Mittagspause einmal anders – Roboter rotiert in der Kantine
Noch sind Roboter in Restaurants und Kantinen eine Seltenheit. Bei einem Online-Lebensmittelhändler in Hatfield, Großbritannien, gehört ein Roboter aber seit kurzem zum Alltag. Und das Unternehmen hat damit scheinbar noch einiges vor.
Mitarbeitende des Lebensmittelhändlers Ocado haben seit Kurzem die Wahl, ob sie sich in der Betriebskantine von menschlichem Personal oder von einem Roboter bedienen lassen. Der Roboter ist in einen Automaten des Start-ups Karakuri integriert. Mit der Technik wird auch ein Problem gelöst, das viele Kantinen seit Beginn der Coronapandemie haben: Neben den sonst schon strengen Hygienevorschriften, gilt es Menschenansammlungen zu vermeiden. Am Hauptsitz von Ocado arbeiten immerhin rund 4000 Menschen.
In der Kantine des Unternehmens sieht es trotz des neuen „Mitarbeiters“ eher klassisch aus. Auch die Abläufe beim Umgang mit dem Serviceroboter sind ähnlich wie bisher: Die gewünschten Zutaten werden auf dem Teller bzw. vom Roboter in einer Schale angerichtet. Dank vorgekochter Lebensmittel geht das sehr schnell. Beim Automaten sind die Fächer mit den Lebensmitteln dazu rund um den Roboter angeordnet. Für die Qualität der Zutaten ist dabei weiterhin ein Koch zuständig. Je nach Produkt sind die einzelnen Kammern zwischen kühlen 3 oC und heißen 80 oC temperiert.
Bestellung per App und Abholung zum gewünschten Zeitpunkt
Bestellt wird vorab über eine App auf dem Mobiltelefon. Dabei kann zwischen 17 Zutaten und insgesamt rund 2700 verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten gewählt werden. Das ist mitunter zeitaufwendiger als die eigentliche Abholung. Denn über die App wird auch der Abholzeitpunkt eingegeben und der Zahlvorgang ausgelöst. Warteschlangen, die sonst in Kantinen üblich sind, können so vermieden werden. Bis zu 110 Mahlzeiten pro Stunde kann ein solcher Automat laut Hersteller Karakuri anrichten. Im Moment läuft er aber noch im verlangsamten Betriebsmodus und füllt 30 Schüsseln pro Stunde.
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Doch was passiert im Inneren des Automaten namens Semblr? Hier rotiert ein Roboter zwischen den Fächern hin und her. Es ist ein Sechs-Achs-Roboter vom Typ KR Agilus des Herstellers Kuka, der auch in Industrieanwendungen eingesetzt wird. Gegenüber klassischen Industrierobotern besitzt er allerdings ein hygienetaugliches Design. Das heißt, unter anderem können die Oberflächen besser gereinigt werden. Nach der digitalen Bestellung nimmt er, kurz vor dem anvisierten Abholzeitpunkt, eine Schüssel. Der Roboter steuert nacheinander die Servierkammern an, die die gewünschten Zutaten enthalten. Die bestellte Menge lädt ein speziell dafür entwickeltes hygienisches Spendersystem in die Schüssel. In gleichmäßigen Bewegungen und ohne zu kleckern, geben die Spender dabei nach Wahl von oben Reis, Huhn, Rind, Tofu und/oder Gemüse aus. Dazu kommen schließlich noch Soße und zuletzt Toppings wie Kräuter oder Nüsse. Das fertige Schüsselchen ist dann abholbereit. Dazu gibt es den Beleg, mit dem die Speise eindeutig einem Empfänger zugeordnet wird.
Umgang mit unterschiedlichen Zutaten beschäftigte das Entwicklungsteam
Bis das System praxistauglich war, hatte das Team des Herstellers zusammen mit dem Roboterhersteller einige Herausforderungen zu lösen. Den Roboter auf engem Raum effizient einzusetzen war eines davon. Ein anderes beschreibt Liam Rogers, Pressesprecher von Karakuri: „Essen ist ein sehr schwierig zu verarbeitender Stoff“, erklärt er. „Es ist mal klebrig, mal flüssig, mal klumpt es. Und weil Küchen meist nicht sehr automatisiert sind und unterschiedliche Köche am Herd stehen, bekommt man jeden Tag etwas unterschiedlich vorbereitete Zutaten“, umreißt er die Ausgangslage. Viel Energie wurde deshalb auch in die Entwicklung des Spendersystems gesteckt. Aktuell könne Semblr damit 56 Zutaten ausgeben, künftig sollen es noch mehr werden.
Roboter übernehmen künftig Alltagsaufgaben
Das Besondere bei dieser Anwendung: Der Online-Lebensmittelhändler ist dabei nicht nur Kunde, sondern hat sich auch finanziell an dem Start-up beteiligt. Außerdem hat Ocado bereits eigene Kompetenzen rund um Software, Hardware und Logistik für den Lebensmittelhandel aufgebaut. Inwieweit daraus ein neues Geschäftsmodell entstehen wird, ist noch offen. Der World Robotics Report 2021 der „International Federation of Robotics“ (IFR) legt das zumindest nahe. Denn allein die Lebensmittel- und Getränkeindustrie Großbritanniens verdoppelte ihre Roboterinstallationen nahezu – von 155 Einheiten im Jahr 2019 stieg die Anzahl auf 304 Einheiten im Jahr 2020. Der Brexit und die Pandemie haben den Fachkräftemangel in der Branche noch verschärft, weshalb Roboter dort in Kantinen tatsächlich schneller Verbreitung finden könnten als in anderen Ländern.