Roboter mit lernfähigen Systemen zu Helfern machen
Einen Durchbruch von der bloßen Maschine hin zum lernfähigen Roboterassistenten erwartet der international renommierte Roboterexperte Sami Haddadin. Im Vorfeld der Messe Automatica beschreibt er aktuelle Entwicklungen und gibt einen Ausblick.
VDI nachrichten: Herr Haddadin, was sind für Sie im Moment die spannendsten Entwicklungen in der Robotik?
Haddadin: Es gibt spannende Entwicklungen aus technologischer und aus Anwendungssicht. Das spannendste in der Technologie ist, dass jetzt Roboter mit Tastsinn existieren. Ich meine damit nicht die Cobots (Anm. d. Red.: kollaborierende Roboter), wie wir sie heute kennen, sondern feinfühlige Lösungen. Sie können de facto plötzlich durch jedermann programmiert werden. Sie können natürlich genauso sicher mit den Menschen interagieren – aber eben nicht nur in einfachsten Anwendungen, sondern in völlig neuen Anwendungsfeldern wie der Montage oder Qualitätskontrolle.
Wir sehen auch immer mehr integrierte Systeme, die so klein sind und effizient funktionieren, dass sie wenig Energie verbrauchen. In den letzten zehn bis 15 Jahren hat es deutliche Fortschritte gegeben. Das reicht bis zu den heutigen Autonomiethemen in der Mobilität. Roboter werden damit navigationsfähig. Das schafft zusätzliche spannende Anwendungsmöglichkeiten.
Durchbrüche im maschinellen Lernen und in der künstlichen Intelligenz
Dazu kommen jetzt die ersten Durchbrüche im maschinellen Lernen, in der künstlichen Intelligenz. Wir haben also erstmals maschinelle Körper, die lernfähig sind. Jetzt kommen die Algorithmen, die sie schlussendlich auch lernfähig machen. Technisch haben wir also gleich mehrere Entwicklungssprünge auf einmal gemacht, die aber erst gemeinsam ihr volles Potenzial entwickeln können.
Und wie sieht es mit den Anwendungen aus?
Wir haben in der Pandemie gesehen, wie die Lieferketten und die Produktionsketten teilweise plötzlich angepasst werden mussten. Das heißt, eine intelligente, flexible Manufaktur wird immer wichtiger – auch beim Skalieren von kleinen zu großen Stückzahlen. Das gilt für kleine Unternehmen wie für große, für die Logistik und die Produktion. Dort passiert gerade wahnsinnig viel.
Damit meine ich ausdrücklich auch Märkte jenseits des Automobilbereichs, also die Elektronikfertigung und klassische Manufakturprozesse.
Extrem spannend sind auch die vielfältigen Anwendungen im Gesundheitssektor. Diese waren früher typischerweise beschränkt auf Chirurgieroboter. Jetzt sieht man plötzlich viele Hersteller, die Lösungen für die Pflege und Reha auf den Markt bringen. Das hat Dimensionen angenommen, die konnte man ja vor zwei Jahren, drei Jahren so nicht absehen.
In all diesen Anwendungen sehen wir einen Durchbruch von der bloßen Maschine hin zum lernfähigen Roboterassistenten. Plötzlich sind damit auch die KMU (Anm. d. Red: kleine und mittlere Unternehmen) in der Lage, solche Systeme einzusetzen. Als Forscher haben wir das über Jahrzehnte immer propagiert.
Die Industrieproduktion ist das Eine, aber wie bewerten Sie das Potenzial fürs Handwerk?
Wenn ich KMU sage, dann meine ich auf jeden Fall auch das Handwerk. Der Assistenzbegriff passt dazu wunderbar. Ich hatte schon vor Jahren von Roboterwerkzeugen gesprochen. Damit will ich deutlich machen, dass das keine Ersatzsysteme für die Menschen sind, sondern kleine Helfer – Lösungen, wie sie ein Daniel Düsentrieb entwickeln würde.
In der Praxis kommt es aber auch auf Geschwindigkeit an. Selbstlernende Roboter wie sie Google vor Jahren zeigte, erschienen für produktive Unternehmen viel zu langsam.
Ja, das stimmt. Einer der wichtigsten Punkte ist aktuell, dass die Skalierung von Big Data in der Industrie so nicht direkt möglich ist. Da gibt es die riesigen Datenvorkommen wie im weltweiten Netzwerk von Social Media und Online-Shopping noch nicht. Die müssen erst erzeugt werden. Das kostet Geld, Zeit und Energie.
Das bedeutet wiederum, dass die KI-Algorithmen in der Robotik extrem effizient und schnell funktionieren müssen, damit die Maschinen annähernd so schnell lernen wie wir Menschen. Das bedeutet innerhalb von Minuten, nicht innerhalb von Tagen, Wochen oder gar Monaten. Vor allen Dingen muss das auch ohne riesige Supercomputer funktionieren – am besten auf kleinen Mobilgeräten. Technisch machen wir hier gerade große Fortschritte. In der Industrie ist das aber kommerziell noch nicht angekommen. Das wird jetzt der nächste große Schritt sein.
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