Microsoft und Siemens beteiligen sich an Industrie-4.0-Allianz
Um den Nutzen der Digitalisierung durchgängig in Unternehmen umzusetzen, haben sich die Konzerne Microsoft und Siemens diese Woche offiziell der Open Industry 4.0 Alliance angeschlossen.
Für die 2019 auf der Hannover Messe von Unternehmen wie Beckhoff, Kuka und SAP gegründete Open Industry 4.0 Alliance ist es ein großer Schritt. Gestern hat die Allianz mit Microsoft und Siemens zwei große neue Mitglieder begrüßt. Inzwischen gehören bereits fast 80 Unternehmen dieser Allianz an. Die Liste dabei reicht von mittelständischen Industriezulieferern bis hin zu Weltkonzernen. Durch ihre Zusammenarbeit wollen sie die Digitalisierung in Werkshallen auf Basis gemeinsamer Standards vorantreiben.
Bekenntnis zu Standards
Damit bekennen sich Microsoft und Siemens dazu, bestehende Standards und unternehmensübergreifende Zusammenarbeit zu nutzen, um die Interoperabilität zu verbessern und die Einführung von Industrie-4.0-Anwendungen in digital integrierten globalen Lieferketten voranzutreiben. Nils Herzberg, Vorstandssprecher der Open Industry 4.0 Alliance und Global Head Strategic Partnerships for Digital Supply Chain and Industry 4.0 bei SAP, sagte dazu. „Dies ist gerade in der heutigen Zeit von besonderer Relevanz, da die digitale Transformation rasch voranschreitet und Technologien wie Edge Computing, KI und Blockchain neue Maßstäbe setzen, ist der Beitritt von Siemens und Microsoft besonders wertvoll.“ Die Allianz trage gemeinsam dazu bei, diese Transformation evolutionär zu gestalten – mit konkreten und realitätsnahen Anwendungsfällen.
Längst ist Microsoft nicht mehr nur mit Exceltabellen tief in produzierenden Unternehmen verankert. Unter der Marke Microsoft Azure treibt der Konzern Cloud- und Edge-Technologien sowie künstliche Intelligenz (KI) in der Industrie voran. Auch gemeinsame Innovationen mit Partnern haben dazu beigetragen, bis heute Milliarden verschiedener Geräte in Anlagen zu verbinden, riesige Mengen an Echtzeitdaten zu verarbeiten und die nahtlose Interaktion von Menschen, Anlagen, Arbeitsabläufen und Geschäftsprozessen zu ermöglichen. Fachleute sprechen davon, dass damit Informationstechnik (IT) und operative Technik (OT) wie Industriesteuerungen nun zusammenwachsen.
Lücken in der Praxis schließen
Ulrich Homann, Corporate Vice President Cloud & AI bei Microsoft, betont. „Wir wollen Unternehmen dabei helfen, die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen und interoperable Industrie-4.0-Lösungen im großen Maßstab bereitzustellen. Unsere Beteiligung an der Open Industry 4.0 Alliance ergänzt unser langjähriges Engagement in Industrieallianzen wie der OPC Foundation und der Open Manufacturing Platform.“ Es gehe nun darum, gemeinsam Datensilos, die die Produktivität in Unternehmen einschränken, aufzubrechen und datengesteuerte, integrierte Lösungen für die gesamte Lieferkette zu realisieren. Durch den Einsatz von Cloud-, Edge- und KI-Funktionen über offene Standards, seien Hersteller in der Lage, die nächste Produktivitätsstufe zu erreichen, Kunden schneller unternehmerische Vorteile zu ermöglichen und agil auf sich ändernde Marktanforderungen zu reagieren.
Während Microsofts Weg von der IT und Cloud-Technologie kommt und hinein in die OT der Fabrikautomation geht, kommt Siemens genau aus der anderen Richtung. Von der Automatisierung und der industriellen Software wächst der Konzern in Richtung IT und Cloudtechnologie. Mit seinem Portfolio „Digital-Enterprise“ treibt Siemens die digitale Transformation in der diskreten Industrie sowie der Prozessindustrie branchenübergreifend voran. Für die Münchner entsteht durch die Verknüpfung von Daten aus der OT mit der IT ein kontinuierlicher Kreislauf zur Optimierung – über den gesamten Lebenszyklus von Produkten und Produktion hinweg. Siemens spricht hier auch vom „infinite loop“. Auf der digitalen Hannover Messe stellte der Automatisierungsspezialist dazu gerade Lösungen seiner Services für das Internet of Things (IoT) mit MindSphere bis hin zur Industrial Edge vor. Innerhalb dieser Systemwelt können Anwender bereits jetzt Produktionsprozesse flexibler und energieeffizienter gestalten. Genau hier setzt bisher aber auch oft die Kritik von Anwendern an, die eben nicht nur Systeme eines Herstellers im Einsatz haben.
Stefan Gierse, Leiter Strategie & Technologie bei Siemens Digital Industries, ist dies bewusst. „Um die nächste industrielle Revolution zu erreichen, bedarf es eines leistungsfähigen Ökosystems“, sagte er. Daher sei sein Unternehmen der Open Industry 4.0 Alliance beigetreten. Durch eine bessere Interoperabilität werde gemeinsam der Grundstein für die Entwicklung neuer IoT-Anwendungen und Geschäftsmodelle gelegt.
Allianzen schließen einander nicht aus
Sowohl Microsoft als auch Siemens beteiligen sich bereits an mehreren Allianzen und sind Mitglieder in unterschiedlichen Vereinigungen für die Digitalisierung in der Industrie. „Wir sehen das eine zum anderen als Ergänzung.“ Es gebe in der Open Industry 4.0 Alliance andere Anwender und andere Ausrüster, die wiederum in anderen Industrien gemeinsam aktiv seien, als die Initiativen, in denen Siemens bisher aktiv sei. Die unterschiedlichen Gruppen beschäftigten sich daher auch mit unterschiedlichen Problemstellungen. Es gebe jedoch ein gemeinsames Grundverständnis. „Wir nehmen die Herausforderung an, das diese Aktivitäten, die wir teils bilateral, teils multilateral und teils in Allianzen haben, am Ende zu einem gemeinsamen Kundenerlebnis führen“, erklärte der Siemens-Vertreter. Es gehe nun schließlich darum, das diese Aktivitäten nicht zu neuen Silos führten.
Christoph Berlin, Partner Group Program Manager für Azure Industrial IoT bei Microsoft, sagte zu den Beteiligungen an unterschiedlichen Initiativen während der Onlinepressekonferenz: „Das ist der richtige Schritt, um näher zusammenzukommen und die Kompatibilität schneller voranzutreiben.“ Er hat dabei vor allem die Skalierung im Blick. „Es ist leicht, ein einfaches Anwendungsbeispiel zu implementieren. Es ist wesentlich schwieriger das über verschieden Fabriken oder verschiedene Kunden zu machen“, erklärte er.
Trend zu Produktionsplattformen
Im Zusammenhang mit der Open Manufacturing Plattform (OMP) von Microsoft und der BMW Group sagte er, dass daraus Erfahrungen in die Open Industry 4.0 Alliance werden. „Es gibt den Trend der sogenannten Produktionsplattformen“, so Berlin. Hier würde genau hinterfragt, welche Standards es gibt, um die heterogenen Prozesse zusammenzuführen, um eine Einheit aufzubauen. „Diese Produktionsplattform kann nicht ein Produkt sein. Es wäre utopisch wenn jemand sagt: Ich installiere die Produktionsplattform am Montagmorgen und dann geht es los“, unterstrich er. Es gehe vielmehr darum, Blaupausen zu erstellen, mit Standards, die für bestimmte Aufgaben gebraucht würden.
Dass in vielen Fabriken noch mit Exceltabellen und entsprechenden Ausdrucken gearbeitet werde, wollte der Microsoft-Vertreter nicht weiter kommentieren. Er zeigte sich aber davon überzeugt, dass hier Digitalisierungsprozesse durch die Pandemie nun beschleunigt werden. In Initiativen wie der Open Industry 4.0 Alliance gehe es genau darum. Provokant stellte er fest: „Es gibt sehr viel Open Source und viel Offenes. Aber die Koordination des Ganzen ist wichtig.“ Bei aller Offenheit gehe es nun darum, die Gemeinsamkeiten zu finden und in Use Cases (übertragbaren Anwendungsszenarien) umzusetzen.