„Präventive Wartung ist nicht Kern des Gedankens von Industrie 4.0“
Digitalisierung und Vernetzung sind für Industrie 4.0 notwendig, aber nicht hinreichend. Warum das so ist und worauf es jetzt ankommt, erklärt Peter Liggesmeyer, wissenschaftlicher Sprecher des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0.
VDI nachrichten: Vieles, was zu Beginn 2011 noch eine Vision von Industrie 4.0 war, ist heute Realität. Trotzdem wird der Kern des Konzeptes noch nicht in der Breite der Industrie umgesetzt. Woran liegt das?
Liggesmeyer: Dass bereits vieles Realität ist, ist eine These. Wie das bewertet wird, hängt stark mit der Definition von Industrie 4.0 zusammen. Tatsächlich kritisiere ich sehr häufig, dass die Themen Vernetzung und Digitalisierung in der Diskussion oft als Ziele von Industrie 4.0 dargestellt werden.
Was ist daran falsch für Sie?
Die Behauptung ist vergleichbar mit der Behauptung, in der zweiten industriellen Revolution – also Industrie 2.0 – wäre es um die Einführung des Fließbands gegangen. Das ist Nonsens. Es ging in der zweiten industriellen Revolution darum, Massenprodukte günstig herzustellen. Das Fließband ist dafür ein probates Mittel.
Man sollte nicht die Hilfsmittel mit den Zielen verwechseln. Das passiert uns aber bei Industrie 4.0 häufig. Natürlich benötigen wir Vernetzung und Digitalisierung für Industrie 4.0. Umgekehrt gilt aber, dass ein digitalisiertes und vernetztes System nicht zwangsweise Industrie 4.0 ist. Die Vernetzung und Digitalisierung sind also notwendige Voraussetzungen, aber eben keine hinreichenden Kriterien.
Was bedeutet das jetzt für die industrielle Transformation und ihre Umsetzung?
Viele Produktionsumgebungen haben in digitaler Hinsicht und in puncto Kommunikationsfähigkeit, also Vernetzung, große Fortschritte gemacht. Wenn etwas vernetzt und digitalisiert ist, heißt es aber nicht zwingend, dass man am Ende des Weges der Umsetzung von Industrie 4.0 angekommen ist.
Jetzt wird es erst interessant. Die erforderlichen Investitionen werden Unternehmer nur tätigen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sich das auch rentiert. Sie wollen Geld verdienen, indem sie die Kundenzufriedenheit verbessern oder die Produktivität steigern.
Das zentrale Anliegen von Industrie 4.0 ist die automatisierte Herstellung individuellerer Produkte zum Preis von Massenprodukten. Hier gibt es ein ganz klar erkennbares Geschäftsmodell. Individuelle Produkte günstig anbieten zu können, wird nicht in allen, aber in vielen Branchen ein starkes Verkaufsargument sein und da rentiert sich Industrie 4.0.
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Und wie bewerten Sie in dem Zusammenhang die vorausschauende Wartung?
Das sind Mitnahmeeffekte – und das meine ich jetzt gar nicht despektierlich. Wenn Sie Ihre Produktion ohnehin vernetzen müssen, um Maschinen miteinander Abstimmungen durchführen lassen zu können, um individuelle Produkte herstellen zu können, dann können Sie natürlich auch Informationen zur Produktionsumgebung gewinnen und diese auswerten. Damit können Sie zum Beispiel Abläufe optimieren, die Qualität steigern oder erkennen, dass eine Maschine gerade nicht optimal funktioniert und sie in kurzer Zeit ausfallen wird. Sie können damit präventive Wartung realisieren.
Ich glaube, dass diese Dinge in vielen Unternehmen realisiert sind. Das ist aber nicht Kern des ursprünglichen Gedankens gewesen. Wir brauchen also auch keine Industrie 5.0, weil wir eher bei Industrie 3.5 stehen und noch ein ganzes Stück zur vollständigen Umsetzung von Industrie 4.0 vor uns haben. Ich habe übrigens noch keine Definition von Industrie 5.0 gesehen, die über jene Inhalte hinausgeht, die schon vor zehn Jahren Bestandteil von Industrie 4.0 waren. Jetzt geht es darum, sich die Geschäftsmodelle möglichst gut zurechtzulegen und die richtigen Investitionen zu tätigen, weil es da natürlich auch Risiken gibt.
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