Umformtechnik 17. Mai 2018 Dietmar Kippels Lesezeit: ca. 4 Minuten

Massive Herausforderungen für Industrie-4.0-Konzepte

Durch ihre raue Arbeitsumgebung wird die Massivumformung nicht unbedingt mit der Digitalisierung in Verbindung gebracht. Dabei kann sich die Vernetzung auch hier durchaus lohnen.

Hohe Kräfte und große Hitze: Die Massivumformung stellt Digitalisierer vor besondere Herausforderungen. Klassische Kennzeichnungen für die Produktverfolgung wie Barcodes und Funkchips werden in der rauen Umgebung zerstört.
Foto: Otto Fuchs KG

Die Messlatte liegt hoch. Erfolgreiche Hightech-Strategien für die anspruchsvolle, wie raue Stahlindustrie müssen gründlich vorbereitet werden und der äußerst harten Betriebsumgebung im Mehrschichtbetrieb problemlos standhalten. Lukas Kwiatkowski, Leiter Innovationsmanagement beim Massivumformer Otto Fuchs in Meinerzhagen, hat davon eine klare Vorstellung. Die Massivumformung kommt immer dann zum Einsatz, wenn mit einem Bauteil hohe statische und dynamische Kräfte bei geringem Eigengeweicht übertragen werden sollen. Zu den wichtigsten Kunden der Branche gehören die Automobilindustrie, die Wind- und Energieanlagenbau, wie der Schiffs-, Flugzeug- und Schienenfahrzeugbau. Als wesentlicher Teil ihrer Wertschöpfungsnetze, erreicht die digitale Transformation auch die Stahlverarbeiter. Laut einer Studie von IW Consult aus dem Jahr 2018 erwarten 80 % der Stahlunternehmen positive Effekte auf ihre Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings schätzten 62,6 % der Kunden den Digitalisierungsgrad der Stahlindustrie noch als gering ein.

Kwiatkowski macht seiner Branche Mut: „Man kann nicht pauschal sagen, dass kleinere Unternehmen und Mittelständler in Sachen Industrie 4.0 entwicklungsmäßig hintendran hängen oder Gefahr laufen, irgendwann abgekoppelt zu werden.“ Es seien auch nicht zwangsweise große Investitionen nötig. „Daten fallen schließlich in jeder Fertigung an.“ Für deren Verknüpfung und Auswertung werde kein millionenschweres Datenverarbeitungssystem gebraucht. Das bedeutet für ihn: „Die Markteintrittsbarrieren, was den finanziellen Einsatz betrifft, liegen verhältnisweise niedrig. Da unsere Branche hier erst am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung steht, haben auch Mittelständler und kleinere Unternehmen echte Hightech-Marktchancen.“ Das gelte unabhängig von neuen Produktionsverfahren bzw. -technologien, wo erst einmal teuer in Linien und Anlagen investiert werden müsse. Kwiatkowski: „Mit digitalem Engagement wächst auch für die Massivumformung die Chance, im 4.0-Bereich am Ball zu bleiben, mit den Großunternehmen zu agieren und entsprechenden Markterfolg einzufahren.“

Allerdings: So verlockend diese Perspektiven für die Massivumformer sind, so groß sind seiner Meinung nach auch die Herausforderungen: „Massivumformer haben schon von Alters her mit einer äußerst rauen Umgebung zu kämpfen, was die Einführung von Industrie-4.0-Lösungen nicht gerade erleichtert.“ Da ist das Betriebsumfeld: Hüttenartig, hohe Temperaturen, hohe Drücke, Schmutz und Rückstände. Zwar habe sich bei den Halbzeugen schon deutlich etwas getan, z. B. um Fehler durch Schlagstellen, Handling oder Transport zu vermeiden. Trotzdem bleiben die Herausforderungen seiner Einschätzung nach massiv: „Alles, was wir an das Werkstück anheften“, was wir ihm an Daten auf den Produktionsweg mitgeben, kann eine solche Umformung in der Regel nicht überleben – ob das nun ein Sensor oder ein Code ist.“

Als treibende Kraft für seine Branche für Neuentwicklungen sieht er die Effizienzsteigerung. Erfolg verspricht er sich auch beim Wissenszuwachs durch umfassende Aufnahme, Analyse und Vernetzung von Daten: „Die Produktionsmitarbeiter bekommen einen tieferen Einblick in die täglichen Fertigungsabläufe und können Zusammenhänge aufdecken, die ihnen bislang nicht transparent waren oder in ihrer Konstellation schnell übersehen wurden.“ Damit wachse die Digitalisierung zu einem bedeutenden Stellhebel und einer Plattform für weitere technische Entwicklungen heran, die sonst nur Wunschtraum blieben.

Die nötigen technischen Schwerpunkte und Integrationsschritte ordnet der Fertigungsexperte nach Prioritäten: „Die Datenerhebung bzw. die elektronische Zuordnung von Daten zu Produkten bietet die notwendige Basis. Die technologischen Voraussetzungen dafür sind gegeben.“ Zudem werde Konnektivität immer wichtiger. So würden Produkte zunehmend miteinander kommunizieren ebenso wie die Maschinen, um sich optimal abzustimmen.

„Hier liegt ein sehr großer Evolutionstreiber. Diese Entwicklung kann man heute bereits in der Logistik, aber auch schon vereinzelt bei Produktionsprozessen beobachten.“ Industrie 4.0 sei sehr wichtig, aber derzeit noch nicht durchgängig zu fassen. Gerade deswegen müssten Massivumformer hier noch in Pilotprojekten Erfahrungen sammeln: „Wir arbeiten uns mit aller Sorgfalt an dieses Zukunftsfeld heran.“

Neben solchen Zielvorgaben hat Kwiatkowski aber auch einige Warnungen parat, die nicht nur seine Branche betreffen: „Jetzt geht es um konsequente Daten- und Informationssicherheit.“ Wem gehören welche Daten, wer hat die Nutzungsrechte, wer darf was mit welchen Daten machen? Das sind Fragen, die für ihn im Verbund von Zulieferern und Unternehmen gründlich geklärt werden müssen. „Wenn das nicht zufriedenstellend beantwortet wird, brauchen wir nicht weiter zu überlegen, wie wir Daten auswerten, interpretieren und optimal einsetzen. Das wäre dann das Killerkriterium für Industrie 4.0“, macht er deutlich. Und mit Sicherheit müssten sich die Unternehmen auch verstärkt die anderweitige Verwendung ihrer Daten durch Dritte bewusst machen. „Sonst können der Überraschungseffekt und die Enttäuschung groß werden.“

Zum Einstieg in die digitale Transformation hat Kwiatkowski praxisnahe Tipps parat: „Vor dem Hochfahren sollte jede Produktionslinie erst einmal fertigungstechnisch optimiert werden. Es nutzt wenig, ineffiziente Prozesse zu digitalisieren.“ Hier müsse zuerst Hand angelegt werden, angefangen bei der Fertigungsplanung über die Produktion bis hin zur Dokumentation. Dieser Ausgangspunkt, verknüpft mit der beschriebenen Konnektivität könnte Industrie 4.0 nicht nur in der Massivumformung, sondern in vielen anderen Branchen nachhaltig in Fahrt bringen. „Meine Vision sind dezentrale Fertigungsstrukturen, die sich untereinander abstimmen – sich zusammentun, wieder auseinanderdriften – und ihre Arbeit für sich selbst oder den Menschen in Form eines Assistenzsystems organisieren.“

Die Chance soll im bergischen Meinerzhagen konsequent genutzt werden soll: „Wir arbeiten sehr intensiv an diesem Thema, aber noch ist es zu früh für konkrete Aussagen“, so Kwiatkowski. Vergleichbare Aufgabenstellungen müssten auch Kaltmassivumformer und Gießtechniker bewältigen. Die kommenden Entwicklungen müssen sich in diesem rauen Umfeld ebenso langfristig bewähren, sonst sei die Akzeptanz auch schnell wieder verbrannt –„ egal, ob es sich nun um Schmieden, Strangpressen, Ringwalzen oder Drückwalzen handelt.“

Digitale Unterstützung für die altbewährten Prozesse kann für ihn auch ein anderes, vergleichsweise junges Verfahren liefern: Die Additive Fertigung mit Metallen. Vielleicht werde das ein Lehr- und Meisterstück, weil Massivumformer beim 3-D-Druck nicht nur das Drucken von Metallbauteilen lernen, sondern auch die Möglichkeit hätten, digitale Strategien noch tiefer in die Produktion einzubinden. Und er denkt weiter: „3-D-Druck und Massivumformung künftig auf einer Maschine kombinieren? Das läuft heute noch nicht. Aber sage niemals nie.“

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