 Jahre. Das ist also eine alte Technologie, die aber bei ihrer Weiterentwicklung immer wieder an Glasböden gestoßen ist – insbesondere weil die Leistungsfähigkeit der Computer fehlte. Das ist auch jetzt wieder der Fall, weshalb stark auf Quantencomputer geschaut wird. Über die Evolutionsstufen der KI betrachtet, sind wir nun in einer brauchbaren Phase angekommen – es ist nun eine Enabler-Technologie, die viele Dinge erst ermöglicht. Die bauen wir natürlich nun in unsere Komponenten für Industrie 4.0 ein.

Oft heißt es, dass vor allem große Unternehmen KI einsetzen und davon profitieren können. Bleiben die kleinen auf der Strecke?

Das glaube ich gar nicht. Wenn ich nur an Big-Data-Analysen denke, die in einer Cloud erfolgen, dann können sich das natürlich eher große Unternehmen leisten. Aber Künstliche Intelligenz findet ja auch auf anderen Ebenen statt, beispielsweise „on the edge“ – also an der Maschine. Genau da tragen wir als Festo mit unseren Produkten dazu bei, dass auch kleinere Unternehmen von der KI profitieren können.

Damit liefern sie den Unternehmen quasi lernfähige Umgebungen?

Genau. Der Kunde hat dann die Wahl, eine smarte Komponente mit integrierter KI-Option zu kaufen und bekommt dazu eine Stand-alone-Software mit entsprechenden Algorithmen, worüber sich das Ganze auch verknüpfen lässt. Insofern sind verschiedene modulare Schritte möglich, bis hin zur Anbindung an die Cloud. Die Cloud hat auf jeden Fall auch ihre Berechtigung. Gleichzeitig erlebe ich, dass sich Leute mit Produktionsverantwortung wohler dabei fühlen, wenn sie nicht von der Verfügbarkeit einer Cloud abhängen. An der Stelle schätzen viele Unternehmen, die unter harten Lieferbedingungen arbeiten, eine gewisse Autonomie von Produktionsanlagen.

Die Didaktik hat der Pneumatik bei Festo zum Welterfolg verholfen. Welche Rolle spielt Festo Didactic nun bei den elektrischen Antrieben und der KI?

Hoffentlich die gleiche Rolle wie in der Pneumatik. Das ist zumindest unsere Absicht. Gleichzeitig sind die Technologien heute so vielfältig und das gilt auch für die Qualifizierungsmöglichkeiten. Da muss man sich fokussieren. Künstliche Intelligenz wird aber sicher ein Thema sein.

Kann man sich das als modularen Baukasten der Didaktik vorstellen?

Richtig. In der Praxis wird man sich dann fokussieren müssen, denn der Lernbaukasten bietet ja heutzutage fast schon unendlich viele Möglichkeiten. Wir müssen letztlich die Mitarbeiter dazu befähigen, auch in Zukunft ihre Kernaufgaben professionell zu erledigen. Genau das war ja bereits der Grundgedanke bei den Pneumatiklernsystemen.

Geht es bei der KI dann hauptsächlich darum, Mitarbeitern die Fähigkeiten der Technologie nahezubringen?

Ich denke das Verständnis dafür wird ohnehin mit den Komponenten mitlaufen. Es geht darum zu verstehen, wie die Dinge in der KI laufen, damit keine Abwehrhaltung entsteht. Um eine hohe Gesamtanlageneffizienz zu erreichen, gibt es generell noch viel zu tun. Dabei kann unsere Didactic helfen, indem wir solches Wissen aufnehmen.

Abschließend etwas anderes: Welche Technik begeistert sie privat am meisten?

Ich bin begeisterter Motorradfahrer. Das begleitet mich schon mein ganzes Leben und wird so bleiben.

Oliver Jung
  • ist seit November 2018 Vorstandsvorsitzender der Festo AG & Co. KG in Esslingen. Das Unternehmen ist führend im Bereich der Pneumatik und ist weltweit für seine Kompetenz in der Automatisierungstechnik bekannt.
  • Zuvor war er Produktionsvorstand bei Schaeffler, Herzogenaurach.
  • Nach seinem Maschinenbaustudium an der Universität in Karlsruhe promovierte er und arbeitete bei der Robert Bosch GmbH sowie der Schmitz Cargobull AG.
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